Politkolumne
Wie wäre es für einmal mit einer positiven Schlagzeile?
Zum Beispiel: Polarisierung treibt die Menschen in der Schweiz nicht auseinander. Und der Graben zwischen Alt und Jung ist gar nicht so gross.
Mehr als 40 Prozent der Menschen hierzulande sind laut einer jüngeren Umfrage der Meinung, dass sich Forscherinnen und Forscher zu wenig darum bemühen, die Öffentlichkeit über ihre Erkenntnisse zu informieren. Nur rund 15 Prozent stellen dies in Abrede.
Die von der Schweizer Bevölkerung bemängelte Zurückhaltung der Gelehrten hat ihre Gründe. Neben der Angst, an den Pranger gestellt zu werden, stecken viele ihre Zeit lieber in das, was im hauseigenen System wirklich honoriert wird.
Statt öffentliche Vorträge, Interviews in den Medien, Podcasts oder populärwissenschaftliche Beiträge zählen in der Forschung hauptsächlich die Publikationen in Fachartikeln, die Einwerbung finanzieller Mittel oder die Zitationen der wissenschaftlichen Arbeiten. Zwischen dem von der Öffentlichkeit gerne attestierten Renommee und der in der Wissenschaft erworbenen Reputation liegen oft Welten.
Zudem unterliegt der akademische Elfenbeinturm anderen Logiken als die Medienwelt. Tischt diese gerne kernige Botschaften auf, servieren Forschende lieber detaillierte Auskünfte, die sie weder vereinfachend noch schlagzeilengerecht zusammengestutzt sehen möchten.
Wer sich in der Öffentlichkeit aber Gehör verschaffen will, darf nicht langfädig sein und muss vor allem Aufmerksamkeit erregen. Es geht darum, Empörung auszulösen, Missstände anzuprangern oder uns in Alarmstimmung zu versetzen.
Das Einmaleins der Medienpsychologie macht es vor: Only bad news is good news! Also attackieren statt lavieren, aufwühlen statt abkühlen. Es liegt evolutionspsychologisch nahe, dass unser Interesse vor allem dann geweckt wird, wenn die Informationen auf Gefahren hinweisen. Dabei soll die ohnehin dahinsiechende Aufnahmekapazität nicht noch zusätzlich durch Schönfärbereien belastet werden.
Nicht umsonst haben sich auch hierzulande verschiedene Sorgen um die Schweizer Demokratie in den Köpfen der Menschen eingenistet: Einerseits erleiden die politischen Institutionen einen stetigen Vertrauensverlust, andererseits gefährdet die Polarisierung zunehmend das politische Miteinander. Zusätzlich lässt die Übermacht der Alten die Interessen der Jüngeren an der Abstimmungsurne immer mehr ins Leere laufen.
Dabei liessen die Daten auch ganz andere Schlüsse zu. Im Vergleich zum Vorjahr ist das Vertrauen in die Gerichte, die Schweizer Wirtschaft, den Bundesrat, die Schweizer Armee oder in das Eidgenössische Parlament zwar tatsächlich signifikant gesunken. Aber dies gilt nicht für die Wissenschaft, die Parteien, die Verwaltung, die Polizei und die Medien.
Dazu liegt das aktuelle Gesamtvertrauen in die heimischen politischen Institutionen immer noch weit über demjenigen der Nullerjahre. Und im internationalen Vergleich gibt es laut OECD keine Nation, die mehr Vertrauen gegenüber ihrer Regierung aufbringt als die Schweiz.
Darüber hinaus legen Umfragen der letzten 25 Jahre auch nahe, dass sich die Menschen hierzulande zunehmend von der politischen Mitte entfernen und sich den politischen Rändern zuwenden.
Doch trotz der wachsenden inhaltlichen Radikalisierung vertieft sich die Kluft zwischen den politischen Lagern nicht unbedingt emotional. Das Ausmass, mit dem sich die Anhängerinnen und Anhänger verschiedener politischer Parteien gegenseitig ablehnen, hat sich seit der Wahl im Jahr 2011 nämlich nicht verändert. Im Vergleich zu 2007 ist es sogar zurückgegangen.
Und wer sich mit dem ungleichen Abstimmungsverhalten zwischen Jung (18-30) und Alt (65+) beschäftigt, dem darf nicht verborgen bleiben, dass die Bedrohungsszenarien je nach Sachverhalt und Referenzjahr unterschiedlich ausfallen.
Obwohl die Ja-Stimmen-Differenzen zwischen den Generationen in jüngster Zeit zunehmen, zeigt sich der Altersgraben in den letzten 40 Jahren erstaunlich stabil. Im Vergleich zu den 1980er-Jahren ist er bei den Themen Sicherheit, Energie, Verkehr, Umwelt, Sozialpolitik, Bildung und Forschung, Gesundheit und Renten sogar kleiner geworden. Wie wäre es deshalb zum Jahresabschluss mit folgenden Schlagzeilen:
Überraschung: Schweizer vertrauen ihren Institutionen noch mehr als vor 20 Jahren!
Erfreulich: Polarisierung treibt die Menschen hierzulande nicht auseinander!
Stabilität in unruhigen Zeiten: Altersunterschiede bei Abstimmungen seit über 40 Jahren unverändert!
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz. Es betreibt sowohl Grundlagenforschung als auch praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernaussagen sind Bestandteil der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» und Master «Politikwissenschaft» sowie des schweizweit einzigartigen Studiengangs «Schweizer Politik im Vergleich». Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Politische Institutionen und Akteure, Europäische Politik, Klima, Umwelt und Energie, Öffentliche Meinung sowie Gender in Politik und Gesellschaft. Darüber hinaus bietet das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit an, wie zum Beispiel das Jahrbuch Schweizerische Politik (Année Politique Suisse).
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