Humor kann uns zusammenbringen – oder spalten

Von der politischen Waffe bis zum sozialen Ventil: Humor kann gesellschaftlich vielseitig eingesetzt werden. Eine Theaterwissenschaftlerin, ein Soziologe, ein Nahost- und ein Literaturwissenschaftler beleuchten seine vielen Facetten.

Text: Barbara Spycher 02. Dezember 2025

Lachen ist ansteckend. © iStock

Eine Frau kichert vor sich hin. Sie steht in der U-Bahn und schaut sich auf ihrem Handy ein Video an. Immer lauter bricht das Lachen aus ihr heraus. Einige Mitreisende schauen irritiert, manche abweisend, andere schmunzeln. Doch immer mehr Mundwinkel zieht es nach oben, immer mehr Menschen stimmen ins Gelächter ein. Nach ein paar Minuten schütteln sich fast alle Passagiere im Waggon vor Lachen.

Solche Szenen kursieren auf YouTube. Und sie zeigen, welch ansteckende und verbindende Energie Lachen haben kann. Vielleicht kennen wir ähnliche Momente aus unserem Leben, wenn wir uns in der Familie oder mit Freundinnen in Lachkaskaden hineinsteigern und kaum aufhören können. Obwohl wir gar nicht genau wissen, was denn so lustig ist. Lachen ist ein Reflex. Und kommt damit unserem Verstand zuvor.

Humor aus wissenschaftlicher Perspektive

Doch unser Lachen und unser Humor werden durchaus erforscht und wissenschaftlich zu ergründen versucht. Allen voran in der Psychologie, welche die gesundheitsfördernde Wirkung von Lachen längst erkannt hat, aber auch in den Kognitions- oder Neurowissenschaften.

«Humor ist gerade in autoritären Staaten ein wichtiges Ventil, um den permanenten Druck zu entladen.»

Ali Sonay

Philosophen und Literatinnen wiederum haben verschiedene Komiktheorien entwickelt, welche zu erklären versuchen, warum genau wir lachen, wenn wir eine Glosse oder Satire lesen, eine Karikatur anschauen, einen Witz hören, eine Komödie oder einen Schwank schauen, Clowns oder Stand-up-Comedians zusehen. Diese Theorien spielen beispielsweise in den Theater- und Literaturwissenschaften, wo das Erzeugen von Komik professionell analysiert wird, eine Rolle. Dabei hat Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich festgestellt: «Humor ist ein sehr interessantes, aber auch sehr kompliziertes Phänomen. Denn er ist über zeitliche und kulturelle Grenzen hinweg besonders schwer verständlich.» Der Grund dafür liegt in gesellschaftlichen Codes und in subtilen Anspielungen, die erkannt werden müssen. Dafür und für die gesellschaftlichen Funktionen von Humor interessiert sich auch der Soziologe Wojtek Przepiorka. Denn Humor kann wie ein soziales Schmiermittel wirken – oder als Spaltpilz.

Zur Person

Ali Sonay
Bild: Sandra Blaser

Ali Sonay

ist Assistenzdozent am Fachbereich Mittlerer Osten und muslimische Gesellschaften. Er forscht u. a. zu Mediensystemen, Populärkultur, sozialen Bewegungen und modernen Ideengeschichten in den Gesellschaften im Nahen Osten und in Nordafrika.

Was bringt Sie persönlich zum Lachen?

«Clevere Witze, gute Comedy in den Medien, all die ungeplant lustigen, manchmal absurden Momente im zwischenmenschlichen Miteinander.»

Humor fungiert aber auch als Spiegelbild von gesellschaftlichem Wandel und von Machtverhältnissen, wie die Theaterwissenschaftlerin Alexandra Portmann beobachtet. Und Humor wird als politische Waffe eingesetzt. Dazu forscht der Nahostwissenschaftler Ali Sonay und hat dabei festgestellt, welch subversive Formen die Menschen finden, um Zensur zu unterlaufen. «Humor ist gerade in autoritären Staaten ein wichtiges Ventil, um den permanenten Druck zu entladen.»

Komiktheorien: Warum wir lachen

Doch beginnen wir von vorne, in der römischen Antike, im ersten Jahrhundert vor Christus. Damals prägte Cicero die Rhetorik, also die Kunst des wirkungsvollen Sprechens oder Schreibens, sozusagen die Urform der Literaturwissenschaften. Und schon Cicero empfahl Humor als rhetorisches Werkzeug. «Um Zustimmung zu erlangen, zielt man in der Rhetorik auf emotionale Wirkungen – und dafür ist Humor ein hervorragendes Mittel», sagt Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich. «So kann mit Witz die Gunst des Publikums gewonnen und am Ende eine Abstimmung beeinflusst werden.»

Zur Person

Oliver Lubrich
Bild: Peter Bachmann

Oliver Lubrich

ist ordentlicher Professor für Neuere deutsche Literatur und Komparatistik. Er forscht unter anderem zu Rhetorik, zu Reisen nach Nazi-Deutschland, zu Kolonialismus, zu Antisemitismus, zur griechischen Tragödie und zu Shakespeare sowie zur Gegenwartsliteratur.

Was bringt Sie persönlich zum Lachen?

«Die vielen kleinen Absurditäten des Alltags, zum Beispiel eigene Missgeschicke oder Unzulänglichkeiten, aber auch kafkaeske Situationen, etwa mit ausufernder Bürokratie.»

Warum genau etwas als lustig empfunden wird, erklären verschiedene Komiktheorien. Die drei bekanntesten beziehen sich entweder auf Inkongruenz, auf Überlegenheit oder auf Entlastung. Laut dem ersten Ansatz sind es inkongruente, also nicht zusammenpassende Dinge, die den Witz erzeugen. Etwa, wenn in einem besonders steifen Ambiente eine Person einer anderen eine Torte ins Gesicht wirft. Oder wenn jemand über Schnelligkeit spricht – aber in Zeitlupe performt. Laut der Überlegenheitstheorie wiederum amüsieren wir uns über die Missgeschicke von anderen. Der französische Schriftsteller Stendhal leitete daraus eine kathartische und pädagogische Wirkung ab: Zuerst lachen wir andere aus, doch dann erkennen wir uns in ihnen und lachen über unsere eigenen Schwächen. Die Entlastungs- oder Entladungstheorie geht auf den Psychoanalytiker Sigmund Freud zurück, laut dem verdrängte Ängste oder Begierden beim Lachen zum Vorschein kommen. Humor dient demnach dazu, psychische Spannung abzubauen.

Kulturelle Unterschiede im Humor

Ausserdem belegen empirische Studien die Bedeutung der nonverbalen Ebene in der Komik: Nebst dem Sprachwitz bringen uns auch Mimik, Gestik, Intonation, Tempo, Rhythmus oder Körpersprache zum Lachen. Dennoch sagt Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich: «Humor ist das Phänomen, das über Kulturen und zeitliche Epochen hinweg am schwersten vermittelbar ist.» Es zeige sich, dass man viel kulturelles Hintergrundwissen brauche, um Witze zu verstehen. Das belegt eine Studie des Literaturwissenschaftlers Franco Moretti zur internationalen Rezeption verschiedener Filmgenres. Demnach lassen sich beispielsweise US-amerikanische Actionfilme im Ausland viel besser vermarkten als romantische Komödien. «Auch 2500 Jahre alte griechische Tragödien sind leichter zu verstehen als griechische Komödien aus derselben Zeit», sagt Lubrich. Persönlich bemerkte er, der in West-Berlin aufwuchs, als die Stadt noch geteilt war, dass in Ost-Berlin anders und über anderes gelacht wurde. Und als er vor über zehn Jahren in die Schweiz zog, viel Lubrich zu Beginn auf: «Wenn ich etwas ironisch meinte, wurde es meist wörtlich aufgefasst. Und womöglich ging es mir umgekehrt genauso.»

«Mit Witz kann beeinflusst werden, wie wir unsere Entscheidungen treffen.»

Oliver Lubrich

Witze als Test, wer zur Gruppe gehört

Dass Witze ziemlich viel Hintergrund- oder gar Insiderwissen brauchen, um über sie lachen zu können, stellt auch der Soziologe Wojtek Przepiorka fest. Der Professor für Nachhaltige Gesellschaft interessiert sich für Humor als ein Phänomen, das Grenzen zieht: «Es kann eingrenzen und ausgrenzen.» Einerseits kann gemeinsames Lachen uns verbinden, weil es eine emotionale Nähe schafft. Andererseits kann das Lachen in Gruppen auch Menschen ausschliessen: beispielsweise diejenigen, die nicht mitlachen können, weil sie es nicht lustig finden oder den Witz nicht verstehen. Offensichtlich ist das bei vielen Mathematik-Witzen der Fall, beispielsweise bei der Frage «Warum war die Funktion so traurig?». Die Antwort, die Mathematikerinnen zum Schmunzeln bringt, lautet: «Weil sie kein Argument hatte.» Denn mathematische Funktionen brauchen Eingabewerte, sogenannte Argumente.

Zur Person

Wojtek Przepiorka
Bild: zvg

Wojtek Przepiorka

ist ordentlicher Professor für Soziologie mit Fokus auf Nachhaltige Gesellschaft. Er forscht u. a. zu sozialen und institutionellen Einflussfaktoren von Vertrauen und Kooperation, zur Entstehung und zum Wandel sozialer Normen oder zu den Dynamiken von Gruppenbeziehungen.

Was bringt Sie persönlich zum Lachen?

«Meine sechs- und neunjährigen Kinder, die mit ihrer Kinderlogik meine Erwachsenenlogik auf den Kopf stellen. Zum Beispiel erklärte meine Tochter, sie sage uns statt ‹Mama› und ‹Papa› die Vornamen, denn wir würden sie ja auch nicht ‹Tochter› nennen.»

Aber auch viele andere Scherze setzen einen gemeinsamen Background voraus. Versteht man einen Witz nicht und kann nicht mitlachen, fühlt man sich nicht zugehörig. «In dem Sinn können Witze auch als Test funktionieren, ob jemand zu einer Gruppe dazugehört», sagt Wojtek Przepiorka. Für diejenigen, die gemeinsam lachen können, wirken Witze identitätsstiftend. «Meines Erachtens nutzt beispielsweise US-Präsident Trump dieses identitätsstiftende Element ganz gezielt», so Wojtek Przepiorka. «Wenn er sich über einen Journalisten mit Behinderung oder über Transsexuelle lustig macht, merken alle, die ebenfalls lachen: Wir gehören zum gleichen Lager – und wir sind viele.» Diese kränkende Art von Humor, der andere Menschen beispielsweise aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, ihrer Behinderung oder ihrer Herkunft verächtlich macht, ist eine andere, offensichtlichere Art, wie Humor ausgrenzen und spalten kann.

Guter und schlechter Humor im Wandel

Damit stellt sich die Frage, was Humor darf. Was ist guter oder erwünschter, was schlechter oder unerwünschter Humor? In den vergangenen Jahren wurden die Stimmen lauter, die sexistische, rassistische oder anderweitig diskriminierende Witze anprangern. Seither monieren vor allem konservative oder rechte Kreise, mittlerweile dürfe man gar nichts mehr sagen, die Wokeness gehe zu weit.

Zur Person

Alexandra Portmann
Bild: zvg

Alexandra Portmann

ist Assistenzprofessorin für Theaterwissenschaft mit dem Schwerpunkt Gegenwartstheater. Sie forscht u. a. zu zeitgenössischer Theater- und Performancekunst, zu institutionellem Wandel und Kritik in den Gegenwartskünsten, zu Theaterhistoriografie und zum Theaterschaffen in postjugoslawischen Ländern.

Was bringt Sie persönlich zum Lachen?

«Vieles! Am häufigsten meine siebenjährige Tochter. Ihre kindliche Perspektive führt mir zum Beispiel die Absurdität meines eigenen Handelns oder das Lustige in banalen Alltagssituationen vor Augen.»

Theaterwissenschaftlerin Alexandra Portmann sagt dazu: «Die sogenannte Wokeness-Debatte wird gerade vom rechten Milieu politisch aufgeladen. Sie ist aber eine notwendige, gesellschaftliche Aushandlung über diskriminierende Sprache.» Und genauso wie über Sprache debattiert werde, würden auch Geschmack und die Frage, was guter und schlechter Humor ist, gesellschaftlich verhandelt. «Das ist nichts Neues, solche Debatten fanden immer schon statt», sagt Portmann. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde in Deutschland beispielsweise der Harlekin im Zuge der Aufklärung von der Bühne verjagt. Diese Figur galt als karnevalesk und vulgär und widersprach den Vorstellungen eines bürgerlichen, aufgeklärten, literarischen Theaters. «Dieses Beispiel zeigt, wie entlang von Humor ein Theaterverständnis ausgehandelt wird, das wiederum ein gesellschaftliches Selbstverständnis spiegelt», sagt Alexandra Portmann. Und sie fügt hinzu: «Gesellschaftlichen Wandel erkennt man auch an der Frage, was als guter und was als schlechter Humor gilt.» Darin würden sich die jeweiligen Machtverhältnisse widerspiegeln. «Wer gehört dazu, wer darf mitreden, wer darf auf die Bühne?»

Humor als politische Waffe

Humor hat auch eine hohe politische Wirksamkeit und kann als politische Waffe eingesetzt werden. Das zeigt sich in den USA, wo politische Late-Night-Shows die Trump-Regierung satirisch kritisieren und verspotten. Der Präsident versucht seine Macht auszuspielen, um die Shows abzusetzen und die Satiriker zum Verstummen zu bringen. Das ist ein gängiges Muster, wie Alexandra Portmann weiss: «In Zeiten von politischen Krisen haben Late-Night-Shows, Stand-up-Comedy, Satireformate oder Theater-Performances Hochkonjunktur.»

In Ländern, in denen die Zensur greife, seien die Theaterbühnen einer der wenigen Orte, an denen politische Themen ausgehandelt werden könnten. «Denn im Theater kann improvisiert werden, und Improvisation ist unvorhersehbar und nicht kontrollierbar», sagt die Theaterwissenschaftlerin. «Dadurch gibt es im Theater mehr Freiheiten als im Fernsehen oder im Kino.» Nahostwissenschaftler Ali Sonay ergänzt: «Wenn Regierungen Humor in den Medien zensieren, werden diese Formate oft noch populärer.» Das zeigte sich an der Late-Night-Show von Jimmy Kimmel in den USA, die mehr als dreimal so hohe Einschaltquoten hatte, als sie nach ihrer mehrtägigen Absetzung im September wieder ausgestrahlt wurde. Ein anderes Beispiel ist ein Satiremagazin in der Türkei, das nach dem Militärputsch 1980 vier Wochen lang verboten wurde und währenddessen deutlich an Popularität gewann.

Magazin uniFOKUS

«Komisch, oder?»

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: Humor.

Ein Ventil in autoritären Staaten

Nahostwissenschaftler Ali Sonay forscht dazu, wie soziale Bewegungen die Medien im Kampf gegen autoritäre Regimes nutzen, insbesondere im Nahen Osten und in Nordafrika. Dabei ist ihm aufgefallen, welch grosse Rolle Humor in diesen Protestbewegungen spielt, vor allem in den sozialen Medien: in YouTube-Videos, Fotos, Memes oder Karikaturen. Das war beim Arabischen Frühling 2011 in Ägypten genauso der Fall wie in der zweiten Protestwelle von 2019 bis 2021 in Algerien.

«Überhaupt hat es im Nahen Osten Tradition, Politik auf humoristische Art zu kritisieren», hat Sonay festgestellt. «Humor ist gerade in autoritären Staaten ein wichtiges Ventil, um den permanenten Druck zu entladen.» Dieses Bedürfnis sei so stark, dass die Menschen Formen suchen, die Zensur zu umgehen. In der Türkei beispielsweise droht bei Präsidentenbeleidigung Gefängnis. Deshalb hat sich dort die Verklausulierung «die bekannte Person» durchgesetzt, um Erdogan zu kritisieren, ohne eine Gefängnisstrafe zu riskieren.

Unterschiedliche Humortraditionen

Wenn Ali Sonay, der in der Schweiz und in Deutschland gelebt und zu Humor in der Türkei und in arabischen Staaten geforscht hat, die Humortraditionen vergleicht, fallen ihm als Erstes gemeinsame Muster auf. So wie es in Deutschland die Tradition gibt, Witze über «die Ostfriesen» zu machen, lacht man in der Türkei über Menschen aus der Schwarzmeerregion. Auch die Debatte darüber, wann Humor beleidigend, rassistisch oder sexistisch ist, verlaufe ähnlich. Unterschiedlich seien die kulturellen Referenzen: «Es braucht einen lokalen Kontext, den man kennen muss, um eine Anekdote, eine Erzählung oder einen Witz zu verstehen.»

uniAKTUELL-Newsletter abonnieren

Entdecken Sie Geschichten rund um die Forschung an der Universität Bern und die Menschen dahinter.

Interkulturell und über Grenzen hinweg funktioniere dagegen eine alltägliche Situationskomik, mit der Sonay die kleinen Absurditäten und lustigen Momente des Alltags meint. Etwa, wenn zwei Personen sich auf dem Trottoir aus dem Weg zu gehen versuchen und sich dadurch erst recht in die Quere kommen. Oder wenn man mit aufgespanntem Regenschirm durch die Gegend läuft und plötzlich feststellt, dass längst die Sonne scheint. Oder sei es, dass jemand an einem vorbeiläuft, «Ja, hallo?» ins Telefon sagt und man selber automatisch mit «Hallo?!» antwortet. Je offener wir für solche komischen Situationen sind, desto mehr Gelegenheiten entdecken wir in unserem Alltag, um zu lachen – über uns und mit anderen. Losgelöst von Theorien und wissenschaftlichen Analysen, einfach aus dem Bauch heraus.