Psychisch gesund bleiben im Job – das braucht es dazu

Die Digitalisierung und neue Arbeitsformen beeinflussen unsere psychische Gesundheit. Achim Elfering weiss als Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Bern, was uns bei der Arbeit so stresst – und was uns guttut.

Ob uns Arbeit guttut oder stresst, hängt stark von den Vorgesetzten und der Betriebskultur ab, weiss Professor Achim Elfering.
Herr Elfering, wie steht es um die psychische Gesundheit der Schweizerinnen und Schweizer im Job?

Achim Elfering: Ein Indikator dafür ist die emotionale Erschöpfung, die wir im schweizweiten Job-Stress-Index regelmässig untersuchen. Dort sehen wir, dass sich die Mehrheit – 55 Prozent – nicht erschöpft fühlt. Aber der Anteil der erschöpften Menschen hat innert zehn Jahren deutlich zugenommen, von 24 auf über 30 Prozent. Ganze 9 Prozent sind mittlerweile sogar sehr erschöpft (siehe Infografik). Diese Menschen sind schon müde, bevor sie zur Arbeit gehen. Ihre Batterien sind leer und nicht so leicht aufladbar. Dazu muss man wissen: Emotionale Erschöpfung ist das Leitsymptom von Burn-out.

Worauf führen Sie diese Erschöpfung zurück?

Emotionale Erschöpfung entsteht durch chronischen Stress, schlechte Erholung und ein schlechtes Verhältnis von Belastung und Ressourcen bei der Arbeit und im Privatleben. Wir gehen davon aus, dass der Hauptgrund im sogenannten Verdichtungsstress liegt: Infolge der Digitalisierung wird unsere Arbeit intensiver und dichter. Selbst wenn wir weniger Stunden arbeiten, fühlen wir uns erschöpfter, denn wir werden ständig unterbrochen, von Nachrichten und Informationen überflutet und überreizt, und es fällt uns immer schwerer, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Die Digitalisierung verstärkt zudem die Folgen unserer Schwächen: Wir spüren zum Beispiel generell zu spät, wann wir müde sind und eine Pause brauchen. Doch im Homeoffice müssen wir unsere Arbeitszeiten selber strukturieren – und machen folglich zu spät und zu wenig Pausen.

«Am besten legen Sie jede Stunde für fünf Minuten eine Pause ein.»

Achim Elfering

Das heisst, es würde schon helfen, häufiger Pausen einzulegen?

Ja, das ist ein einfacher, aber wirksamer Tipp. Am besten legen Sie jede Stunde für fünf Minuten eine Pause ein. Entscheidend ist, dass Sie sich während der Pause etwas ganz anderem widmen. Falls Sie beim Arbeiten sitzend auf den Bildschirm schauen, stehen Sie am besten auf, machen ein paar Schritte, dehnen sich und gucken in die Ferne. Wenn Sie hingegen körperlich schwer arbeiten, können Sie sich kurz hinlegen.

Was kann man sonst noch tun, um im Job gesund zu bleiben?

Zuallererst möchte ich betonen: In erster Linie tut uns Arbeit psychisch und sozial gut! Wenn wir arbeiten, erleben wir uns als kompetent, feiern Erfolge, lernen andere Menschen kennen, erfahren Anerkennung, bilden eine Identität aus. Arbeit stabilisiert unsere Psyche. Damit diese positiven Aspekte überwiegen, ist entscheidend, dass wir Fehlbelastungen vermeiden. Vermeiden Sie zu lange Arbeitszeiten, bringen Sie Abwechslung in Ihre Aufgaben, indem Sie zwischen Routine- und komplexen Tätigkeiten variieren. Und bewerben Sie sich auf Aufgaben und Stellen, die in Einklang stehen mit dem, was Sie gut können und gerne machen. Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann, der mit dem Konzept New Work einen grundlegenden Wandel der Arbeitswelt hin zu mehr Freiheit und Selbstverwirklichung angestossen hat, stellte Menschen die Frage «Was möchten Sie wirklich machen?». Das, was man darauf antwortet, sollte idealerweise Teil der Arbeit sein.

Mein Eindruck ist, dass das bei vielen Menschen nicht der Fall ist. Sollten sie kündigen und ihrer Berufung folgen?

Nicht zwingend. Wir sind eher zufrieden mit der Arbeit, wenn wir dort das bekommen, was wir möchten. Sie können daher auch im jetzigen Job versuchen, Ihre Arbeit zu verbessern und mehr von dem zu bekommen, was Sie anstreben. Diese Passung können Sie aber auch herstellen, indem Sie Ihre Erwartungen reduzieren. Im Sinne von: Meine Arbeit ist nicht ideal, aber woanders ist es auch nicht besser. Wir schätzen, dass 30 bis 40 Prozent der Erwerbstätigen sich in dieser resignativen Zufriedenheit eingerichtet haben. Auch wenn Sie kurz vor der Pensionierung stehen, ist das nicht gut. Aber bei jungen Arbeitnehmenden ist es verheerend.

Warum?

Der Übergang von der Lehre oder vom Studium in den Beruf ist ein entscheidender Moment. Dann sollten Sie Ihre Ansprüche und Ziele nicht etwa runterschrauben, sondern erhöhen. Denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie bessere Arbeitsbedingungen sowie abwechslungsreichere und spannendere Aufgaben bekommen. Und das sind wichtige Faktoren für die psychische Gesundheit im Job. Wenn Sie sich an diesem wichtigen Übergang mit wenig zufriedengeben, ist das später nicht einfach zu korrigieren.

«Beim Übergang von der Lehre oder vom Studium in den Beruf sollten Sie Ihre Ansprüche und Ziele nicht etwa runterschrauben, sondern erhöhen.»

Achim Elfering

Junge Erwachsene sind zunehmend psychisch belastet. Welche Rolle spielt da die Arbeit?

Die Ausbildung und die Arbeit sind das Beste für die psychische Gesundheit von jungen Menschen. Sie wirken stabilisierend, sie verschaffen ihnen Erfolge, einen besseren Selbstwert, eine höhere Selbstwirksamkeit. Aber tatsächlich ist laut der letzten Schweizer Gesundheitsbefragung jede fünfte Person zwischen 15 und 24 Jahren von Angststörungen, Sucht oder Depressionen betroffen. Junge sind emotional auch deutlich erschöpfter als Ältere. Das Wichtigste ist nun, dass junge Erwachsene trotz psychischer Belastungen den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen – und auch drinbleiben. Denn sonst wird es für ihren weiteren Lebensweg sehr schwer. Das bedingt aber, dass die Lehrmeisterinnen, die Lehrer und die Eltern zusätzliche Anstrengungen unternehmen und zusammenspannen, um etwa Anzeichen für eine Überforderung oder einen zwischenmenschlichen Konflikt zu erkennen und zu handeln. Die Universität Bern bietet zudem ab Herbst einen CAS an zum Umgang mit Mitarbeitenden – jungen wie älteren –, die psychische Probleme haben.

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Was können Arbeitgebende ganz allgemein tun, um ein gesundes Arbeitsklima zu schaffen?

Sie können ein sogenanntes psychosoziales Sicherheitsklima schaffen. Das beinhaltet zum Beispiel eine positive Fehlerkultur: Wenn wir Fehler machen, sollten wir weder Gesichtsverlust noch Bestrafung fürchten müssen. Stattdessen müsste die Devise gelten, aus Fehlern lernen zu wollen. Dadurch werden wir ermutigt, neue Aufgaben zu übernehmen. Zudem können sich alle mit Kritik und Vorschlägen einbringen. Das ist eine Kultur, die sich jüngere Arbeitnehmende aus der Schule gewohnt sind und die sie in der Arbeitswelt einfordern. Eine solche Kultur verstärkt übrigens auch die Arbeitssicherheit, weil Fehler und Beinahe-Unfälle gemeldet werden. Daraus kann man Lehren ziehen und dadurch Unfälle verhindern.

Welche Rolle spielen dabei Vorgesetzte?

Eine grosse! Eine Firma kann sich eine positive Fehlerkultur auf die Fahne schreiben, doch sie muss auch vorgelebt werden. In dem Moment, in dem Vorgesetzte Mitarbeitende anschreien, weil ihnen ein Fehler unterlaufen ist, ist diese positive Fehlerkultur passé. Bemerkenswert ist: Wenn Menschen kündigen, verlassen sie meistens nicht ihre Aufgaben oder ihre Organisation, sondern ihre Vorgesetzten. Ein sehr einfaches Mittel, wie Vorgesetzte das Arbeitsklima verbessern können, ist übrigens Lob. Es kostet nichts, aber es ist sehr wirksam. Denn wenn ich Mitarbeitende für gute Leistungen lobe, drücke ich Wertschätzung aus – und das ist eine sehr kraftvolle Ressource. Trotzdem wird mit Lob oft gespart, obwohl die Leistungen gut sind. Manche Vorgesetzte begründen das damit, sie hätten keine Zeit und müssten sich darum kümmern, was schlecht läuft. Zudem befürchten manche, dass sich Lob abnutzt. Doch dem ist nicht so, Lob unterliegt nicht der Inflation. Loben Sie gute Leistungen so oft wie möglich!

«Loben Sie gute Leistungen so oft wie möglich! Denn Lob unterliegt nicht der Inflation.»

Achim Elfering

Welche Führungsstile fördern die Gesundheit?

Wir unterscheiden zwischen humanorientierter und aufgabenorientierter Führung. Aufgabenorientierte Führung legt den Fokus auf alles, was dazu dient, dass die Aufgaben schneller und besser erledigt werden. Die Menschen stehen nicht im Fokus. Das kann gut funktionieren, solange alle Mitarbeitenden sich den Arbeitszielen verpflichtet fühlen und sich alle gut verstehen. Wenn das nicht der Fall ist, wird humanorientierte Führung unabdingbar. Humanorientierte Vorgesetzte legen Wert auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, indem sie dafür sorgen, dass das Arbeitsklima gut ist, dass die einzelnen Mitarbeitenden sich weiterentwickeln können, dass sie ihr Berufs- und Privatleben vereinbaren können. Man spricht auch von Empowerment. Zentral sind Handlungsspielräume: Mitarbeitende sollten mitentscheiden können, mit wem, wie oder in welcher Reihenfolge sie Aufgaben erledigen.

Jemand, der im Supermarkt an der Kasse sitzt, hat diese Handlungsspielräume nicht.

Doch, auch da können Arbeitgebende Handlungsspielräume ermöglichen. Etwa wenn die Kassen spiegelverkehrt gebaut sind, sodass eine Kassiererin die Belastung von der einen auf die andere Hand verlagern kann, wenn zum Beispiel ihre linke Schulter zu schmerzen beginnt. Handlungsspielraum bedeutet auch, zwischen stehenden und sitzenden Arbeitspositionen wechseln zu können und zu aggressiven Kundinnen und Kunden nicht immer nur freundlich sein zu müssen.

Mit der Digitalisierung und mit New Work verändert sich unsere Arbeitswelt. Wie beeinflusst das unsere psychische Gesundheit?

Diese Veränderungen sind Stressor und Ressource zugleich. Das sehen wir allein am Beispiel Homeoffice. Da haben Sie den Vorteil, dass Sie sich viele Wege und Zeit sparen. Andererseits fehlt Ihnen durch das Pendeln die Übergangszeit, um sich von der Arbeit zu lösen und auf das Private einzustellen. Deshalb empfehlen wir, nach der Arbeit im Homeoffice fünf Minuten nach draussen zu gehen, um sich auf die nächste Rolle oder Tätigkeit vorzubereiten. Das ist nur ein kleines Beispiel für einen typischen Nachteil der komplexer gewordenen Arbeitswelt: Arbeitnehmende haben viel mehr Selbstmanagement-Aufgaben. Sie müssen selber regeln, wann und in welchem Raum sie arbeiten oder wie sie im Homeoffice zu genug Bewegung kommen und nicht vereinsamen. Sie müssen zusehen, wie sie inoffizielle Informationen aus der Organisation auch im Homeoffice mitbekommen. Alle Arbeitnehmenden sind viel stärker Manager ihrer eigenen Laufbahn und müssen sich ein Leben lang um Weiterbildungen und ihre «Employability» kümmern. Für jemanden, der emotional eh schon erschöpft ist, ist das alles zu viel.

«Gehen Sie nach der Arbeit im Homeoffice fünf Minuten nach draussen, um sich auf die nächste Rolle oder Tätigkeit vorzubereiten.»

Achim Elfering

Wo liegen die Chancen der neuen Arbeitswelt?

Menschen können und müssen viel dazulernen und bleiben dadurch im Kopf beweglich. Dank digitaler Ressourcen wie KI-Chatbots können sie ihre Aufgaben leichter so auswählen und gestalten, dass sie besser ihren Stärken und Interessen entsprechen. Die Digitalisierung kann so die Sinnhaftigkeit, die Selbstentfaltung, die Motivation und die Zufriedenheit fördern. Ausserdem kann Künstliche Intelligenz beispielsweise in der Arbeitsplanung Vorteile bringen, indem etwa Schichtpläne fairer und transparenter gestaltet werden. Die Arbeitnehmenden können ihre Wünsche angeben, das KI-Programm sucht dann diejenige Einteilung, welche die Wünsche der Mitarbeitenden und die Anforderungen der Firma am besten zusammenbringt. Zusätzlich hat die Führungsperson die Möglichkeit, das Programm bei Bedarf zu übersteuern. Am Ende können die Arbeitnehmenden überprüfen, was die KI gemacht hat, wie viele ihrer Wünsche – auch im Vergleich zu anderen Mitarbeitenden – berücksichtigt worden sind und wann die Führungsperson übersteuert hat. Diese Transparenz steigert die Akzeptanz und die Zufriedenheit. Und die KI hilft so, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren.

Zur Person

Achim Elfering

ist ausserordentlicher Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bern. Seine Forschungsschwerpunkte sind Arbeit und Gesundheit, Stress, Arbeits- und Patientensicherheit, Arbeitszufriedenheit und positives Feedback. Er ist mitverantwortlich für den Job-Stress-Index, der seit 2014 alle zwei Jahre die psychische Gesundheit und den Stress der Schweizer Erwerbstätigen sowie die ökonomischen Folgen untersucht (siehe Infografik Seite 26). Dieser Index wird von der Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Team der Universität Bern (Sibylle Galliker, Norbert Semmer, Achim Elfering) und der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW herausgegeben.

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Arbeitswelt im Wandel

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Arbeitswelt im Wandel»

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