Astronomie
Noch schärfere Bilder aus dem Observatorium Zimmerwald
Luftturbulenzen beeinträchtigen die Beobachtungen des Weltalls von der Erde aus. Für das Observatorium Zimmerwald unterstützt der Bund mit drei Millionen Franken die Entwicklung eines optischen Systems, das die störenden Effekte in Echtzeit korrigieren wird.
Die Luftunruhe in der Erdatmosphäre lässt die Sterne funkeln. Das wirkt im Alltag romantisch. Für die Astronomie ist es hingegen ein Problem: Sonne, Planeten, Sterne oder Satelliten erscheinen beim Blick durchs Teleskop aufgrund der Luftunruhe unscharf. Auch die Bilder der Internationalen Raumstation (ISS), aufgenommen von der Sternwarte Zimmerwald, sind ursprünglich verschwommen und zeigen erst nach einer Nachbearbeitung Details wie angedockte Raumfahrzeuge. «Mit einer sogenannten adaptiven Optik wollen wir bereits das Ausgangsbild viel schärfer machen», sagt Lucia Kleint, Direktorin des Observatoriums und Professorin an der Universität Bern. Die adaptive Optik kompensiert die Verzerrungen, indem sie das Teleskop-Spiegelsystem in Echtzeit aktiv anpasst.
«Mit der adaptiven Optik wollen wir das ursprüngliche Bild viel schärfer machen.»
Lucia Kleint
Drei Millionen Franken vom Bund
Die Entwicklung des neuen Optik-Systems für Zimmerwald ist eines von nur zwei Projekten, die der Bund im Rahmen seines MARVIS-Programms zur Förderung ausgewählt hat. MARVIS steht für «Multidisciplinary Applied Research Ventures in Space», übersetzt: «multidisziplinäre Projekte der angewandten Weltraumforschung», und soll die Position der Schweiz in der Weltraumforschung stärken. Das Optik-Projekt erhält im Zeitraum von 2025 bis 2029 einen Bundesbeitrag von drei Millionen Franken. (Mit dem gleichen Betrag unterstützt der Bund ein Roboter-Projekt der ETH Zürich und der Fachhochschule Ostschweiz.)
«Wir wussten, dass wir einen überzeugenden und aktuellen Vorschlag eingereicht hatten», sagt Jonas Kühn, Assistenzprofessor an der Universität Bern und einer der Mitantragsteller des Projekts: «Unsere Projektziele stehen im Einklang mit den Zielen, welche die Roadmap für die Schweizer Weltraumpolitik auflistet.» Weitere Mitantragsteller sind Dr. Mathieu Salzmann von der EPF Lausanne sowie die Firma «s2a systems Sàrl». Das Projekt heisst TESSA, kurz für «Technologies to Enhance Space Situational Awareness», deutsch «Technologien zur Verbesserung der Weltraumlage-Erfassung».
«Zimmerwald ist die grösste, professionelle Sternwarte in der Schweiz.»
Lucia Kleint
TESSA soll mit Hilfe adaptiver Optik hochaufgelöste Bilder liefern, die Satelliten auf ihrer Erdumlaufbahn zeigen. Darauf wird man erkennen, wie sich ein Satellit bewegt, ob er stabil ist oder taumelt, und ob beispielsweise die Sonnensegel beschädigt sind – wichtige Informationen für Satellitenbetreiber wie die Europäische Raumfahrtorganisation ESA. Geplant sind aber auch astronomische Beobachtungen. «Zudem können wir das Optik-System vielleicht so bauen, dass es sich kommerzialisieren lässt», sagt Kleint.
Adaptive Optik gehört zwar bei den Grossteleskopen in Chile, auf Hawaii und La Palma zu den Standardinstallationen, doch in der Schweiz gibt es bisher kein Teleskop mit einem solchen System. «Zimmerwald ist die grösste professionelle Sternwarte in unserem Land», sagt Kleint. Zwar ist das Teleskop, für das TESSA entwickelt wird, mit einem Spiegeldurchmesser von 80 Zentimetern im Vergleich zu jenen in Chile vergleichsweise klein, doch optisch so gut, dass sich die Aufrüstung auf jeden Fall lohnen wird. Kleint: «Das gegenwärtige Limit bei den Beobachtungen ist unsere Luftturbulenz, nicht das Fernrohr.»
Spiegel verformt sich in Echtzeit
Herzstück des adaptiven Optik-Systems ist ein zusätzlicher, dünner Spiegel, der sich sehr schnell verformen kann. Ein Sensor misst, wie das Licht momentan durch die Luft verzerrt wird. Ein Computer berechnet, wie sich der Spiegel biegen muss, um diese Verzerrung auszugleichen, und sendet die entsprechenden Kommandos. «Der verformbare Spiegel muss genau das Gegenteil von dem machen, was in der Atmosphäre geschieht», erklärt Kleint: «Er muss seine Form mehrere hundert Mal pro Sekunde anpassen, und zwar in Echtzeit.» Damit dies gelingt, sind unter dem Spiegel viele sogenannte Aktuatoren eingebaut: kleine Elemente, welche den Spiegel lokal ziehen oder drücken, sodass er sich blitzschnell verbiegt.
«Wir wussten, dass wir einen überzeugenden und aktuellen Vorschlag eingereicht hatten.»
Jonas Kühn
Bei der Entwicklung von TESSA stützt sich das Team auf die Erfahrungen, die beim Bau eines adaptiven Optik-Systems für ein Schweizer 1,2-Meter-Teleskop im chilenischen La Silla gemacht wurden. Die Schwierigkeit: Das System wurde ursprünglich für die Beobachtung weit entfernter Sterne entwickelt. «Wir müssen das Design so anpassen, dass es schnell fliegende Objekte in niedriger Umlaufbahn mit hoher Kadenz abbilden kann», erklärt Kühn: «All dies auf einem kleineren 0,8-Meter-Teleskop, bei dem das zusätzliche Instrument nicht zu gross und zu schwer sein darf.» Noch dazu sei die Schweiz als Beobachtungsort nicht ganz so gut wie Chile, weil das Wetter nicht immer ideal ist und die Luftunruhe grösser ist. «Aber unsere Messungen zeigen, dass Zimmerwald für die Schweiz sehr gute Bedingungen hat», so Kleint.
Neben den Satelliten-Beobachtungen will Lucia Kleint in Zimmerwald auch Eruptionen auf Sternen verfolgen. Diese Forschung soll unter anderem dazu beitragen, die Eruptionen auf unserer Sonne besser zu verstehen und das Weltraumwetter vorherzusagen: Sonnenstürme können auf der Erde zu erhöhten Strahlungswerten, Stromausfällen und Störungen von Navigations- und Kommunikationssignalen führen und sogar Satelliten zum Absturz bringen.
Für die Erforschung von Sterneruptionen erhielt Kleint 2022 einen der sehr begehrten ERC-Consolidator Grants der Europäischen Union. Mithilfe des Grants entwickelt sie mit ihrem Team zurzeit in ihrem Optik-Labor an der Universität Bern ebenfalls ein neues, bisher einzigartiges Instrument für das Observatorium Zimmerwald. Wenn alles fertig gebaut ist, soll das Instrument für die Beobachtung der Sterneruptionen mit TESSA verbunden werden. «Man würde kaum glauben, dass man diese beiden Projekte – die Beobachtungen von Satelliten und Sterneruptionen – miteinander verbinden kann», sagt Kleint: «Doch auf diese Weise ist es möglich und hat gegenseitige Vorteile.»
Prototypen testen
Jonas Kühn und sein Team wollen TESSA derweil als «On-Sky»-Labor nutzen für Tests von Komponenten für zukünftige astronomische Instrumente, die in Bern oder anderswo in der Schweiz entwickelt werden. Diese sollen dereinst in den Grossteleskopen in den chilenischen Anden zum Einsatz kommen, das heisst im Very Large Telescope VLT mit seinen Acht-Meter-Spiegeln und im Extremely Large Telescope (ELT) mit seinem 39-Meter-Spiegel, das sich derzeit noch im Bau befindet.
«TESSA wird eine ideale Plattform sein, um unseren Studierenden und Forschenden zu zeigen, wie man astronomische Beobachtungen mit adaptiver Optik durchführt.»
Jonas Kühn
«Die Tatsache, dass der Standort Zimmerwald nur zwanzig Autominuten von Bern entfernt ist, macht dies sehr attraktiv», sagt er: «Und TESSA wird sich sicherlich auch als ideale Plattform erweisen, um unseren Studierenden und Forschenden zu zeigen, wie man astronomische Beobachtungen mit adaptiver Optik durchführt.»
Zur Person
Lucia Kleint
ist Professorin am Astronomischen Institut der Universität Bern (AIUB). Sie leitet das Observatorium Zimmerwald sowie die Spaceweather-Forschungsgruppe an der Universität Bern und ist Co-Direktorin des Astronomischen Instituts.
Zur Person
Jonas Kühn
ist Assistenzprofessor in der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie des physikalischen Instituts der Universität Bern (WP). Er entwickelt neue Konzepte für astronomische Instrumentierung.
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