Mode aus entsorgten «Aareböötli»

Sie wollen die ökologisch problematischen Folgen des «Aareböötlens» angehen: Elmo Francis und Yannick Käser verarbeiten weggeworfene Gummiboote zu stylischen Taschen.

Aareböötle
Sommerliche Freizeitbeschäftigung mit Folgen: Viele Gummiboote werden nach Gebrauch an der Aare liegen gelassen.

«Da komme ich ja gerade richtig», sagte sich Elmo Francis, als er im Sommer 2023 las, wie Marieke Kruit, die heutige Berner Stadtpräsidentin, auf Social Media klagte, an der Aare liegen gelassene Gummiboote stellten ein ernsthaftes Abfallproblem dar. Francis dachte nämlich darüber nach, wie er ein Projekt zur Wiederverwertung von Plastikabfällen, das er in seiner Heimat Sri Lanka gestartet hatte, in Bern weiterführen könnte. Seine Idee: aus weggeworfenen Gummibooten gestylte, praktische Taschen herstellen.

Zwei Jahre später stehen Elmo Francis und sein Geschäftspartner Yannick Käser bei der Auswasserungsstelle für Gummiboote im Berner Marzili und sprechen über die Pläne für ihr Jungunternehmen Boat2Bag. Zwar ist es bereits brütend heiss, doch an diesem Sommervormittag sind noch keine Boote in Sicht. Und vom Chaos, das hier am Wochenende regelmässig herrscht, ist nichts zu sehen. Auf das Littering-Problem deuten nur grosse Banner hin mit Aufschriften wie «Letzte Reise für kaputte Böötli» oder «Hier für immer Abschied nehmen». Mit diesen launigen Sprüchen fordert die Stadt Bern die «Aareböötlerinnen und -böötler» auf, ihre Gefährte korrekt zu entsorgen, wenn sie sie denn schon nicht weiterverwenden wollen.

Drei Tonnen entsorgte Boote

Eben erst gekaufte Freizeitgeräte einfach liegen lassen? Viele Fans des Berner Sommervergnügens seien wohl schlicht zu bequem, um die Boote mitzunehmen, meinen die Firmengründer achselzuckend – oder vielleicht hätten sie auch ein Bier zu viel getrunken. Tatsache ist: In der vergangenen Saison hat Boat2Bag aus der Abfallmulde speziell für Gummiboote beinahe drei Tonnen Rohmaterial bezogen, was rund 150 Booten entspricht. Manche davon, so erzählt Elmo Francis, seien für die Produktion der Taschen leider nicht mehr in einem idealen Zustand. Denn damit das Entsorgen möglichst unkompliziert geht, wird die Luft nicht langsam abgelassen, sondern werden einfach die Luftkammern der Boote aufgeschlitzt. Das erschwere das Zuschneiden für die Herstellung der Taschen, so Francis.

Gummiboote
Die entsorgten Gummiboote werden für das Upcycling gereinigt, zugeschnitten und anschliessend zu Taschen und Rucksäcken verarbeitet.

Bereits nach einer Saison hat sich die Zusammenarbeit zwischen Boat2Bag und dem Tiefbauamt der Stadt Bern gut eingespielt: Wenn die Mulde bei der Dalmazibrücke voll ist, werden die Jungunternehmer benachrichtigt und diese transportieren dann die entsorgten Boote in ihr Lager in einem ehemaligen Postgebäude beim Bahnhof Gümligen. Dort wird der Rohstoff fürs Upcycling gereinigt, zugeschnitten und schliesslich in die Urner Nähmanufaktur KoKoTé gebracht, die seit zehn Jahren Taschen, Rucksäcke und Accessoires herstellt. Solange sie nicht in Bern produzieren könnten, so die Boat2Bag-Gründer, sei dieses Unternehmen ein idealer Partner, da es sich einer fairen und nachhaltigen Produktion verschrieben habe.

Magazin uniFOKUS

«Ein Teil von Bern»

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Ein Teil von Bern»

Gemeinsam gegen Plastikmüll

Elmo Francis und Yannick Käser haben sich an der Universität Bern kennengelernt. Francis besuchte Veranstaltungen im Rahmen des Projekts «Offener Hörsaal», das geflüchteten Menschen einen Zugang zur Hochschulbildung bieten wollte, und Käser arbeitete im Vorstand der Studierendenschaft der Universität Bern (SUB), die dieses Mentoring-Programm zwischen 2016 und 2023 durchführte. Als Elmo Francis vor vier Jahren als Asylsuchender in die Schweiz kam, hatte er bereits eine beeindruckende Karriere vorzuweisen. Nicht nur war er ein erfolgreicher Bergsteiger und betrieb Schwimmen als Wettkampfsport, sondern machte der heute 48-Jährige auch einen Masterabschluss in Human Relations und arbeitete in Colombo lange im Topmanagement einer grossen Bank. Yannick Käser (34) seinerseits hat an der Universität Bern einen Master in Geschichte und Nachhaltigkeitswissenschaften gemacht und sich neben seiner Tätigkeit in der SUB auch in der Hochschulpolitik engagiert.

Global denken, lokal handeln

Der mittlerweile in der Schweiz anerkannte politische Flüchtling fragte den Historiker mit Nachhaltigkeits-Background um Rat bei der Konkretisierung seiner Projektidee, und daraus ergab sich schliesslich die Gründung eines gemeinsamen Kleinunternehmens mit grossen Ambitionen. «If you don’t think big, you are limiting yourself», erklärt Elmo Francis.

Elmo Francis und Yannick Käser
Das sommerliche «Aareböötle» endet oft mit entsorgten Gummibooten. Yannick Käser (links) und Elmo Francis fertigen daraus in ihrem Start-up Boat2Bag neue Taschen.

Das Start-up stiess denn auch von Beginn weg auf grosses Interesse. So wählte etwa die Initiative Students4Sustainability, die Nachhaltigkeitsprojekte an den Berner Hochschulen unterstützt, Boat2Bag als Förderprojekt aus und sprach ihm 10 000 Franken zu. Das Innovation Office der Universität Bern lud das Start-up zu seinem Innovators Unplugged Event ein. Die Promotionsorganisation Wirtschaftsraum Bern stellt Boat2Bag auf ihrer Website mit einem Video ins Rampenlicht. Und vor Kurzem zeichnete die europäische Universitätsallianz ENLIGHT die Upcycler aus Bern mit einem Nachhaltigkeitspreis aus.

Crowdfunding zur Kapitalbeschaffung

Ein erstaunliches Echo für ein Start-up, das noch ganz am Anfang steht. Verkauft hat Boat2Bag nämlich erst eine sehr überblickbare Anzahl von Produkten. Vom Rucksackmodell «Rhein» à 200 Franken etwa sind es 15 Stück. Das hat damit zu tun, dass die Taschen noch nicht in Läden angeboten werden und der Webshop erst im Juni 2025 aufgeschaltet wurde. Doch auch dort gibt es im Moment nichts zu kaufen. Alle fünf aufgeführten Produkte – vom Etui bis zur Laptop-Tasche – sind ausverkauft. Das Problem des Start-ups: Es fehlt an Kapital. Boat2Bag kann es sich nicht leisten, einen Grundstock von Produkten produzieren zu lassen. Aktuell müssen Interessentinnen und Interessenten die Ware im Voraus bezahlen, erst dann wird sie hergestellt. Nun aber sind die Gründer intensiv auf Geldsuche. Zum einen haben sie ein Crowdfunding gestartet, zum anderen wollen sie unter anderem die Gemeinde Muri und die kantonale Standortförderung um Unterstützung angehen.

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Die Resonanz, von der andere Start-ups nur träumen können, lässt sich wohl durch das Geschäftsmodell von Boat2Bag erklären. In Zeiten, in denen die Transformation unseres ganzen Wirtschaftssystems gefordert ist, sind Vorzeigebeispiele für funktionierendes Upcycling gefragt. «Wir wollen andere Leute dazu inspirieren, sich unserer Bewegung anzuschliessen», sagt Elmo Francis. Ein Littering-Problem mit Gummibooten gibt es schliesslich nicht nur an der Aare, sondern auch in Städten wie Basel, Zürich oder Berlin. Und Yannick Käser findet, Boat2Bag sei eben kein gewinnorientiertes Start-up, sondern eine «Ökoinitiative mit Mission» – wobei: Sich einmal einen Lohn bezahlen zu können, wäre schon nicht schlecht.