Hans-Sigrist-Preis 2025
«Wir können nicht darauf hoffen, dass uns die Richter retten»
Die norwegisch-deutsche Jura-Professorin Christina Voigt erhält den mit 100'000 Franken dotierten Hans-Sigrist-Preis der Universität Bern. Sie wird für ihre Leistungen bei der Weiterentwicklung des internationalen Klimarechts geehrt.
Zielgerichtet kann man diese Karriere nennen, aber geradlinig ist sie nicht. Eigentlich war Christina Voigt nach ihrem Jura-Studium im deutschen Passau in eine Anwaltspraxis in Regensburg eingestiegen, und zwar mit Erfolg. Immer nur die persönlichen Interessen ihrer Klientinnen und Klienten zu vertreten, war ihr indes nicht genug. Sie hatte als Juristin grössere Ambitionen und wollte etwas fürs allgemeine Wohl tun.
Christina Voigt entschied sie sich für ein Zusatzstudium im Umweltrecht – eine Spezialisierung, die in ihrem Studium in Passau gar nie ein Thema gewesen war.
Doch an der University of Auckland konnte man schon Anfang der 2000er Jahren einen Master in Environmental Law machen. Also ab nach Neuseeland, obwohl ihre Berufskolleginnen und -kollegen warnten: «Christina, du bist verrückt, deine berufliche Zukunft so aufs Spiel zu setzen.» Mit dreissig wurde sie wieder Studentin.
«Die Zeit in Auckland war eine Erleuchtung», sagt Christina Voigt heute, «ich lernte nicht nur ein ganz neues Rechtsgebiet kennen, sondern traf auch engagierte Menschen. Juristinnen und Juristen, die sich der Umwelt verpflichtet fühlten und sich darüber Gedanken machten, wie sich das Recht dazu einsetzen liesse, diese zu schützen.»
«Die Zeit als Studierende in Auckland war eine Erleuchtung.»
Christina Voigt hatte das Feld gefunden, in dem sie sich mit dem grossen Ganzen beschäftigen konnte und beschloss, es mit einer akademischen Karriere zu versuchen. Sie entschied sich, eine Doktorarbeit zu schreiben. «Mach etwas zum Klimawandel», riet der Betreuer ihrer Masterarbeit in Auckland, «das ist ein Problem, das uns noch lange beschäftigen wird.»
Innovative juristische Forschung
Voigt nahm sich den Rat zu Herzen und suchte nach möglichen Doktorierenden-Stellen – fündig wurde sie an der Universität Oslo in Norwegen. In der Folge entwickelte sie sich zu einer herausragenden Wissenschaftlerin und Politikberaterin. Und nun wird die 53-Jährige für ihre Leistung mit dem Hans-Sigrist-Preis der Universität Bern geehrt. Die Jury preist sie als «aussergewöhnlich produktive Wissenschaftlerin», die «wichtige und innovative Arbeiten» zu einer breiten Palette von Themen verfasst habe.
Das Neuartige an ihrer Forschung, so meint die Preisträgerin selbst, sei wohl zu überlegen, welche Rechtskonzepte sich in anderen Kontexten als wertvoll erwiesen hätten. Diese gelte es in den Klimadiskurs einzubringen. Innovativ zu sein, bedeute aber vor allem, «vorauszudenken, welche Herausforderungen auf uns als globale Gemeinschaft zukommen und vorbereitet zu sein, mit unterschiedlichen, juristischen Argumenten darauf zu reagieren.»
Diesen Blick nach vorne hat Christina Voigt nicht zuletzt als Politikberaterin entwickelt. Dazu liess sie sich von ihrer Universität frei- und vom norwegischen Umweltministerium anstellen. Und wieder schüttelten ihre Berufskolleginnen und -kollegen ungläubig den Kopf. «Christina, das ist das Ende deiner akademischen Karriere.» Doch es kam anders. Christina Voigt wurde zur juristischen Verhandlungsleiterin Norwegens bei den internationalen Klimakonferenzen – und kehrte nach drei Jahren im Umweltministerium wieder an die Uni zurück. 2012 wurde sie schliesslich von der Universität Oslo zur ordentlichen Rechtsprofessorin berufen.
Eindrückliche Publikationsliste
Erhalten habe sie diese Stelle nicht, weil sie als Verhandlerin ausgiebig Praxisluft geschnuppert habe, sondern ihrer Publikationsliste wegen, räumt die Hans-Sigrist-Preisträgerin ein. «Deine Qualifikation basiert auf dem akademischen Output», sagt sie, «das ist immer noch so.»
Publizieren bedeutete im Fall von Christina Voigt lange Nächte und wenig Schlaf. Denn ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit konnte sie sich erst nach dem Arbeitstag im Ministerium widmen – nicht zu sprechen von den beiden Kleinkindern daheim. «Das war keine einfache Zeit, aber ich wusste, dass ich das tun musste. Nicht in erster Linie, um eine akademische Karriere aufzubauen, sondern weil ich das Bedürfnis hatte, einem grösseren Publikum zu sagen, was in den Klimaverhandlungen vor sich geht, welche umstrittenen Punkte es gibt und welche möglichen Lösungen denkbar wären.»
«Meine Studierenden schätzen es, dass ich vermitteln kann, wie Klimaverhandlungen funktionieren.»
Ihre besondere Position zwischen Politik, internationalen Verhandlungen und Forschung verhelfen Christina Voigt zu aussergewöhnlicher Glaubwürdigkeit: «Rückblickend war diese Kombination sowohl für meine Forschung als auch für die Lehre extrem hilfreich. Die Studierenden schätzen es sehr, dass ich mit einer gewissen Authentizität vermitteln kann, wie Klimaverhandlungen tatsächlich funktionieren».
Übertriebene Hoffnungen in die Klimajustiz?
In Sachen Klimarecht hinkt die Schweiz Ländern wie Norwegen hinterher, auch wenn an der Universität Bern zurzeit ein entsprechender Lehrstuhl aufgebaut wird. Noch weit weniger sichtbar als an den Rechtsfakultäten sind die juristischen Aspekte des Klimaschutzes in der Öffentlichkeit.
Schlagzeilen machte erst die Klage der Klimaseniorinnen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, die 2024 zu einer Verurteilung der Schweiz führte. Welche konkreten Folgen das Urteil für die Schweizer Klimapolitik hatte, ist umstritten. Machten sich die Klimaschützerinnen und Klimaschützer allzu grosse Hoffnungen, als sie den Sieg der Klimaseniorinnen feierten? Ist die Hebelwirkung der Klimajustiz nicht so gross, wie manche meinen?
Christina Voigts Antwort fällt nuanciert aus: «Klimaklagen sind ein legitimer Weg. Es gilt alle Pfeiler eines demokratischen Systems zu nutzen, um Veränderungen herbeizuführen.» Sie denke allerdings nicht, dass Klagen die einzige Lösung sind: «Klagen sollten und können nicht die Hauptrolle spielen. Wir können nicht darauf hoffen, dass uns die Richter retten, wenn es die Wissenschaftler und die politischen Entscheidungsträger nicht tun.»
«Klimaklagen sind ein legitimer Weg, um Veränderungen herbeizuführen.»
Doch der Klimawandel sei eine derart komplexe Herausforderung, dass «alle Hände an Deck» gefragt seien – auch jene der Justiz. Das juristische Argumentarium, mit dem Klimaklagen geführt würden, so die Hans-Sigrist-Preisträgerin, sei ein Set von Werkzeugen. «Dass diese Toolbox jetzt auch vor internationalen Gerichten bis hin zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag zum Einsatz kommt, gibt mir Hoffnung. Und es erfüllt mich mit Freude, an der Entwicklung dieser Werkzeuge beteiligt gewesen zu sein. Das gibt mir das Gefühl, zu etwas Grösserem beigetragen zu haben.»
Genauso wie eines ihrer weiteren Engagements: Christina Voigt spielt eine wichtige Rolle bei der International Union for Conservation of Nature (IUCN), einer grossen NGO mit Sitz in Gland am Genfersee. Seit 2021 leitet sie die Weltkommission für Umweltrecht der IUCN, ein weltweites Netzwerk von Experten für Umweltrecht und Politik. Und als Chefjuristin vertritt Christina Voigt die IUCN auch vor Gericht. So etwa kürzlich vor dem höchsten UN-Gericht, dem Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag.
Zur Person
Christina Voigt
ist ordentliche Professorin an der Universität Oslo, Norwegen. Sie ist Expertin für internationales Umweltrecht und befasst sich insbesondere mit Rechtsfragen des Klimawandels, der Erhaltung der biologischen Vielfalt, des Umweltmultilateralismus und der Nachhaltigkeit. Darüber hinaus ist Christina Voigt Mitglied – und war von 2019 bis 2024 Vorsitzende – des UN-Sachverständigenausschusses für die Einhaltung des Pariser Vertragsabkommens.
Hans-Sigrist-Preis und Hans-Sigrist-Symposium
Der Stiftungsrat der Hans-Sigrist-Stiftung wählt das Preisfeld jedes Jahr aus Vorschlägen der Fakultäten der Universität Bern aus. Der Preis wird in Anerkennung von Forschungsleistungen und zur Unterstützung zukünftiger Forschungsvorhaben verliehen. Die Preisträgerinnen und Preisträger verwenden den mit 100'000 CHF dotierten Preis zur Finanzierung weiterer Forschung im Preisfeld. Zwei frühere Hans-Sigrist-Preisträger wurden inzwischen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
2025 wird der Hans-Sigrist-Preis 2025 im Gebiet Klimarecht verliehen. Preisträgerin Christina Voigt wird am Freitag, 6. Dezember 2025, im Rahmen des Hans-Sigrist-Symposiums 2025 vorgestellt. Das diesjährige Symposium wird vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern organisiert. Der Hans-Sigrist-Preis wird dann am Dies academicus der Universität Bern übergeben, der dieses Jahr am Samstag, 6. Dezember im Casino Bern stattfinden wird.
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