Uni schafft Gesprächsraum

Der ungelöste Nahost-Konflikt treibt Uniangehörige weiter um. Zwei Fakultäten der Universität Bern haben deshalb mit einer Paneldiskussion den Austausch eröffnet. Das Fazit: Es brauche nicht nur Formate, die Wissen vermitteln, sondern auch solche, die den Meinungsaustausch fördern.

Die Panel-Teilnehmenden: Nicola Leuchter, René Bloch, Katharina Heyden, Luca Daniele Di Blasi, Nijmi Edres, Moderator Günther Baechler, Melanie Ammeter, Charles Heller, Ali Sonay, Axel Stähler, Christoph Ramm.

Die studentischen Proteste gegen die Politik Israels sind zumindest vorläufig abgeflaut. Aber die Universität beschäftigt das Thema weiter. Das wurde auch deutlich, als am Montag, 26. Mai 2025, die Philosophisch-historische und die Theologische Fakultät eine universitätsinterne Veranstaltung ausrichteten.

Der 120-plätzige Saal war übervoll, als Rektorin Virginia Richter ihr Grusswort vortrug. Sie räumte ein, es sei höchste Zeit für ein solches Gespräch. «Und gleichzeitig ist es etwas traurig, dass es Mut braucht, sich öffentlich zu diesem Thema zu äussern.» Die Veranstaltung sei ein erster solcher Versuch, den nötigen Gesprächsraum zu schaffen.

Nahost-Konflikt in akademischen Diskursen

Richter betonte, das Thema der in dieser Art neuen Variante der «UniBE talks» seien nicht die Gewalttätigkeiten in Israel und Palästina selbst, sondern «der Nahost-Konflikt in unseren akademischen Diskursen», so wie auch der Titel des Events lautete. Tatsächlich konzentrierten sich die meisten Wortmeldungen in der zweistündigen Veranstaltung auf die Art und Weise, wie in einer derart heiklen Sache miteinander gesprochen werden kann.

«Höchste Zeit für ein solches Gespräch»: Virginia Richter, Rektorin der Universität Bern.

«Offenheit gehört zur Universität»

Richter blickte kurz zurück, wie der Überfall vom 7. Oktober 2023 auch die Uni-Welt umgekrempelt hatte. Neben einem heftigen akademischen Diskurs sei es auch zu moralischer Rechthaberei gekommen, zu offenem Rassismus und generell zu einer Polarisierung der akademischen Welt. Besonders störte die Rektorin, dass statt einer direkten Diskussion das indirekte Sprechen dominierte, von symbolischen Aktionen über offene Briefe bis zur Besetzung der Universität. «Ich bevorzuge hingegen das offene Gespräch, das eigentlich selbstverständlich für den zwischenmenschlichen Umgang ist», so Richter – und hoffte, das Panel möge der Beginn eines weiterführenden Dialogs sein.

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Zehn Personen auf dem Panel und ein diskussionsfreudiges Publikum – die anspruchsvolle Versuchsanlage machte es umso wertvoller, dass die Veranstaltung von Günter Baechler geleitet wurde. Der erfahrene Diplomat und Mediator hatte unter anderem vor Jahren an der Universität Bern Konfliktforschung gelehrt.

«Um Argumente ringen, um so der Wahrheitsfindung näherzukommen»: René Bloch, Leiter des Instituts für Judaistik.

Dass es nicht nur ums Sprechen, sondern stärker noch ums Zuhören geht, machte René Bloch deutlich. Der Leiter des Instituts für Judaistik meinte, die Professorinnen und Professoren sollten wie Studierende um Argumente ringen, um so der Wahrheitsfindung näherzukommen. Gleichberechtigt reden statt dozieren, das wäre auch in Nahost nötig, so Bloch. Denn 600 Tage nach dem schwarzen 7. Oktober seien beide Parteien engstens mit dem Ereignis verhängt. «Sie werden miteinander leben müssen – oder sie werden zusammen zugrunde gehen», prognostizierte Bloch. Es sei fatal, dass Zwischenstimmen kaum Gehör fänden, sondern niedergeschrien würden. Umso wichtiger seien Veranstaltungen wie diese.

Grautöne sind selten geworden

Katharina Heyden, Professorin am Institut für Historische Theologie, analysierte, warum uns der Krieg in Nahost noch sprachloser macht als andere bewaffnete Konflikte. Das liege einerseits daran, dass Kritik an der israelischen Politik schnell zu Kritik an Israels ganzer Bevölkerung werde – und dann zur Feindseligkeit gegenüber den Juden insgesamt. Anderseits gründeten sowohl das Christentum als auch der Islam theologisch darauf, das Existenzrecht des Judentums zu bestreiten. Auf der anderen Seite, die das unerbittliche Vorgehen im Gazastreifen verteidigt, ortet Heyden eine Strömung des «blinden Zionismus», der keine Grautöne zulasse.

«Der Krieg in Nahost macht noch sprachloser als andere bewaffnete Konflikte»: Katharina Heyden, Professorin am Institut für Historische Theologie.

«Wir brauchen die akademische Freiheit»

Um wieviel komplizierter es wird, wenn man den Konflikt nicht aus wissenschaftlicher Distanz, sondern aus persönlicher Betroffenheit erlebt, machte Nijmi Edres vom Departement für Sozialanthropologie und Kulturwissenschaftliche Studien deutlich. Edres, die sowohl palästinensische Wurzeln als auch den israelischen Pass hat, erhält regelmässig Videos von ihren Verwandten und Freundinnen, die das Grauen im Gazastreifen dokumentieren. Eine andere ihrer Bekannten wiederum hat gleich zwei Verwandte, die im Gazastreifen als Geiseln gehalten wurden. Diese Position zwischen den Fronten zeige ihr, wie wichtig es sei, dass die Universität ein Ort bleibe, an dem man jenseits von Antisemitismus und Islamophobie diskutieren könne.

«Diskutieren jenseits von Antisemitismus und Islamophobie»: Nijmi Edres vom Departement für Sozialanthropologie und Kulturwissenschaftliche Studien.

Auch Charles Heller vom Departement Sozialanthropologie und Kulturwissenschaftliche Studien hat Wurzeln im Konfliktgebiet. «Obwohl meine Familie jüdisch war, repräsentiert dieser Staat mich nicht.» Meinungen offen zu äussern sei heikel: Im Umgang mit dem Nahost-Konflikt warf er der Universität Bern zugleich Zensur und Druck zur Selbstzensur vor. «Statt Angst muss es eine Garantie für volle akademische Freiheit geben», forderte Heller.

«Garantie für volle akademische Freiheit»: Charles Heller vom Departement Sozialanthropologie und Kulturwissenschaftliche Studien.

Kein Platz für Zensur und Selbstzensur

Dass es an der Universität Bern Zensur gebe, dem widersprach Virginia Richter in der Diskussion vehement. Und den Vorwurf, zu lange mit einer öffentlichen Diskussion zugewartet zu haben, retourniere sie an die Anwesenden: Statt darauf zu warten, dass die Universitätsleitung neue Formate etabliere, stehe es allen frei, aktuelle Bedürfnisse und von den Studierenden geäusserte Wünsche aufzunehmen und selbst Veranstaltungen dazu zu lancieren, so die Rektorin. Gleich mehrmals wurde etwa die Idee einer Ringvorlesung aufgeworfen.

Nachdenklich stimmte das Votum, nicht zu vergessen, zu sich selbst Sorge zu tragen: Man dürfe nicht von Angst und Hass aufgesogen werden. Nur so könne es gelingen, Wege zu finden, wie die weitere Eskalation des Meinungsstreits zu stoppen ist.

Austausch fördern

An Themen für Veranstaltungen mangelt es jedenfalls nicht. Erhellend könnte etwa sein, in einer Ringvorlesung zum Krieg in Nahost Begriffe wie Apartheid, Antisemitismus oder Rassismus wissenschaftlich zu diskutieren, wurde vorgeschlagen. Denkbar sei zudem, stattdessen oder zusätzlich ein Veranstaltungsformat zu schaffen, das den Austausch zwischen Dozierenden und Studierenden durchlässiger mache. Schliesslich sei zu überlegen, wie man aus den vergangenen Ereignissen an der Universität lernen könne.

«Klares Bekenntnis zu den universellen Menschenrechten»: Nicola Leuchter, Student der Anglistik.

Auch zwei Studierende nahmen am Panel teil. Nicola Leuchter beklagte, die Veranstaltung komme eigentlich ein Jahr zu spät – man solle jetzt aber das Gespräch fortsetzen. Unabhängig davon plädierte er dafür, dass sich die Universität klar zu den universellen Menschenrechten bekennen soll, gerade auch mit Blick in den USA, wo Präsident Trump die Universitäten entmachtet.

«Weiter diskutieren»: Melanie Ammeter, Studentin der Theologie.

Dass eine Ringvorlesung oder andere geeigneten Veranstaltungen zum Nahostkonflikt dringend sind, unterstützte auch Studentin Melanie Ammeter. Selbst wer die israelische Nachrichtenplattform Haaretz oder das arabische Gegenstück Al-Jazeera konsumiere, habe Mühe, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Aus Gesprächen mit Studienkolleginnen und -kollegen werde einzig klar, dass die beiden Konfliktseiten keine kompakten Blöcke sind, sondern es Schattierungen gebe. Ammeter: «Umso wichtiger ist es, das Thema weiter zu diskutieren und mehr darüber zu erfahren – gerade auch an unserer Universität.»

UniBE talks

«UniBE talks» ist eine Veranstaltungsreihe der Universität Bern, die den Dialog zu unterschiedlichen wissenschaftsrelevanten Themen zum Ziel hat. Die Veranstaltungen sollen jeweils eine möglichst grosse Vielfalt der Disziplinen und Wissenschaftskulturen an der Universität Bern repräsentieren. Die Universität möchte mit «UniBE talks» den Austausch zwischen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftskulturen fördern.

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