Schaffen wir die Energiewende?

Erneuerbare Energien sollen ausgebaut werden, doch gegen konkrete Projekte gibt es Widerstand. Wie schaffen wir so die Energiewende bis 2050? Ein Gespräch mit Politologin Isabelle Stadelmann, Ökonomin Doina Radulescu und Cornelia Mellenberger, CEO Energie Wasser Bern.

Kommt die Schweiz bis 2050 von Öl, Gas und Kohle weg?

Cornelia Mellenberger: Es ist ein demokratisch gesetztes, sehr ambitioniertes Ziel. Die Energiewende ist in vollem Gang, und EWB setzt alles daran, die Ziele zu erreichen – etwa durch Investitionen in die Produktion erneuerbarer Energien oder in den Ausbau der Fernwärme. Ja, ich glaube, dass wir es erreichen können.

Frau Stadelmann, Sie forschen zur Akzeptanz klimapolitischer Massnahmen. Wird die Bevölkerung mitmachen?

Isabelle Stadelmann: Man soll die Hoffnung nicht verlieren. Die Leute sind grundsätzlich für die Energiewende, aber wenn es darum geht, eine Anlage an einem bestimmten Ort zu bauen, klingt die Begeisterung ab. Das wird uns aber auch über 2050 hinaus noch beschäftigen.

Doina Radulescu: Ein Ausstieg aus der Kohle könnte klappen. Gas zur Abdeckung der Stromproduktion in Spitzenlastzeiten und fossile Treib- und Brennstoffe für Strassenverkehr und Heizung werden wir aber weiterhin brauchen. Eine grosse Herausforderung ist auch die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung, denn die Energiewende ist nicht gratis.

«In der Schweiz findet man Mehrheiten, wenn Massnahmen nicht allzu weit gehen.»

Isabelle Stadelmann-Steffen

Das Dilemma zeigte sich auch beim Stromgesetz: Zuerst sind sich alle einig. Dann opponieren Umweltverbände wegen einzelner Projekte und die SVP. Ist das ein klassisches Muster für die Schweiz?

Isabelle Stadelmann: Man muss auch das Positive sehen: Beim Stromgesetz wie auch beim Solarexpress gab es erstmals in der Schweiz grosse Mehrheiten im Parlament für den Ausbau erneuerbarer Energien. Noch vor fünf Jahren war es undenkbar, dass sich Mitte und FDP mit Linksgrün und sogar Teilen der SVP zu solch einer Vorlage durchringen. Das zeugt von einem weitverbreiteten Bewusstsein, dass etwas geschehen muss. Bei den gegnerischen Umweltverbänden handelt es sich um zwei kleinere Organisationen. Die grossen Verbände sagen Ja.

Zur Person

Bild: Dres Hubacher

Isabelle Stadelmann-Steffen

ist Professorin für Vergleichende Politik und beschäftigt sich unter anderem mit der politischen Verhaltens- und Einstellungsforschung. Sie forscht aktuell in vom Nationalfonds und vom Bund unterstützten Projekten zur Schweizer Energiepolitik und zur Rolle der Bürgerinnen und Bürger.

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Frau Radulescu, wie sehen Sie als Ökonomin den Widerspruch zwischen dem Befürworten der Energiewende und dem Widerstand gegen konkrete Vorhaben?

Doina Radulescu: Die Menschen sind nicht immer überzeugt von der Wirksamkeit der Massnahmen, mit denen der Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht werden soll. Zudem zeigt die Forschung, dass Lenkungsabgaben wie eine CO2-Abgabe eher akzeptiert werden, wenn sie wenigstens zum Teil rückvergütet werden.

Cornelia Mellenberger: Es sind alle sehr stark gefordert – die Unternehmen, die Politik, die Gesellschaft und nicht zuletzt die Individuen durch Verhaltensänderungen. Auch ist es wichtig, nicht einzelne Energieträger gegeneinander auszuspielen.

Frau Stadelmann, Sie haben aber einmal geschrieben, dass sich die Leute auch durch Rückvergütungen kaum von Abgaben überzeugen lassen.

Isabelle Stadelmann: Aus ökonomischer Sicht wäre eine CO2-Abgabe die beste Massnahme, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. In unseren Umfragen zeigte sich zunächst auch, dass die Leute durchaus dafür sind, wenn man ihnen zeigt, wie viel sie bei der Einführung der Abgabe bezahlen und zurückerhalten. Sobald wir aber noch erwähnten, dass die Abgabe politisch umstritten ist, war den Leuten die Rückvergütung doch nicht mehr so wichtig. Das zeigt, wie politisiert die Debatte ist. Daher bin ich skeptisch, ob eine CO2-Abgabe eine Hauptmassnahme zur Umsetzung der Energiewende sein kann.

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Zurzeit verlangt ein Vorstoss von Mitte-Präsident Gerhard Pfister eine solche Abgabe auf Treibhausgasemissionen und Flügen. Dafür gibt es also nach wie vor keine Mehrheit?

Isabelle Stadelmann: Hier spielt der soziale Aspekt mit hinein. Das eine Prozent der Superreichen fliegt mit Abstand am meisten. Die Abgabe müsste enorm hoch sein, damit sie nicht mehr fliegen. Zudem heisst es in der politischen Debatte dann rasch: Nur noch die Reichen können fliegen. Das haben wir bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes 2021 gesehen.

Cornelia Mellenberger: Es gibt einen Gap zwischen der sehr langfristigen Debatte zur Energiewende und den dafür notwendigen Investitionen. EWB wird in den nächsten zehn, zwanzig Jahren sehr viel Geld in die erneuerbare Produktion und das Netz investieren. Da zeigt sich der Nutzen für die Energiewende zwar noch nicht unmittelbar. Aber wenn wir dereinst von Umweltwärme aus Gewässern oder Fotovoltaikanlagen profitieren können, lohnen sich die Investitionen. Denn Sonne, Wind und Wasser sind als «Betriebsstoffe» gratis und die Betriebskosten langfristig durchaus kompetitiv.

«Ein Stromabkommen mit der EU ist für die langfristige Versorgungssicherheit der Schweiz zentral.»

Cornelia Mellenberger

Frau Stadelmann, in einer Studie schreiben Sie von der «Risiko- und Kostenaversion» der Bevölkerung, die Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien erschwere. Das macht alles doch sehr schwierig?

Isabelle Stadelmann: Bei Subventionen gilt das eben nur bedingt. Subventionen finden bei der Bevölkerung oft mehr Anklang als Lenkungsabgaben, weil man den Nutzen unmittelbar sieht.

Cornelia Mellenberger: Beim Fernwärmeausbau in der Stadt Bern sehen wir auch einen gegenteiligen Effekt: Viele Hauseigentümer entscheiden sich heute, zum Beispiel in vier Jahren ihre Heizung auf Fernwärme umzustellen, weil sie langfristig einen Nutzen sehen. Die Kosten werden über den ganzen Lebenszyklus tiefer sein, und sie haben keinen Aufwand mehr für den Unterhalt.

Zur Person

Cornelia Mellenberger

ist seit Anfang 2022 CEO von Energie Wasser Bern (EWB). Sie hat an den Universitäten Bern und Madrid Volks- und Betriebswirtschaft mit Nebenfach Politologie studiert. Sie war als Wirtschaftsberaterin tätig und über zehn Jahre bei den SBB, wo sie Einsitz in der Konzernleitung hatte und Stellvertreterin der Leitung Markt Personenverkehr war.

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Bei der subventionierten Fotovoltaik hat EWB aber bloss eine Quote von 3,7 Prozent bei Anlagen auf den Dächern der Stadt. Warum ist dem so?

Cornelia Mellenberger: In der Stadt Bern gibt es viele Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen. Das erschwert den Ausbau erheblich. Zusätzlich ist nicht jedes Gebäude für Fotovoltaikanlagen geeignet. EWB versucht, wenn möglich grossflächige Anlagen zu realisieren, wie etwa die Freiflächenanlage beim Flughafen Belp in Co-Produktion mit Partnern. Auch zahlen wir einen fairen Rückliefertarif. Zudem steht es jedem Immobilienbesitzer frei, ob er eine Anlage auf seinem Dach realisieren will.

Doina Radulescu: Der Ausbau von Fotovoltaik wird in der Schweiz auch erschwert durch den Umstand, dass die meisten Haushalte Mietende sind. Die Mietenden profitieren, aber die Eigentümer tragen die Kosten.

Müsste man generell die wahren Kosten für fossile Brennstoffe verrechnen - inklusive der Umweltkosten bei der Produktion und beim Verbrauch?

Doina Radulescu: Natürlich, theoretisch. Aber wie hoch genau soll man die Umweltkosten veranschlagen? Beim Strassenverkehr zum Beispiel geht es nicht nur um Umweltschäden, sondern auch um Staukosten oder Unfälle. Idealerweise sollten wir diese externen Kosten korrekt beziffern und eine Abgabe in dieser Höhe erheben.

Wie stark würde der Energieverbrauch bei einer Verrechnung von wahren Kosten sinken?

Doina Radulescu: Das ist schwierig zu prognostizieren.

Isabelle Stadelmann: Da spielen eben auch politische Aspekte eine Rolle. Wenn sich eine Familie mit Kindern Energie nicht mehr leisten kann, ist das politisch nicht mehr umsetzbar.

Sie plädieren alles in allem für einen Mix aus Subventionieren und Lenken?

Isabelle Stadelmann: In der Schweiz findet man Mehrheiten, wenn Massnahmen nicht allzu weit gehen. Das läuft am Schluss auf ein System hinaus, bei dem von allem etwas gemacht wird. Die grosse Reform, der Umbau in ein Lenkungssystem, ist kaum zu schaffen. Dasselbe gilt für die Anlagen: Wir werden nicht die Alpen mit Solaranlagen zupflastern oder überall Windräder aufstellen. Aber hier Fotovoltaik, da Windräder, hier fördern, da steuern, das ist politisch machbar.

Braucht es auch Verbote? Frau Stadelmann schrieb einmal: «Verbote und Vorschriften, so unpopulär sie sein mögen, funktionieren möglicherweise besser.»

Isabelle Stadelmann: Verbote werden häufig als fairer wahrgenommen. Eine Reduktion von Kurzstreckenflügen zum Beispiel wird kaum allein über Preiserhöhungen mittels Abgaben klappen. Leute mit höheren Einkommen werden auch diesen Preis zahlen. Wenn man Kurzstreckenflüge verhindern möchte, gelingt das wohl nur mit einem Verbot.

Ein Verbot des Einbaus von Ölheizungen ist im Kanton Bern einst gescheitert.

Isabelle Stadelmann: Ja. Dieses Verbot braucht es aber vielleicht gar nicht, weil die Anreize und der Trend schon stark in diese Richtung gehen. Es braucht eine Diskussion über Verbote schon nur deshalb, weil dadurch die Anreizmechanismen zum Umsteigen attraktiver scheinen.

Zur Person

Doina Radulescu

ist assoziierte Professorin für Staat und Markt am Kompetenzzentrum für Public Management. Sie forscht unter anderem über die Wirkung von Massnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien und von Elektrofahrzeugen und zu Umverteilungswirkungen von Energieausgaben.

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Da sind Sie sicher anderer Meinung, Frau Radulescu?

Doina Radulescu: Als Ökonomin bevorzuge ich marktbasierte Instrumente gegenüber Geboten und Verboten. Letztere berücksichtigen nicht Effizienzaspekte und können auch unerwünschte Folgen haben.

Die Frage ist doch, ob die Klimakrise noch dramatischere Auswirkungen zeigen muss, damit es bei den Energiekonsumierenden klick macht, bevor Verbote unausweichlich werden?

Cornelia Mellenberger: Wir hatten mit zuletzt zwei warmen Wintern Glück. Die Situation ist aber nach wie vor angespannt. In einem wirklich kalten europäischen Winter könnte es knapp werden.

Isabelle Stadelmann: Man hat halt das Gefühl, dass es in der Schweiz schon nicht so weit kommen wird. Aber es ist so: Handlungsbereitschaft kommt in Krisen. Uns geht es noch zu gut für weitreichende Verhaltensänderungen. Letztlich braucht es den gesellschaftlichen Willen zum Umstieg auf erneuerbare Energien.

Was würde eine Strommarktliberalisierung bringen? Würden Anbieter vermehrt auf erneuerbare Energien setzen, oder gäbe es einen Preiskampf?

Doina Radulescu: Liberalisierung hätte nicht den Dschungel zur Folge. Wenn man die Haushalte stärker einbeziehen möchte, könnte eine Liberalisierung wichtig sein.

Cornelia Mellenberger: Wichtig ist, dass eine Liberalisierung nicht die Energiewende infrage stellt. Es bräuchte flankierende Massnahmen, damit sich Grossinvestitionen in die erneuerbare Produktion und den Ausbau der Netze für den Umstieg auf erneuerbare Energien nicht konkurrenzieren.

Doina Radulescu: Warum gibt es nicht günstigere Tarife für Kunden, die bei Stromengpässen vorübergehend auf die Versorgung verzichten?

Cornelia Mellenberger: Die verlässliche, flächendeckende Versorgung mit Strom und Wasser ist ein Teil des Service public in der Schweiz und ein wichtiger Erfolgsfaktor unseres Landes. Daran sollten wir auf jeden Fall festhalten.

«Die Energiewende ist nicht gratis.»

Doina Radulescu

Doina Radulescu: Ich wollte nur darauf hinweisen, dass man über unterschiedliche Tarife aufgrund unterschiedlicher Präferenzen bei der Versorgungssicherheit wie vorhin über Verbote und Gebote diskutieren könnte.

Isabelle Stadelmann: Heute kann man beim Stromanbieter ankreuzen, ob man ein grüneres Produkt will oder nicht. Aber faktisch ist das ja eine freiwillige Spende, weil man denselben Strom erhält wie der Nachbar, der Billigstrom bezieht. Das macht es für die Konsumierenden schwierig.

Laut einer Studie des Internationalen Währungsfonds wurden 2022 im Zuge der Energiekrise gegen sieben Billionen US-Dollar in die Subventionierung fossiler Brennstoffe investiert. Wie ist das zu verstehen?

Doina Radulescu: Für mich ist nicht klar, was genau diese Studie alles beinhaltet. Zählen zum Beispiel Subventionen für Haushalte aufgrund der gestiegenen Gaspreise wegen des Ukrainekrieges auch dazu? Diese wurden aber zur Abfederung der negativen Auswirkungen eingeführt.

Cornelia Mellenberger: Mir ging es gleich. Ich kenne die Studie nicht. Wurde dabei die Förderung der Kohlekraftwerke in Deutschland im Zuge des Krieges mitberücksichtigt?

Isabelle Stadelmann: Subventionen für fossile Energie werden oft mit dem Erhalt von Arbeitskräften begründet. Ex-US-Präsident Donald Trump hat einst einen entsprechenden Wahlkampf in Kohleabbaugebieten gemacht. Umfragen zeigen, dass sich selbst klimabewusste Personen in Ländern, die viel Kohle produzieren, weniger für den Umstieg auf erneuerbare Energien einsetzen.

Wie sieht es in der Schweiz aus? Wird in der KVA nicht auch Erdgas mitverfeuert?

Cornelia Mellenberger: An Spitzenlasttagen nutzen wir Erdgas, wenn der Kehricht oder die Holzschnitzel nicht ausreichen. Auch in der Industrie wird es weiterhin Gasverbrauch in Spitzenlastzeiten geben. Bei der KVA wollen wir daher Kehricht zu Ballen verarbeiten und einlagern, damit wir sie verbrennen können, wenn wir mehr Wärme brauchen. Zudem installieren wir eine Wärmerückkoppelungsanlage, die vom März bis in den Herbst Wärme speichern kann. Und schliesslich prüfen wir zurzeit den Geospeicher.

Die Laufzeiten der AKW sollen verlängert werden. Brauchen wir die Atomenergie, um den Ausstieg zu schaffen?

Cornelia Mellenberger: Die Stadtberner Bevölkerung hat an der Urne entschieden, bis 2039 auszusteigen. EWB beabsichtigt, die Energie vom AKW Gösgen ab Ende 2039 nicht mehr zu verwerten.

Wie sieht es national aus?

Doina Radulescu: Durch die Dekarbonisierung steigt der Stromverbrauch stark an. Ich bin für Technologieneutralität. Zudem entwickeln sich die Technologien weiter. Ohne Atomkraft wird die Energiewende schwierig werden.

Isabelle Stadelmann: Zurzeit gilt ein Verbot für den Bau neuer Atomkraftwerke. Es gibt verschiedene Wege, bis 2050 genug Strom ohne Atomkraft herstellen zu können. Ich schliesse nicht aus, dass Atomkraft nach 2050 wieder zur Option wird. Aber aktuell ist es nicht zielführend, über Atomkraft zu diskutieren, weil vor 2040 sowieso kein neues AKW in Betrieb gehen könnte. Zudem müsste es wohl vom Bund finanziert werden, weil niemand mehr in Atomkraft investieren möchte. Ich befürchte, dass eine Debatte über Atomkraft den Ausbau der erneuerbaren Energien bremst. In diesem Fall hätten wir 2050 tatsächlich ein Problem.

Warum denken Sie, dass eine Atomdebatte die erneuerbaren Energien bremst?

Isabelle Stadelmann: In der politischen Debatte wird die Nuklearenergie als einfacher Ausweg dargestellt. In der Bevölkerung entsteht dadurch der Eindruck: «Wenns mit dem Ausstieg nicht klappt, haben wir ja noch die Atomenergie.» Dies reduziert den gefühlten Druck zum Umstieg. Und die Unsicherheit bei den Investoren in Bezug auf Erneuerbare Energien nimmt zu.

Dann wäre es doch ein goldener Ausweg, den französischen Ausbau der Atomenergie mitzufinanzieren und eine Beteiligung über Staatsverträge zu erneuern?

Isabelle Stadelmann: Ab 2025 will die EU 70 Prozent der Energie nur noch innerhalb der EU exportieren. Da stellt sich die Frage, ob es noch genug Strom für die Schweiz geben wird.

Doina Radulescu: Das gegenteilige Narrativ vom Ausbau der erneuerbaren Energien, der alle Probleme löst, ist das von der Atomenergie als Notnagel. Es geht doch um eine Kombination.

Isabelle Stadelmann: Das Technologieverbot für AKW wird wohl irgendwann fallen. Was wir nicht wissen, ist: Für welche Technologie würden sich die Leute entscheiden, wenn sie freie Wahl hätten? Im Beliebtheitsranking der Energieträger stehen Wasserkraft und Fotovoltaik auf Gebäuden weit oben. Am unbeliebtesten ist der Stromimport. Im Mittelfeld sind Wind, Grossflächen-Fotovoltaikanlagen, Atomkraft und Kleinwasserkraft. Ich bin mir nicht sicher, wie sich die Leute zum Beispiel zwischen Atom- und Windkraft entscheiden würden. Beide Technologien finden wesentliche Teile der Bevölkerung nicht gut.

Es braucht aber doch dringend ein Stromabkommen mit der EU?

Cornelia Mellenberger: Es ist so: In der Energieversorgung bleiben wir vom Ausland abhängig. Ein Stromabkommen mit der EU ist für die langfristige Versorgungssicherheit der Schweiz zentral.

Isabelle Stadelmann: Wir können nicht total unverbaute Alpen und eine hundertprozentig erneuerbare einheimische Stromversorgung haben. Es braucht Kompromisse und Abwägungen. Wollen wir mehr französischen AKW-Strom oder mehr Energieinfrastruktur in den Alpen?

Doina Radulescu: Langfristig sind wir nicht nur bei der Stromversorgung, sondern auch beim Klima vom Ausland abhängig. Wenn Dürreperioden zunehmen, wird die Erzeugung von Strom durch Wasserkraft immer problematischer.

Das Bundesamt für Energie sagt, man könne den Energieverbrauch ohne Komforteinbusse um über 20 Prozent senken. Braucht es auch eine Änderung unseres Lebensstils?

Cornelia Mellenberger: Bei der Energieberatung von Firmen stellen wir viel Einsparpotenzial fest: Muss der Gang immer belüftet sein? Muss die Wärmelampe ständig in Betrieb sein, auch wenn man erst am Mittag kocht? Könnte der Serverraum auch weniger stark abgekühlt werden? Geben sich Firmen beim Energiesparen Mühe, ist das auch ein Imagegewinn.

Isabelle Stadelmann: Die Ablehnung des CO2-Gesetzes 2021 hat in der Politik eine Angst ausgelöst, übers Sparen zu reden. Jede Verhaltensänderung wird als Eingriff in die Freiheit und Eigenverantwortung angesehen. Nach dem Motto: «Ich lasse mir nicht vorschreiben, wie warm meine Wohnung sein soll.» Aber wenn wir ehrlich sind, müsste man auch über das persönliche Verhalten reden. Man sollte halt nicht zweimal im Jahr für eine Woche nach Mallorca in die Ferien fliegen.

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«Menschen brauchen Energie»

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Menschen brauchen Energie»

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