«Nicht in die Norm zu passen, ist auch ein Akt der Selbstliebe»

Die Sozialanthropologin Serena Owusua Dankwa erforschte die Lebensgeschichten von Frauen in Ghana, die Frauen lieben. Dafür liess sie westliche Vorstellungen von sexueller Identität und von der LGBTQ-Szene hinter sich.

Von Julia Konstantinidis 16. März 2023

Die Berner Sozialanthropologin Dr. Serena Dankwa © Alle Bilder: Dres Hubacher
Die Berner Sozialanthropologin Dr. Serena Dankwa © Alle Bilder: Dres Hubacher

«Ich wuchs mit der Vorstellung auf, dass Homosexualität in Ghana nicht existiert», sagt die 47-Jährige Sozialanthropologin, die ihre ersten sieben Lebensjahre in der ghanaischen Hauptstadt Accra verbrachte: «Bis ich mir sagte: Das kann nicht sein. Frauen liebende Frauen gibt es überall.»

Für ihre Promotion, die sie 2014 am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern einreichte, untersuchte Dankwa die Lebenswelten und die Freundschaftsnetzwerke von Frauen in Ghana, die Frauen lieben. «Knowing Women», das Buch zur Arbeit, erschien 2021 im Verlag der Cambridge University Press.

Kollektivierte Freundschaften

Zwischen 2006 und 2012 lebt die Anthropologin insgesamt eineinhalb Jahre vor Ort. Dankwa findet ihre Forschungsteilnehmerinnen nicht in den wenigen Schwulenbars der Hauptstadt, sondern geht dorthin, wo viele ghanaische Frauen zusammenkommen: zur Kirche, auf den Markt, ins Frauenfussballtraining – Frauenfussball ist in Westafrika sehr populär. Sie gewinnt das Vertrauen der Frauen, die sie im Lauf der Jahre mehrmals interviewt. Die Freundinnenschaften, die sie dokumentiert, sind von materieller Prekarität geprägt, aber auch von sinnlichen, erotischen und alltäglichen Intimitäten. Die Grenzen zwischen Freundschaft und Sexualität, Dienstleistung und Verwandtschaftlichkeit sind nicht immer trennscharf. Nicht weil diese Freundinnen keinen Unterschied machen zwischen verschiedenen Formen von Nähe und Verbundenheit, sondern weil sie sich enge Grenzziehungen in der Alltagsbewältigung oftmals nicht leisten können.

So war auch das westliche Konzept der mit Sex verbundenen Liebe, im Gegensatz zur Freundschaft ohne Sex, unzureichend. Dankwa: «Leidenschaft und sexuelles Begehren wurden oft mit Freundschaften in Verbindung gebracht. Diese erschienen vielen Frauen erstrebenswerter als die offizielle Liebe, etwa in Form einer (Homo-)Ehe.» Es handle sich um meist vage definierte, mehrschichtige Beziehungen, in deren Rahmen vieles möglich sei, zum Beispiel – verbotene – Erotik. Zudem sind die Beziehungen nicht zuletzt aufgrund sozioökonomischer Unsicherheiten instabil und verändern sich über die Jahre. Auch dahin, dass die Sexualität irgendwann keine wesentliche Rolle mehr spielen müsse. «Gerade dadurch können sie aber auch als ganz grosse Liebe wahrgenommen werden», sagt Dankwa.

Liebe als Solidarität

Gängige Vorstellungen von romantischer Liebe greifen zu kurz. «Gerade für armutsbetroffene Ghanaerinnen ist Liebe auch eine Form der Fürsorglichkeit: Wenn deine Kinder nicht genügend zu essen haben, dann ernähre ich auch sie.» Auch romantische Gesten haben einen fürsorglichen Sinn. Etwa, wenn man der Liebsten die Unterhose wäscht oder Wasser holt und ihr damit die Hände wäscht, um dann gemeinsam aus einer Schüssel zu essen.

«In der Paarliebe ist häufig eine hierarchische Rollenaufteilung vorhanden. Freundschaften haben ein grosses egalitäres Potenzial.»

Im Gegensatz zur Schweiz, wo Liebe als privat gilt, erlebte Dankwa sie im urbanen Ghana auch als kollektive Verbundenheit: «Liebe muss als Solidarität verstanden werden, auch materiell. Weil man sich vieles allein nicht leisten kann, gibt es unter den Frauen ein starkes Bewusstsein, dass alles zirkulieren muss.» Die Forscherin sieht in der Freundschaft, als Gegensatz zur institutionalisierten Liebe, grosses Potenzial, weil sie mehr Solidarität zulässt. «In der Paarliebe, die zur Kleinfamilie führen soll, ist häufig eine hierarchische Rollenaufteilung vorhanden. Freundschaften haben hingegen ein grosses egalitäres Potenzial. Es geht mir um ein Gesellschaftsmodell, das gemeinschaftlicher und weniger machtbasiert ist.»

Dankwa versteht sich selbst als queer-lesbisch und engagiert sich in Schwarz-feministischen Netzwerken und Kollektiven. Viele Themen, die sie wissenschaftlich erforscht, betreffen Dankwa auch als Privatperson oder als Mitarbeiterin von IAMANEH Schweiz. Die NGO engagiert sich im Bereich der reproduktiven Gesundheit sowie gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Westafrika und in Südosteuropa.

In den letzten Jahren hat sich Dankwa vermehrt als rassismuskritische Feministin in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet, weil sie auf eine gesellschaftliche Transformation hinarbeiten möchte, «die uns alle auf diesem Planeten betrifft, nicht nur sogenannte Minderheiten». Dennoch ist ihr Engagement für eine gewaltfreie, vielfältige Gesellschaft auch eine zutiefst persönliche Erfahrung: «Nicht in die Norm zu passen, ist für mich ein Akt der Selbstliebe.»

Es gibt also viele Verbindungen zwischen Dankwas Leben und ihrer Arbeit. Als Aktivistin bezeichnet sie sich dennoch ungern. «Wenn du Schwarz, Frau und queer bist, ohne dies zu verstecken, wirst du oft als latenter Störfaktor oder als Aktivistin wahrgenommen. Du musst gar nicht erst aktiv werden. Im Gegenteil, dir wird Aktivismus unterstellt, gerade weil du nichts dagegen unternimmst, dass du die Person bist, die du bist, und ein Leben lebst, das nicht der scheinbaren Norm entspricht.»

Sie sei sicherlich eine engagierte Wissenschaftlerin. «Aber mein Engagement trenne ich vom wissenschaftlichen Forschungsprozess.» Dennoch stelle bereits die Wahl eines Forschungsgegenstandes ein politisches Handeln dar. Denn Wissenschaft sei nie losgelöst von politischen Themen. Es ist Dankwas Fachgebiet, hinter die Fassade zu schauen – und dabei die eigene Position zu hinterfragen. Diese Bereitschaft, sich selbst in die Fragestellungen einzuschliessen, ist im Laufe ihres Lebens gewachsen. «Ich habe mich lange nicht mit bestimmten Themen beschäftigt, weil ich es nicht ertrug, von anderen als ‹Betroffene› angeschaut zu werden.»

Zuschreibung als Chance genutzt

So entschied sich Dankwa Mitte der 1990er-Jahre nach der Matur an der Neuen Kantonsschule Aarau für das Studium der klassischen Gitarre am Konservatorium in Luzern – vielleicht eine «Flucht in die Kunst als universelle Sprache», wie sie heute sagt. Dann bewarb sie sich bei Radio SRF als Journalistin für klassische Musik. Sie bekam einen Job, jedoch nicht in der Klassikabteilung, sondern im Ressort «Musik der Welt». Eine Zuschreibung, die aufgrund ihres familiären Hintergrunds, der sowohl in Ghana als auch in der Schweiz liegt, zustande kam. Sie nutzte die Zuweisung als Chance, erschloss sich ein ihr neues Musikfeld und nutzte dieses als Einstieg in den Radio- und Fernsehjournalismus.

Als Moderatorin von Sendungen wie dem «Jazz-Special» oder dem «Worldmusic-Special» fing Dankwa an, sich intensiver damit zu beschäftigen, wie afrikanische und diasporische Welten global vermarktet, kommerzialisiert und vereinnahmt werden. «Ich stellte immer wieder kritische Fragen, bis das Konzept der Sendung nicht mehr mit meiner Haltung übereinstimmte.» Sie entschloss sich, an der School of Oriental and African Studies in London einen Master in African Studies zu machen. Einen weiteren Zugang zum wissenschaftlichen Arbeiten schuf sich Dankwa, noch während sie im Radiostudio Basel arbeitete und daneben Kurse in Gender Studies belegte. «Als Journalistin und Produzentin im Worldmusic-Bereich realisierte ich, dass Genderfragen eine wesentliche Rolle in der (S)Exotisierung von Kultur spielen.»

Im Februar hat die Forscherin nun ihr Post-Doc-Projekt am Institut für Sozialanthropologie der Uni Basel begonnen. Von der Kunst in die Medien, in die NGO-Arbeit und jetzt zurück in die akademische Wissenschaft: Dankwa mäandriert durch verschiedene Wissensformen, immer auf der Suche nach gesellschaftlich relevantem, transformativem Wissen.

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