Sie fordern auch ein Handeln auf der Nachfrageseite und nicht nur auf der Angebotsseite. Kann ich als einzelne Konsumentin denn überhaupt etwas bewirken und wenn ja, wie?
Ja, in der Tat. Reines produktionsseitiges Handeln kann nur bedingt einen Beitrag zur Lösung leisten, da sich der Markt meist am Konsum ausrichtet und Produktion und Konsum in einer ständigen Wechselwirkung zueinander stehen. Es besteht zudem die Gefahr, dass nicht nachhaltige Produktion einfach ins Ausland verlagert wird. Im Kern geht es deshalb darum, produktions- und konsumseitige Massnahmen strategisch miteinander zu verzahnen. Die staatlichen Einzelmassnahmen wirken so synergetisch und können sowohl die Wirkung als auch die politische Machbarkeit des gesamten Politikpaketes erhöhen.
Es geht darum, drei Ziele zu priorisieren: Reduktion des Fleischverzehrs, Reduktion der Lebensmittelabfälle und Nutzung von Biotreibstoff aus Energiepflanzen. Kurzfristig kann in Europa vor allem die Erhöhung der Biotreibstoff-Beimischquote grössere Flächen für Getreide für den menschlichen Konsum freimachen und so der Inflation auf den internationalen Lebensmittelmärkten entgegenwirken.
Leider müssen wir bereits heute über die Versorgungslage in 2023 und 2024 nachdenken. Hier kann die Reduktion des Fleischkonsums und der Lebensmittelabfälle einen entscheidenden Beitrag leisten. Unsere Studien zeigen, dass der Konsum tierischer Produkte schneller sinken kann als häufig angenommen. Es bedarf dafür der richtigen politischen Rahmenbedingungen sowie einer klaren, transparenten Kommunikation, warum dies so wichtig und wirkungsvoll ist.
Was müsste der Staat also nun konkret tun?
Neben der Anpassung der Beimischquote für Biotreibstoff sollte der Staat rasch ein konkretes Bündel Massnahmen auf Produktions- und Nachfrageseite lancieren. Wir schlagen zum Beispiel vor, landwirtschaftliche Betriebe bei der Umstellung zu weniger Tieren und mehr pflanzlicher Produktion gezielt zu unterstützen. Mittelfristig könnten auch die Einführung einer CO2-Steuer auf Lebensmittel, staatliche Umweltlabel auf Lebensmittel, gezielte Stickstoffüberschuss-Abgaben sowie passgenaue Regulationen wirkungsvoll sein.
Ist dies politisch umsetzbar?
Ja, ist es. Einerseits braucht es hierfür dringend Anpassungen in der Ernährungs-Governance. Wir müssen aus festgefahrenen Grabenkämpfen rauskommen und alle relevanten Akteure im System in einen gemeinsamen Verhandlungsprozess zur strategischen Neuausrichtung der Ernährungspolitik einbinden. Dies geht über einen reinen Dialog und über eine Konsultation hinaus. Die Zukunftskommission Landwirtschaft in Deutschland kann hier als mögliches Vorbild dienen.
Zudem müssen Politikerinnen und Politiker eine strategisch gut durchdachte Ausgestaltung, Abfolge und Kommunikation von Politikpaketen wählen. Dies erhöht Synergieeffekte und politische Umsetzbarkeit. Wir konnten in verschiedenen Studien zudem nachweisen, dass Konsumentinnen und Konsumenten deutlich stärker bereit sind, einschneidende Massnahmen zu akzeptieren, als von der Politik vermutet wird. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen nämlich durchaus, dass ein wirkungsvoller politischer Rahmen gesetzt wird.
Um einschneidende Massnahmen zu akzeptieren, wollen die Bürger und Bürgerinnen aber verstehen, warum ein Politik-Paket notwendig ist, und sie verlangen, dass die Kosten fair verteilt werden. Wichtig ist dabei, dass Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen gezielt entlastet werden.
Aber auch bei den Produzenten, Verbänden und Unternehmen beginnt ein Umdenken. Fleischalternativen sind bereits heute ein lukratives Geschäft. Zudem gibt es verstärkten Druck von Investoren. Gezielte Umstellungshilfen vom Staat kann hier Widerstand reduzieren. Entsteht zudem – aktuell im Kontext des Ukraine-Krieges – ein klares politisches Narrativ, dass die Transformation des Ernährungssystems nicht mehr aufgeschoben werden kann, dann können sogenannte positive Kipppunkt-Dynamiken einsetzen, die das Wechselspiel zwischen technologischen Innovationen, Verhaltensänderungen, Normen, politischen Diskursen und staatlichen Massnahmen beeinflussen.
Die zentrale Herausforderung ist es, das Momentum solch transformativer Dynamiken zu unterstützen und allen Akteuren im System aufzuzeigen, dass es bei der Transformation des Ernährungssystems viel zu gewinnen gibt.