«Wir mögen Mechanismen»
Doch die Pflanzen setzen die Benzoxazinoide nicht nur bei der Abwehr von Fressfeinden ein. «Die Stoffe sind auch im Boden aktiv», sagt Erb. Sie unterdrücken bestimmte im Untergrund lebende Bakterien und Pilze und locken gleichzeitig Bakterien an, die das Wachstum der Pflanzen fördern. Wie das Forschungskonsortium herausgefunden hat, wirken sich die von den Maispflanzen ausgeschiedenen Benzoxazinoide auch auf andere Pflanzen aus: Sie trugen beispielsweise zum erhöhten Ertrag von Weizen bei, den die Forschenden nach der Maisernte auf ihrem Versuchsacker anpflanzten.
«In der Landwirtschaft ist das Prinzip der Fruchtfolge schon seit dem Mittelalter bekannt», sagt Erb. «Und dass der Weizen gut gedeiht, wenn man ihn nach dem Mais anbaut, weiss man auch schon lange.» Doch nun hätten sie eine neue Erklärung für diese Beobachtung, einen Mechanismus, gefunden. «Wir mögen Mechanismen», sagt Erb.
Bei ihren Aufklärungsexpeditionen in die Gesundheitsaspekte der Umwelt müssen die Forschenden gezwungenermassen auf einzelne Aspekte fokussieren. «In der Umwelt gibt es eine unzählige Menge chemischer Strukturen. Wir haben eine Handvoll wichtiger Stoffe herausgepickt – und untersuchen nun vertieft deren Effekte», sagt Erb. Doch trotz dieser eng gesteckten Auswahl bringe die Arbeit im Konsortium die Forschenden dazu, in die Breite und weit über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinauszudenken, legen Erb und Macpherson dar.
So seien zwar viele One-Health-Forschende mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt, etwa mit der Identifizierung und Charakterisierung der vielen Arten von Bakterien, Viren und Pilzen, die im Versuchsacker oder im tierischen oder menschlichen Darm leben. Doch weil die Proben zu Beginn unterschiedlich aufgereinigt wurden, liessen sich die Datensätze der verschiedenen Forschungsgruppen nicht vergleichen.
Gemeinsame Methodenentwicklung
Auch bei der Bioinformatik, beim Umgang mit den imposanten Datenmengen und bei den statistischen Traditionen, wie man biologische Systeme in mathematische Modelle überführt, mussten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Konsortium allmählich zusammenfinden. «Im regelmässigen Austausch haben wir unsere unterschiedlichen Vorgehensweisen Schritt für Schritt aneinander angeglichen», sagt Erb.
Ihm habe diese gemeinsame Methodenentwicklung die Augen geöffnet, meint Macpherson. Er erwähnt eine Untersuchung, die er und sein Team kürzlich bei einem Patienten mit einem künstlichen Darmausgang durchgeführt haben. «Wir wollten schauen, wie sich die Darmflora nach Einnahme des Frühstücks im Laufe des Tages verändert», sagt der Gastroenterologe.
«Nach einigen Stunden haben wir Signale gefunden, die sich nur damit erklären lassen, dass der Patient Cannabis konsumiert hat», erzählt Macpherson. Ohne die Arbeiten im One-Health-Konsortium hätten er und sein Team solche Zeichen gar nicht erkennen können. Vorher seien sie einzig auf die Mikroben im Darm fokussiert gewesen, heute könnten sie viel mehr Dinge nachweisen, unter anderem auch die Erbgutspuren von zu sich genommenen Pflanzen.
Auch Erb bestätigt, dass sich seine Forschungshorizonte aufgrund seiner Aufgaben im Konsortium erweitert haben. Darüber hinaus beobachtet er aber auch, dass sich die interdisziplinäre Herangehensweise auf das Denken der jungen Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auswirkt, die in den verschiedenen Laboratorien den Löwenanteil der anfallenden Arbeiten erledigen.
Die Saat geht auf
Sie hätten mit dem Aufbau der Interfakultären Forschungskooperation One Health und attraktiven Lehrangeboten (siehe Kasten «Gesundheitsdetektive») den Boden fruchtbar gemacht, meint Erb. Und nun sorge der wissenschaftliche Nachwuchs mit spannenden Projektideen dafür, dass die Saat aufgehe – und sich das One-Health-Konsortium thematisch öffne und sich neuen Fragen annehme. So haben sich kürzlich etwa die Forschungsgruppen von Christelle Robert und Stephanie Ganal-Vonarburg zusammengetan, um die Auswirkungen von Pflanzenhormonen auf die mikrobielle Vielfalt im menschlichen Darm und die menschliche Gesundheit zu untersuchen.
Während sich die Wissenschaft bisher nur dafür interessierte, ob ein bestimmter Stoff durch die Nahrungskette geht oder nicht, habe sich beim One-Health-Konsortium eine neue Sichtweise herausgebildet, mit der die Forschenden die Auswirkungen einer Substanz auf die verschiedenen Stufen der Kette verstehen wollen, führt Erb aus. Auch aus diesem Grund ziehen beide, Erb und Macpherson, eine positive Bilanz des bisher Geleisteten.
Macpherson erklärt, dass er dank dem Konsortium Kontakte geknüpft habe, die – auch über das Ende eines Projekts hinaus – bestehen bleiben. «Ich weiss jetzt, an wen ich mich wende, wenn ich eine Frage zu Schwermetallen habe.» Zudem betont der Magen-Darm-Spezialist den Mehrwert, der sich ergibt, wenn verschiedene Expertinnen und Experten ihre jeweils eigenen Stärken einbringen können. «Das ist ein bisschen wie bei einem Patienten: Ich weiss, wo meine Kompetenz liegt. Aber ich weiss auch, wann ich jemand anderen, zum Beispiel eine Neurologin, beiziehen sollte.»