Finanzstabilität
«Too Big To Fail geht jeden von uns an»
Kollabiert eine systemrelevante Bank, kann auch die Realwirtschaft in den Abgrund rutschen, meint Rechtsprofessorin Mirjam Eggen. Mit sechs weiteren Professorinnen lädt sie Akteure im Finanzwesen zu Selbstreflexion und Austausch an einem Symposium ein.

Zwei Jahre ist es bald her, dass die CS von der UBS übernommen wurde. Inzwischen sind die meisten Firmenschilder vor den Filialen abmontiert, und die CS-Konti wurden schrittweise in die UBS überführt. Doch bewältigt ist das CS-Debakel noch lange nicht.
So machte der vor drei Wochen publizierte Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) deutlich, dass die Art und Weise, wie sich die Grossbank UBS am 19. März 2022 die ehemalige Konkurrentin einverleibte, nicht dem vorgesehenen Ablauf entsprach. Als «bestenfalls naiv» bezeichnete Mirjam Eggen die inoffiziellen Gespräche, die der damalige Finanzminister im Vorfeld mit der UBS geführt hatte, in einem Zeitungskommentar.
«Die Chance wurde verpasst, Organisationsstrukturen in der UBS, die in Zukunft zum Risiko werden könnten, zu bereinigen.»
– Mirjam Eggen
Die Professorin für Privatrecht an der Universität Bern begründet ihre Kritik damit, dass die Verhandlungen unter Zeitdruck und mit nur einer möglichen Kandidatin – der UBS – geführt wurden. «Solche Voraussetzungen sind fatal.» Diese Ausgangslage hatte zur Folge, dass die Grossbank selbstbewusst ihre Forderungen deponieren und wohl auch durchsetzen konnte. «Damit wurde die Chance verpasst, Organisationsstrukturen in der UBS, die in Zukunft zum Risiko werden könnten, zu bereinigen», erklärt Eggen. Die Ausgangslage ist somit heute eine ähnliche wie für die CS vor rund einem Jahrzehnt.
Angst vor dem Dominoeffekt
Erneut auf die Tagesordnung kommt der «Fall CS» am heute stattfindenden Symposium «Too Big To Fail & Finanzstabilität» an der ETH Zürich. Initiiert wurde die Tagung gemeinsam von sieben Finanzmarktprofessorinnen aus sechs Schweizer Hochschulen.
Im Gespräch macht Eggen deutlich, dass «Too big To Fail» (TBTF) nicht bloss Fachleute zum Fachsimpeln bringen sollte: «Sind Banken fundamental gefährdet, betrifft die Problematik uns alle.» Zwar sind hierzulande Guthaben bis zu 100'000 Franken gesetzlich vor Verlust geschützt. Doch kommt es zu einem Bankencrash, können Rechnungen nicht mehr beglichen, Löhne nicht mehr bezahlt und Kredite nicht mehr bedient werden. «Dann droht ein gesellschaftlicher Shutdown», fasst Eggen zusammen.
Muss am Ende der Staat einspringen, stehen alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den Verlust gerade. Davor hat nicht nur die Schweiz Respekt. Auch in den USA entschieden Politik und Behörden im Frühling 2023, Banken nicht, wie es vorgesehen war, einfach bankrott gehen zu lassen. Eggen: «Gesucht wurden stattdessen sanfte Übergabelösungen. Andernfalls, so befürchtete man, entstünde ein Dominoeffekt, und die Krise könnte sich landesweit oder sogar international ausbreiten.»
Das Debakel hautnah erlebt
Dass sich Eggen als Juristin mit Finanzmärkten beschäftigt, hat einerseits mit ihrer Studienrichtung zu tun: Ihre Dissertation hatte sie an der Universität Bern zum Übernahmerecht geschrieben. Anschliessend arbeitete sie im Rechtsdienst einer Revisionsgesellschaft: «2007 befanden wir uns mitten in der Finanzkrise und fragten uns, was die Folgen wären, wenn eine Schweizer Grossbank aufgeben müsste.»
In der Folge entwickelte der Gesetzgeber Vorschriften, wie bei einem neuerlichen Scheitern einer Grossbank vorzugehen sei. Als Eggen daraufhin zur Finanzmarktaufsicht (FINMA) wechselte, konnte sie die Erstellung dieser TBTF-Regulierung direkt mitverfolgen. «Damals waren alle stolz, wie schnell die Schweiz im internationalen Vergleich reagierte. Diesen Vorsprung haben wir inzwischen leider eingebüsst», bilanziert Eggen.
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Dass bei TBTF nicht nur Finanzwissen, sondern auch Juristerei gefragt ist, ergibt sich schon daraus, dass bei der Abwicklung einer Bank mit Klagen von Aktionärinnen und Gläubigern zu rechnen ist. «Entsprechend wichtig ist es, dass die rechtlichen Stellschrauben richtig gedreht sind.» Und schliesslich lerne man in den Rechtswissenschaften früh, strukturiert und lösungsorientiert zu denken – wichtige Kompetenzen im Krisenfall.
«Risiko gehört zum Geschäftsmodell»
Das Symposium «Too Big To Fail & Finanzstabilität» soll laut den Organisatorinnen nicht als Schelte für Verwaltung und Regierung missverstanden werden. Im Gegenteil, sie sehen die Veranstaltung als Gelegenheit für die Behörden, ihre Tätigkeit zu reflektieren und mit Fachleuten aus der Wissenschaft ins Gespräch zu kommen. Die grosse Zahl von Anmeldungen lässt darauf schliessen, dass das gelingen kann.
Mit Referentinnen aus dem Internationalen Währungsfonds sowie ausländischen Behörden und Banken ist zudem gewährleistet, dass die Teilnehmenden am Symposium über den eigenen Tellerrand hinausblicken. Neben dem Thema «Vertrauensschutz und Krisenprävention» wird es auch um «Krisenbewältigung und Abwicklung» gehen.
«Das Risiko, und damit auch das Risiko zu scheitern, gehört in dieser Branche zum Geschäftsmodell.»
– Mirjam Eggen
Dass man es nicht einfach bei der Prävention belässt, hat laut Eggen durchaus seine Richtigkeit: «Eine zu 100 Prozent sichere Bank wäre keine Bank mehr. Das Risiko, und damit auch das Risiko zu scheitern, gehört in dieser Branche zum Geschäftsmodell.» Umso wichtiger sei, dass der Gesetzgeber jetzt darlege, wie bei einer ernsthaften Krise einer systemrelevanten Bank zu verfahren sei – sonst würden am Ende alle Steuerzahlenden zur Kasse gebeten.
Gute Organisation hilft gegen «Too Big»
Die Professorin forscht und lehrt nicht nur an der Universität Bern, sie leitet auch die Eidgenössische Übernahmekommission (UEK). Diese prüft, ob bei Übernahmen börsenkotierter Firmen alles korrekt abläuft. Ein befristetes Engagement war der Einsitz in die «Expertengruppe Bankenstabilität»: Im Sommer 2023 zimmerte dieses Fachgremium in drei Monaten einen Bericht, der aufzeigte, welche Lehren Bundesrat und Verwaltung aus den Wirren um die CS-Auflösung ziehen sollten. «Uns fehlte teilweise das Wissen über die Vorgänge rund um die CS-Übernahme. Zudem mussten wir sehr kurzfristig arbeiten und trafen uns jeweils am Samstag, neben unserer ordentlichen Berufstätigkeit», erinnert sich Eggen. Dennoch lasse sich das im September 2023 abgelieferte Resultat sehen. Die Empfehlungen fanden sich sowohl im bundesrätlichen Bericht zur Bankenstabilität vom April 2024 als auch im PUK-Bericht wieder.
Unibetrieb, Leitung der Übernahmekommission, das Verfassen eines demnächst erscheinenden Kommentars zum Grundstückkauf und jetzt noch die Organisation der Fachtagung – Mirjam Eggen war in den letzten Monaten gefordert. Doch richtig gestresst fühle sie sich selten. Natürlich gebe es immer neue Baustellen.

In der Lehre beispielsweise ist es die Digitalisierung, die dazu führt, dass immer mehr Instrumente zur Verfügung stehen, um Urteile automatisch zu analysieren oder Gerichtsentscheide vorzubereiten. Diese neue Unterstützung kann den Alltag vereinfachen, doch, so Eggen, müsse die Lehre sicherstellen, dass die Studierenden die praktischen Tools richtig nutzten: «Solche technisch generierten Resultate müssen unbedingt kritisch hinterfragt werden.»
Zusätzliche Efforts wie die Tagung beanspruchen zwar viel Zeit – umso mehr, als die Organisatorinnen nicht auf ein Sekretariat zurückgreifen können – «doch es fägt», sagt Eggen. Die Tätigkeit bei der UEK bringe ausserdem einen wichtigen Bezug zur Praxis.
An der Uni habe sie ohnehin einen vielfältigen Traumjob, könne ihre Forschungsschwerpunkte selbst wählen und sei in einem grossartigen Team eingebettet. Sie verlasse sich auf eine gute Organisation, um die verschiedenen Ämter unter einen Hut zu bringen. Mirjam Eggen: «‹Too big› ist zurzeit bei mir deshalb zum Glück überhaupt nicht in Sicht.»
Zur Person
Mirjam Eggen ist Ordentliche Professorin für Privatrecht in der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Bern.