«Geschlechtsneutraler Handel ist ein Mythos»

Am World Trade Institute (WTI) erarbeiteten Expertinnen aus der ganzen Welt Vorschläge zur Frauenförderung. Die beiden Pionierinnen Elisa Fornalé vom WTI und Anoush der Boghossian von der World Trade Organisation (WTO) im Interview.

Interview: Serena Wölfel 20. März 2024

An der Konferenz des World Trade Institutes (WTI) der Universität Bern diskutierten 28 internationale Expertinnen über eine neue allgemeine Empfehlung zur Inklusion von Frauen in internationalen Führungspositionen. © World Trade Institute, Universität Bern

Elisa Fornalé, Professorin und Verantwortliche für Genderfragen am World Trade Institute der Universität Bern, hat diese Konferenz in Bezug auf die CEDAW-Empfehlung organisiert. An der Veranstaltung teilten 28 internationale Expertinnen ihre Erfahrungen zur wirtschaftlichen Förderung von Frauen. Am Rande der Konferenz konnte uniAKTUELL mit Elisa Fornale und Anoush der Boghossian, Leiterin der WTO-Arbeitsgruppe Trade and Gender sprechen.

uniAKTUELL:Was hat die WTI-Veranstaltung mit dem Entwurf einer neuen «Allgemeinen Empfehlung» für die UNO zu tun?

Elisa Fornalé: Im Jahr 2021 begann ich mit der Arbeit an meinem Projekt, das die Unterrepräsentation von Frauen auf internationaler sowie nationaler Ebene analysiert. In diesem Zusammenhang konnte ich an der CEDAW-Initiative zur Ausarbeitung einer neuen «Allgemeinen Empfehlung» für die Vertretung von Frauen in Entscheidungssystemen teilnehmen. Wir haben einige vorläufige Ergebnisse unseres Projekts der UNO vorgelegt. Ich habe an einem Beratungstreffen für die CEDAW in Washington D.C. teilgenommen, an dem Fachleute ihre Expertise zur Repräsentation von Frauen auf internationaler Ebene teilten. Die WTI-Konferenz ist eine Folgeveranstaltung, um den Dialog zwischen den Mitgliedern des CEDAW-Ausschusses und Forschenden aus verschiedenen internationalen Organisationen fortzusetzen und einen Beitrag zum Entwurf der Empfehlung zu leisten.

Und was ist das Ziel des Workshops, der am zweiten WTI-Konferenztag geplant ist?

Fornalé: Am zweiten Tag der Konferenz findet ein geschlossener Workshop statt, an dem die Teilnehmenden ihr Feedback zum Entwurf geben können. Mona Krook, die Beraterin, die die neue Empfehlung zuhanden der UNO verfasst, erwartet am Ende der Sitzung eine Liste mit konkreten Vorschlägen.

Elisa Fornalé führte eine Vortragsreihe zum Thema Gender am WTI ein und forscht zu wirtschaftlichen Aspekten der Geschlechtergleichstellung. © World Trade Institute, Universität Bern
Welcher Zusammenhang besteht eigentlich zwischen Gender und Welthandel?

Anoush der Boghossian: Innerhalb der WTO ist Gender kein Thema mit langer Tradition. Vor 2016 herrschte die Meinung, dass Gender ein Menschenrechtsthema sei und Handel geschlechtsneutral. Das ist natürlich nicht der Fall. Welthandel ist mit vielen sozialen Aspekten verknüpft, auch mit der Geschlechterfrage. Meistens werden politische Themen wie Geschlecht, Einwanderung oder Bildung isoliert betrachtet. Aber Handel ist mit all diesen Themen verbunden. So wird beispielsweise Bildung für Frauen und Mädchen oftmals vor allem durch Handelsbarrieren erschwert und umgekehrt durch wirtschaftliche Chancen ermöglicht.

Wie kamen Sie also dazu, sich mit dem Genderaspekt zu befassen und was hat sich seit 2016 verändert?

der Boghossian: Ich habe 2016 mehr oder weniger zufällig mit der Arbeit zu diesen Themen begonnen. Bei der Organisation eines jährlichen Forums der WTO zum Thema Inklusion im Handel stolperte ich über die Rolle von Frauen im Handel. Ich wusste, dass wir das in der WTO aufgreifen mussten – 2016 zum ersten Mal.

Zur Person

Bild: zvg

Anoush der Boghossian

Anoush der Boghossian leitet die WTO-Abteilung für Handel und Gleichstellung seit 2016. Als Gründerin des WTO Gender Research Hub fördert sie Forschungspartnerschaften zur Geschlechtergleichstellung im Handel. Sie entwarf die erste Gender-Politik der WTO. Sie ist Expertin im Bereich europäisches und internationales Recht sowie Kommunikation.

Von da an war es eine schrittweise Entwicklung. Als ich 2017 die Arbeit zum Thema Gender in offizieller Funktion für die gesamte Organisation übernahm, begann ich, ein Netzwerk durch die Arbeit mit WTO-Mitgliedern, externen Stakeholdern und mit anderen Organisationen wie Universitäten aufzubauen. Rückblickend kann man aber sagen, dass sich das Thema Gender seit 2016 in der WTO von allen Themen am schnellsten weiterentwickelt hat. Sehr wichtig dabei war zum Beispiel die Gründung der Arbeitsgruppe «Trade and Gender» im Jahr 2020, die mit 130 Mitgliedern und sieben Beobachterstaaten heute die grösste Arbeitsgruppe der WTO ist.

«Gender ist das Thema, das sich in der WTO seit 2016 am schnellsten weiterentwickelt hat. »

Anoush der Boghossian

Elisa Fornalé: Als ich 2017 ans WTI kam, war mein Hintergrund ein ganz anderer: Damals forschte ich zum Klimawandel und zur Migration. Aber innerhalb der Universität Bern wurde das Thema Gender immer wichtiger und unser Institut wurde gebeten, eine Gender-Fachperson einzusetzen. Ich war die einzige Professorin und wurde gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen.

Zur Person

Bild: zvg

Elisa Fornale

Elisa Fornalé ist Professorin am World Trade Institute (WTI) der Universität Bern. Sie leitet Projekte zu Umweltzerstörung, menschlicher Mobilität und Menschenrechten sowie Gendergleichheit. Seit 2023 ist sie auch im Bereich Klimawandel und Menschenrechte tätig. Sie hat zum Thema Völkerrecht promoviert.

Als erstes rief ich 2019 eine Gender-Vortragsreihe am WTI ins Leben. Es war ein Experiment und beim ersten Mal war der Raum leer. Aber wir haben – wie wir an Veranstaltungen wie dieser Konferenz sehen – eine Art Bewegung geschaffen, die immer noch weiterwächst. Mittlerweile bin ich mir nicht sicher, ob ich eine Expertin für Gender oder für Migration und Klimawandel bin (lacht).

Wie unterstützen Ihre Institutionen die Förderung von Geschlechterparität?

Fornalé: Meine Projekte zum Thema Gender am WTI ergänzen die Geschlechterforschung, die an anderen Instituten der Universität wie dem Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) betrieben wird. Das WTI bringt eine wirtschaftliche Sichtweise ein, für die andere Institute vielleicht nicht die Kapazitäten oder das Fachwissen haben. Und wir können als Forschende Bemühungen wie den CEDAW-Entwurf unterstützen.

Forscherinnen unterstützen den Entwurf für eine politische Empfehlung zum Thema Gender an die UNO-Mitgliedstaaten. © World Trade Institute, Universität Bern

der Boghossian: Forschungseinrichtungen sind auch für die WTO wichtige Partner. Meine eigenen Recherchen haben meinen Blick auf die Auswirkungen von Handelsregeln auf die Menschen «vor Ort», insbesondere auf die Frauen, wirklich erweitert. Im Jahr 2021 habe ich den WTO Gender Research Hub gegründet, dem Expertinnen und Experten für Handel und Gender aus regionalen und internationalen Organisationen, aber auch aus dem akademischen Bereich angehören. Die Idee des Hubs war es, die Kluft zwischen der Forschungsgemeinschaft und internationalen politischen Entscheidungsträgern zu überbrücken.

Sind Sie optimistisch, dass die Bemühungen des Frauenrechtsausschusses eine Chance für echte Veränderungen sind?

Fornalé: Ich bin optimistisch. Aus meiner Sicht ist die Ausarbeitung dieser Empfehlung etwas wirklich Historisches. Die letzte allgemeine Empfehlung zu diesem Thema stammt aus den 1990er Jahren. Wir müssen dieses Instrument also wirklich aktualisieren. Als Wissenschaftlerinnen haben wir nicht oft die Möglichkeit, mit der aktuellen Politik zu interagieren und auf unsere Forschungsergebnisse aufmerksam zu machen.

«Die Ausarbeitung dieser Empfehlung ist etwas wirklich Historisches. »

Elisa Fornalé

der Boghossian: Das sehe ich genauso. Und ich denke, wenn wir dazu etwas beitragen können, selbst auf einer sehr bescheidenen Ebene, dann ist das grossartig. Damit wären wir wieder bei unserem Ausgangspunkt: Wenn ich mir die WTO heute anschaue, hat sie sich bereits völlig verändert. Wenn Mitglieder die Geschlechterfrage einbeziehen, bringen sie auch die sozialen Fragen im Zusammenhang mit Geschlecht und Handel ein.

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