Verstehen, wie das Gehirn lernt

Katharina Wilmes ist fasziniert von der Frage, wie Menschen lernen. Um das herauszufinden, entwickelt sie am Institut für Physiologie der Uni Bern besondere neurowissenschaftliche Modelle.

Text: Monika Kugemann 28. Februar 2024

Mit abstrakten mathematischen Modellen versucht Katharina Wilmes zu erklären, wie unser Gehirn funktioniert und lernt. © CAIM, Universität Bern
Mit abstrakten mathematischen Modellen versucht Katharina Wilmes zu erklären, wie unser Gehirn funktioniert und lernt. © CAIM, Universität Bern

Katharina Wilmes, woran arbeiten Sie zurzeit?

Katharina Wilmes: Ich interessiere mich dafür, wie wir aus Sinneserfahrungen lernen.

Nehmen wir an, Sie warten auf einen Bus. Sie erwarten, dass dieser zu einer ungefähren Zeit ankommt. Wenn er wenige Minuten Verspätung hat, ist das im Rahmen Ihrer Erwartung. Falls der Bus eines Tages aber 20 Minuten Verspätung hat, ist das sehr unerwartet und könnte darauf hindeuten, dass der Busfahrplan geändert wurde. Sie passen aufgrund dieser Erfahrung Ihre Erwartungshaltung an.

Im Fachjargon würden wir sagen: Aufgrund eines groben Vorhersagefehlers lernen Sie, dass Sie Ihr Modell der Welt anpassen müssen.

Was möchten Sie dabei herausfinden?

Wir gehen derzeit davon aus, dass Menschen lernen, indem wir Vorhersagen treffen – etwa darüber, was wir sehen und erleben werden – und diese Vorhersagen dann mit unseren tatsächlichen Erlebnissen vergleichen. Liegen Vorhersage und Erlebnisse auseinander, lernen wir daraus. Wir lernen also aus Vorhersagefehlern. Doch wie diese Vorhersagefehler physiologisch im Gehirn repräsentiert werden, ist bisher unklar.

Wie möchten Sie dieses Rätsel lösen?

Ich arbeite an einer mathematischen Theorie dazu, wie das Gehirn mit Vorhersagefehlern umgeht. Wir simulieren dafür das Nerven-Netz am Computer und gleichen dessen Aktivität mit Ergebnissen aus Experimenten ab, die dann wieder in unsere Theorie einfliessen.

In Zukunft möchte ich untersuchen, wie sich Veränderungen in Nerven-Schaltkreisen auf der Zellebene auf das Lernen auswirken. Dadurch könnten wir psychiatrische Störungen, etwa aus dem Autismus-Spektrum, besser verstehen, die unter anderem Schwierigkeiten mit Ungewissheit bereiten. Theoretische Modelle könnten so die Kluft zwischen Verhaltens- und neurowissenschaftlicher Forschung überbrücken.

Wilmes ist im Moment das einzige weibliche Teammitglied in ihrer Gruppe – kein ungewöhnliches Phänomen im Forschungsfeld der Computergestützten Neurowissenschaften. © CAIM, Universität Bern
Wilmes ist im Moment das einzige weibliche Teammitglied in ihrer Gruppe – kein ungewöhnliches Phänomen im Forschungsfeld der Computergestützten Neurowissenschaften. © CAIM, Universität Bern

Wie sind Sie auf Ihr Forschungsthema gekommen?

Wie das Gehirn lernt, interessierte mich schon immer. Es ist erstaunlich, dass es sich mit jeder Sinneserfahrung so stark verändert. Wir Menschen sind so flexibel! Künstliche Nerven-Netze erreichen dieses Niveau menschlicher Flexibilität nicht. Ich möchte herausfinden, wie unser Gehirn das macht!

Warum führen Sie Ihre Forschung an Uni Bern durch?

Ich bin nach Bern gekommen, weil ich in hier am Institut sowohl die theoretischen Grundlagen als auch eine direkte Verbindung zu den experimentellen Neurowissenschaften habe. Obwohl ich während der Pandemie angekommen bin, hatte ich einen sehr guten Start und konnte ein gutes Netzwerk mit anderen Postdocs aufbauen – auch durch die Mittelbauvereinigung der Universität.

Zur Person

Katharina Wilmes studierte Kognitionswissenschaft und Kognitive Neurowissenschaft und promovierte am Institut für Theoretische Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Danach war sie als Postdoktorandin am Imperial College London, UK, tätig. Seit 2020 forscht sie als Postdoktorandin am Institut für Physiologie der Universität Bern.

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