«Ernährungssysteme sind von Machtstrukturen geprägt»

Theresa Tribaldos forscht zu Ernährungssystemen, von der Produktion über den Handel bis zum Konsum. Im Interview erklärt sie, welche Aspekte sie für besonders wichtig hält und warum uns nachhaltigere Ernährungssysteme alle angehen.

Was versuchen Sie herauszufinden, Frau Tribaldos?

In meiner Forschung beschäftige ich mich damit, wie wir unsere Ernährungssysteme nachhaltiger, gesünder und gerechter gestalten können. Ernährungssysteme umfassen dabei alle Bereiche, die dafür nötig sind, dass wir am Ende Essen auf dem Teller haben. Dazu gehört also nicht nur die landwirtschaftliche Produktion, sondern auch die Verarbeitung, der Handel und der Konsum. Wichtig sind ausserdem Beratung, Logistik, Regulierung und natürlich die natürlichen Ressourcen, die wir für die landwirtschaftliche Produktion benötigen.

Video Preview Picture

Der Fokus liegt explizit auf dem Transformationsprozess, also darauf, wie wir tatsächlich Veränderungen in unseren Ernährungssystemen erreichen können. Zentral sind für mich auch Gerechtigkeitsfragen, weil sie uns helfen, Nachhaltigkeitslösungen zu finden, die auch die Bedürfnisse der weniger berücksichtigten Teile der Bevölkerung abdecken. 

Zur Person

Theresa Tribaldos

Theresa Tribaldos ist am Centre for Development and Environment CDE Ko-Leiterin der Forschungsgruppe «Just economies and human well-being». Sie studierte Geographie und promovierte in Internationalen Beziehungen. Sie leitet unter anderem den Schweizer Teil eines Partnerprojekts mit Finnland zur Frage, wie der Weg hin zu einer nachhaltigen, gesunden und klimaneutralen Ernährung gerecht gestaltet werden kann.

Kontakt

Wieso ist das aus wissenschaftlicher Sicht wichtig?

Wir wissen, dass Ernährungssysteme zentral für viele unserer aktuellen gesellschaftlichen Probleme sind. Sie tragen zu verschiedenen Formen von Mangel- und Fehlernährung bei, und Hunger ist immer noch ein gravierendes Problem für etwa 800 Millionen Menschen auf der Welt.

Ernährungssysteme sind aber auch verantwortlich für Landnutzungsveränderungen und damit wichtige Treiber des Biodiversitätsverlustes. Darüber hinaus tragen Ernährungssysteme mit rund 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zum Klimawandel bei. Das heisst: Transformationen hin zu mehr Nachhaltigkeit können wir nur erreichen, wenn wir Ernährungssysteme angemessen berücksichtigen und solche Fragen ins Zentrum stellen.

Was für ein Nutzen für die Gesellschaft könnte daraus resultieren?

Ernährungssysteme haben grosses Potenzial, unsere Gesellschaft nachhaltiger zu gestalten. Sie können durch eine ausgewogene Ernährung zu Gesundheit und Wohlbefinden beitragen. Sie können durch eine vielfältige und umweltfreundliche Produktion Lebensräume für verschiedene Tier- und Pflanzenarten schaffen und durch die Speicherung von CO₂ zur Kühlung des Planeten beitragen.

Sie sind auch ein wichtiger Bestandteil funktionierender Gesellschaften, die sich gegenseitig unterstützen können. Mehr Nachhaltigkeit in unseren Ernährungssystemen ist darum wichtig und in jeder Hinsicht wünschenswert.

uniAKTUELL-Newsletter abonnieren

Entdecken Sie Geschichten rund um die Forschung an der Universität Bern und die Menschen dahinter.

Was fasziniert Sie persönlich an diesem Forschungsprojekt?

Ernährungssysteme sind unglaublich vielfältig und wir alle haben einen Bezug dazu. Wir alle müssen regelmässig essen und uns darum in irgendeiner Form mit dem Thema auseinandersetzen.

Ernährung ist aber auch eine Form von kultureller Ausprägung: Je nach Ort und Lebensweise nehmen verschiedene Kulturen unterschiedliche Nahrungsmittel zu sich, die sie mit unterschiedlichen Kulturtechniken produzieren. Über die Ernährung können wir daher auch viel über Menschen und ihre Gesellschaften lernen. Und schliesslich kann uns gemeinsames Essen mit der Familie oder Freunden näherbringen und glückliche Momente in unserem Leben bringen.

Welches ist die grösste Herausforderung, die es zu überwinden gilt?

Ernährungssysteme sind sehr stark von Machtstrukturen geprägt. Wir sehen eine hohe Konzentration von Finanzen, Landbesitz oder Einfluss auf Entscheidungsprozesse. Diese Strukturen fördern normalerweise keine kleinräumige, vielfältige und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion.

Viele Menschen können sich eine gesunde Ernährung nicht leisten. Sie haben keine Stimme in Entscheidungsprozessen oder arbeiten unter sehr prekären Bedingungen in der Nahrungsmittelproduktion. Diese Menschen profitieren normalerweise nicht von den bestehenden Machtstrukturen. Sie haben aber auch wenig Möglichkeiten, diese zu verändern. Solche Machtstrukturen fördern vielerorts auch eine politische Polarisierung, die Veränderungen erschwert.

Wie ist das Forschungsprojekt finanziert?

Meine Forschung setzt sich aus verschiedenen Projekten zusammen und die Finanzierung dieser Projekte ist auch unterschiedlich. Eine wichtige Finanzierungsquelle ist die staatliche Forschungsförderung wie zum Beispiel der Schweizerische Nationalfonds SNF oder das finnische Pendant, aber auch private Stiftungen oder staatliche Stellen wie der Bund oder die Kantone leisten Beiträge.

Oben