Ein neues Zuhause für Laborratten

Es ist das erste sogenannte Rehoming-Projekt an der Universität Bern: 30 Ratten aus Tierversuchen wurden dem Schweizer Tierschutz STS und seiner Sektion, dem Club der Rattenfreunde Schweiz übergeben.

Text: Nathalie Matter 05. Dezember 2023

Es war gleich eine doppelte Premiere: zum ersten Mal fand ein Einführungs-Kurs zu Versuchstierkunde statt für Forschende, die mit Tieren arbeiten, und in dem Mäuse und Ratten zu Trainingszwecken eingesetzt wurden. Im Anschluss daran konnten – auch dies ein Novum – erstmals Ratten an Tierschutzorganisationen übergeben werden, damit diese sie an private Tierfreundinnen und Tierfreunde und somit in ein neues Zuhause vermitteln können. 

Gut angekommen: eine ehemalige Laborratte im grossen Gemeinschaftskäfig beim Club der Rattenfreunde Schweiz. Bild: Club der Rattenfreunde Schweiz

Im Rahmen des ersten Einführungskurses in Versuchstierkunde an der Universität Bern wurden Forschende aus den Bereichen Medizin und Veterinärmedizin von Fabienne Chabaud, stellvertretende Tierschutzbeauftragte der Universität Bern, darin angeleitet, Ratten und Mäuse so in die Hand zu nehmen und mit ihnen zu arbeiten, dass Tier und Mensch dabei möglichst wenig Stress erfahren.  

Forschende lernen im Kurs das Verhalten der Versuchstiere besser kennen – unter anderem, um zu erkennen, ob es ihnen gut geht oder nicht. Bild: Melisa Muhtari

Der Kurs und auch das anschliessend durchgeführte Rehoming der darin eingesetzten Ratten entsprechen der «Culture of Care» an der Universität Bern, welche die Verantwortung gegenüber Tieren und denjenigen, die mit ihnen arbeiten, betont. 

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Die Universität Bern hat sich zur Umsetzung dieser Kultur verpflichtet: dieses Jahr unterschrieb sie die «Culture of Care Charta» des Schweizerischen Kompetenzzentrums für   das Reduzieren, Verfeinern oder Ersetzen von Tierversuchen: den «3R»-Grundsätzen, nach den englischen «replace, reduce, refine». Die Charta umfasst Schritte und Massnahmen zur aktiven Umsetzung der Culture of Care in der täglichen Forschungstätigkeit. «Es bedeutet eine offizielle Anerkennung, dass die Universität Bern ihr Bestes tun wird, um die 3R-Grundsätze über die gesetzlichen Anforderungen hinaus anzuwenden», sagt Isabelle Desbaillets, Tierschutzbeauftragte der Universität Bern.  

Homare Yamahachi, stv. 3R-Koordinator, und Tierschutzbeauftragte Isabelle Desbaillets vom Animal Welfare Office der Universität Bern. Bild: Melisa Muhtari

Isabelle Desbaillets hat gemeinsam mit Homare Yamahachi, dem stellvertretenden 3R-Koordinator der Universität Bern, das Rehoming von 24 weiblichen und 6 männlichen Ratten vorbereitet. Homare Yamahachi begann vor einem Jahr, den Schweizer Tierschutz STS zu kontaktieren, um zwischen der Universität Bern und dem STS eine Rehoming-Vereinbarung abzuschliessen. Der STS übernimmt die pro Tier anfallenden Rehoming-Kosten jeweils zur Hälfte. Die andere Hälfte wird von den Institutionen und Forschenden getragen, die die Labortiere ins Rehoming geben. Damit werden die STS-Sektionen entlastet, die die Labortiere aufnehmen, sie an ihre neue Umgebung gewöhnen und dann an Privatpersonen vermitteln. Das Projekt wird von der Universitätsleitung finanziell unterstützt.  

Isabelle Desbaillets mit einer der Ratten bei der Vorbereitung der Umsiedelung. Bild: Melisa Muhtari

«Mit 30 Ratten haben wir keine sehr grosse Gruppe dieser Versuchstiere an der Universität Bern», sagt Homare Yamahachi. «Nun konnten wir alle 30 Ratten vermitteln». Geplant ist auch ein Rehoming von Mäusen und Kaninchen. Dabei ist der Aufwand für eine Umsiedelung von Versuchstieren jeweils hoch: es braucht zahlreiche behördliche Bewilligungen, die männlichen Ratten müssen vor der Umsiedelung kastriert, die Übergabe organisiert und der Transport und die Übergabe in speziellen Boxen vorbereitet werden. Auch gilt es, die Übergabe im Rahmen des Kurses zu Versuchstierkunde, in dem die Ratten zu Trainingszwecken eingesetzt werden, entsprechend zu planen: «Mäuse und Ratten dürfen nicht im selben Raum sein – Ratten sind Allesfresser und können auch Mäusenester plündern, weshalb der Geruch von Ratten die Mäuse stresst», erklärt Fabienne Chabaud.  

Die Ratten werden während des Kurses in einem separaten Raum aus ihren Käfigen genommen und in spezielle Transportboxen verlegt. Bild: Melisa Muhtari

Wie Mäuse und auch Ratten möglichst wenig gestresst werden, weiss Fabienne Chabaud: sie erklärt im Kursraum nebenan den Teilnehmenden anhand von offenen Käfigen und Labormaterial, wie sie mit den jungen Mäusen umgehen sollen. Diese sind sehr aktiv: ab und zu entwischt eine Maus und muss von Fabienne Chabaud mit ruhiger Hand wieder eingefangen werden. Geübt wird unter anderem das korrekte Hochheben der Mäuse mittels sogenanntem «Tunnel handling» oder «Cup handling», statt sie einfach am Schwanz hochzuheben, was für die Forschenden am einfachsten wäre, aber bei den Tieren Angst auslöst. Diese neue Art des Umgangs mit den Mäusen wird an der Universität Bern eingeführt. Es wurde von Jane Hurst von der Universität Liverpool entwickelt und wird vom Schweizer 3R-Zentrum unterstützt (siehe Erklärungsvideo). 

Beim «Tunnel handling» werden Mäuse mit Hilfe eines durchsichtigen Tunnels, durch den sie hindurchsehen können, vorsichtig aufgehoben. Bild: Melisa Muhtari

Fortgeschrittene heben die Mäuse mittels «Cup handling», also «schöpfen» sie in die zu einer Schale geformten Handflächen. Dafür müssen die Mäuse aber erst an die Hand gewöhnt werden. «Einige der Kursteilnehmenden haben noch nie ein lebendes Tier gehalten und sind entsprechend nervös», sagt Fabienne Chabaud. Um ihnen Sicherheit zu vermitteln, nimmt sie sich viel Zeit. Haben sich Tier und Mensch aneinander gewöhnt, lehrt sie, wie man eine Maus korrekt festhält, wenn an ihr Untersuchungen vorgenommen werden, wie etwa ihr Geschlecht oder das Gewicht zu bestimmen oder ihr eine Blutprobe zu entnehmen. 

Fabienne Chabaud, stellvertretende Tierschutzbeauftragte der Universität Bern, Verantwortliche und Leiterin des Kurses für Versuchstierkunde. Bild: Melisa Muhtari

Während drinnen weiter geübt wird, fährt draussen das Auto des Clubs der Rattenfreunde Schweiz vor: Judith Bernegger, Präsidentin des Clubs, und Mitglied Rebecca Woywod steigen aus. Gemeinsam mit Homare Yamahachi Homare und Isabelle Desbaillets stellen sie die vorbereiteten Transportboxen auf Trolleys, rollen sie zum Auto und heben sie in den Kofferraum. 18 Ratten befinden sich je zu dritt in einer Box. Ein paar Stunden später wird ein Mitglied der Geschäftsstelle des Schweizer Tierschutzes STS die restlichen 12 Ratten abholen und sie an weitere STS-Sektionen für das Rehoming transportieren. 

Rebecca Woywod und Judith Bernegger vom Club der Rattenfreunde Schweiz. Bild: Melisa Muhtari

Die STS-Sektionen übernehmen die eigentliche Vermittlungsarbeit: die 30 Laborratten müssen erst an ein Leben als Heimtier gewöhnt werden, bevor sie an private Tierhalterinnen und Tierhalter weitergegeben werden können. Für die Tierarzt- und Unterbringungskosten werden die Sektionen dabei hälftig von der Universität Bern und vom Schweizer Tierschutz STS entschädigt.  

Homare Yamahachi arrangiert die Transportboxen bei der Übergabe an den Club der Rattenfreunde Schweiz. Bild: Melisa Muhtari

«Wir freuen uns darauf, den Ratten ein liebevolles neues Zuhause zu vermitteln», sagt Judith Bernegger. Kurz nach der Übergabe kommt die Nachricht des Clubs, dass die Ratten sich gut eingewöhnt hätten, die Sozialisierung aus den verschiedenen Boxen gut funktioniert habe und alle Tiere bereits an private Tierhalterinnen und Tierhalter vermittelt werden konnten, die ihnen eine artgerechte Haltung bieten können.  

Über die Culture of Care an der Universität Bern 

2023 unterzeichnete die Universität Bern die «Culture of Care Charta» des Schweizerischen 3R-Kompetenzzentrums (3RCC). Die Charta soll praktische Anregungen für Schritte und Massnahmen liefern, um die Culture of Care (CoC) aktiv in die tägliche Forschungsarbeit einzubringen. Die CoC fördert einen respektvollen Umgang mit Tieren und Mitarbeitenden. Sie ist im 3R-Prinzip verwurzelt (nach den englischen «replace, reduce, refine», also dem Reduzieren, Verfeinern oder Ersetzen von Tierversuchen). Der Beitritt zur CoC-Charta ist eine offizielle Anerkennung, dass die Universität Bern ihr Bestes tun wird, um die 3R-Grundsätze über die gesetzlichen Anforderungen hinaus anzuwenden.

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