«Fachchräft, Fachlüt und fachlech suberi Büez»

Woher die fehlenden Fachkräfte nehmen? Im Rahmen der Veranstaltung «Arbeits- und Bildungsraum neu denken» von Alumni UniBE diskutierten am 3. April Expertinnen und Experten über Lösungsansätze. Schriftsteller und Spoken Word-Künstler Pedro Lenz sinnierte über den Wert analoger Arbeit in einer zunehmend digitalisierten Welt.

Pedro Lenz hielt eine Impuls-Rede zum Fachkräftemangel – natürlich in Mundart. © Alumni UniBE / Bild: Karine Grace
Pedro Lenz hielt eine Impuls-Rede zum Fachkräftemangel – natürlich in Mundart.

Lange habe man ja gemeint, mit «dischitel» könne man alle Probleme lösen, sagt Pedro Lenz in seiner humorvollen Spoken Word-Performance im grossen Hörsaal der Universität Bern. Vor lauter Begeisterung über den digitalen Fortschritt gingen aber zunehmend Fertigkeiten verloren: «ds Uswändiglehre, ds Häreluege, ds Stuune, ds Chopfrächne, ds Chopfchino, ds Tagtröime, der Mönscheverschtang, d Intuition, der Inschtinkt, der intellektuell Zwüschehaut, der emotionau Zwüscheschritt, der Zwüscheblick fürs Zwüschemönschleche». Es sei «bireweich», aber wahr, so Pedro Lenz weiter: Die sogenannten Soft Skills kämen uns immer mehr abhanden.

Heute seien nicht noch mehr «ditschitel Soluschons» nötig, sondern «Fachchräft, Fachlüt und fachlech suberi Büez». Denn nicht alles lasse sich outsourcen oder elektronisch bewältigen. Zu den analogen Tätigkeiten gehörten etwa «Brot bache, Bluemestrüüss binge, Bachsteiboute boue, Bundesbeamti belehre, Büecher usbrüete, Büroabeit betröie, Böötli baschtle, Bus- und Bahnverchehr, Burerei, Buchbinderei, Bier braue, Briefe bringe, Betagti betröie, Bébé beherbärge, Baggerfahre, Bodelege, Bienezuecht». Das sei alles «Büez», die jeden Tag gemacht werden müsse, von Fachkräften – «vo sörige, wo wüsse, was sie mache und wie sis mache, und worum, dass sie was mache».

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Videoaufzeichnung der Veranstaltung «Arbeits- und Bildungsraum neu denken» 

Ohne Lohn «isch aues nüt»

Die fehlenden Fachkräfte könne man entweder hier ausbilden oder ins Land holen. Das Zweite sei auf den ersten Blick die günstigste Möglichkeit, «aber nächär gränne töu wieder, me heig doch eigentlich nume Fachchräft gsuecht und nid no meh Lüt, wo do häre chöme und do wei bliibe».

Pedro Lenz, der nach einer Mauerlehre die Matura absolviert und an der Universität Bern studiert hat, plädiert weiter für Durchlässigkeit in der Bildung und Offenheit gegenüber Quereinsteigenden. «Es isch meh oder weniger aues möglech, wenn me motiviert isch und der Gloube het, dass es guet chunnt.» Wo trotzdem Fachkräfte fehlten, habe man entweder zu wenig dagegen unternommen, zu wenig informiert oder zu lange gewartet in der Hoffnung, das Problem löse sich von selbst. Oder die Branche habe das Geld nicht, um attraktive Löhne zu bezahlen. «Der Lohn isch nid aues, dass weiss jede, aber ohni Lohn isch aues nüt.»

In die Menschen investieren

Beim anschliessenden Podiumsgespräch erinnert Moderator Mathias Morgenthaler an die steigende Zahl unbesetzter Stellen und die Schwierigkeit der Arbeitgebenden, geeignete Fachkräfte zu finden. Waren Ende des letzten Jahres rund 120'000 Jobs frei, dürfte diese Zahl laut Prognosen im Lauf der nächsten Jahre auf etwa 365'000 steigen.

Auf dem Podium: Christian Müller, Liliane Kuert, Mathias Morgenthaler, Melanie Mettler und Prof. Dr. Daniel Spurk (von links nach rechts)
Auf dem Podium: Christian Müller, Liliane Kuert, Mathias Morgenthaler, Melanie Mettler und Prof. Dr. Daniel Spurk (von links nach rechts)

HR-Expertin Liliane Kuert bestätigt aufgrund ihrer Beobachtungen die prekäre Situation. In einzelnen Branchen könnten Unternehmen Dienstleistungen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr anbieten. Die Probleme seien aber teilweise hausgemacht: «Noch nicht alle haben gemerkt, dass man nicht einfach nur ein Stelleninserat schalten kann.» Unternehmen müssten sich als attraktive Arbeitgebende positionieren, um wahrgenommen zu werden. Bei Nachfolgelösungen sei vorausschauendes Planen gefragt sowie «der Wille, in die Menschen zu investieren, die im Unternehmen vorhanden sind».

Nationalrätin und Nachhaltigkeitsberaterin Melanie Mettler (glp) spricht von einer grossen Herausforderung für die Gesamtgesellschaft: «Wir wollen den Wohlstand und die Lebensqualität halten.» Nebst der Politik stehe auch die Wirtschaft in der Verantwortung. Auf der politischen Ebene habe die Pflegeinitiative für den Gesundheitsbereich den nötigen Druck aufgesetzt. Hier liege der Ball nun bei den Kantonen. Ausschlaggebend sei zudem ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot, um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, betont Mettler.

Paradigmenwechsel gefordert

Für den Ökonomen Christian Müller, Co-Leiter von Intrinsic, einem Netzwerk für angewandte Bildungsinnovation und -revolution, braucht es in der Bildungskultur einen Paradigmenwechsel: Hin zu intrinsischer Motivation, die sich aus dem inneren Antrieb nährt, sowie individueller Begleitung beim Lernen. Trotz Lehrplan 21, der sich an Kompetenzen orientiert, folge die Schule heute nach wie vor einer «industriellen Logik» – indem man die Kinder in Jahrgangsklassen einteile und den Takt durch Lektionen vorgebe. «Das hat nicht viel mit Bildung und Entfaltung zu tun und entspricht auch nicht dem künftigen Arbeitsumfeld», so Müller. Es seien vielmehr Leute gefragt, «die denken, kreieren und im Team Lösungen finden können».

Gemäss Daniel Spurk, Assoziierter Professor am Institut für Psychologie der Universität Bern, geht es nicht zuletzt darum, «einem Interesse folgen zu können.» Für die Arbeitnehmenden seien zudem Flexibilität und die Vereinbarkeit mit der Familie wichtige Kriterien. Studien zeigten, dass Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor sichere Jobs im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses bevorzugten. Spurk: «Sicherheit beinhaltet aber auch die Gewissheit, allenfalls einen neuen Job zu finden.»

Mit der Veranstaltung griff Alumni UniBE das diesjährige Thema des nationalen Ideen-Wettbewerbs «Wunsch-Schloss» auf. Noch bis zum 30. April 2023 können auf dieser Plattform Vorschläge zum Thema «Swiss work(s) – Deine Idee zur Lösung des schweizweiten Fachkräftemangels» eingereicht werden. Zu den Jurorinnen und Juroren des diesjährigen Wettbewerbs gehört auch Pedro Lenz.

Über Alumni BE

Alumni UniBE ist das akademische Netzwerk der Universität Bern. Es bildet mit Studierenden, Ehemaligen, Alumni-Fachorganisationen sowie den Unterstützerinnen und Unterstützern eine vernetzte Community und will ein Netzwerk auf Lebzeiten sein. Alumni UniBE verbindet ihre Mitglieder mit den Fachorganisationen des eigenen Fachs. So verschafft Alumni UniBE den Zugang zu persönlichen und beruflichen Beziehungen wie auch die Verbindung zu Forschung und Wissen der Universität Bern.

Über das Wunsch-Schloss

Das Wunsch-Schloss ist ein Ideenwettbewerb und wurde 2015 von der Stiftung StrategieDialog21 und dem Swiss Venture Club (SVC) lanciert, die Universität Bern ist Knowledge-Partnerin. Das Ziel der Wunsch-Schloss-Initianten ist es, eine Brücke zwischen Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu schlagen. Mit diesem Ansatz verschafft das Wunsch-Schloss seit 2015 den Lösungen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern politisches Gehör. 2023 ist der Ideenwettbewerb dem Thema «Swiss work(s)» – Deine Idee zur Lösung des schweizweiten Fachkräftemangels? gewidmet.

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