«Gemeinsam lassen sich Projekte realisieren, die sonst nicht machbar wären»

Das wichtigste internationale Netzwerk zur Erforschung des Klimas der Vergangenheit PAGES, vereint 5000 Forschende aus 120 Ländern, der Hauptsitz ist an der Universität Bern. Martin Grosjean, der Ko-Vorsitzende, zur unterschätzten Bedeutung dieser globalen Forschungsnetzwerke, von denen die Uni Bern gleich mehrere beherbergt.

Herr Grosjean, am 1. Juni findet in Bern ein grosses Symposium von PAGES statt, einem Netzwerk von Tausenden von Klimaforschenden auf der ganzen Welt. Warum sind solche Forschungsnetzwerke wichtig?

Gewöhnlich umfasst eine Forschungsgruppe rund zehn Forschende. Damit lässt sich nur eine beschränkte Grösse von Projekten angehen. In internationalen Forschungsnetzwerken wie PAGES hingegen kann man Projekte lancieren, bei denen weltweit viele Dutzend Forschungsgruppen gemeinsam an einer Forschungsfrage arbeiten, für die es sonst kein Gefäss gibt. Es lassen sich Ressourcen bündeln und Projekte realisieren, die sonst nicht machbar wären.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Für grosses Aufsehen sorgte etwa die PAGES 2K Initiative, dank der wir das Klima der vergangenen 2000 Jahre rekonstruieren konnten – auf globaler Ebene, aber auch regional aufgelöst, und das für jedes einzelne Jahr. Angefangen hat das Projekt 2004 mit einer Gruppe, die eine Klimarekonstruktion der letzten 500 Jahre für Europa machte, dann bildete sich eine Gruppe für Südamerika und schliesslich weitere auf allen Kontinenten. Nach rund siebenjähriger Zusammenarbeit liess sich schliesslich das Puzzle zusammensetzen und eine globale Übersicht erstellen …

… die dann auch Eingang in den Sachstandsbericht des Weltklimarats fand.

Genau, die Rekonstruktion der durchschnittlichen globalen Oberflächentemperatur während der letzten 2000 Jahre ist Teil des sechsten IPCC Reports. Die entsprechende Grafik findet sich im Summary for Policymakers, in der Zusammenfassung also, wo nur das Wichtigste vom Wichtigsten steht.

Wie kommt ein PAGES Forschungsvorhaben zustande?

Das Netzwerk ist basisgetrieben. Es können sich Forschende zusammentun und einen Vorschlag für eine PAGES Working Group machen. Diese Working Groups haben ein spezielles Ziel, wie zum Beispiel die Rekonstruktion von Hochwasserereignissen für das Holozän im Alpenraum, an der wir in Bern beteiligt waren. Berner Forschende sind unter anderem auch in einer Gruppe aktiv, welche die Folgen von Vulkanausbrüchen auf Klima und Gesellschaft erforscht. Bei PAGES können alle interessierten Forschenden mitmachen.

Vulkanausbrüche in vergangenen Zeiten und ihre Folgen für Klima und Gesellschaft sind ein Thema, das im Rahmen von PAGES erforscht wird. © PAGES
Vulkanausbrüche in vergangenen Zeiten und ihre Folgen für Klima und Gesellschaft sind ein Thema, das im Rahmen von PAGES erforscht wird. © PAGES
Was bringt PAGES der Uni Bern als Gastinstitution?

Mehr als man denkt – und mehr als im Moment daraus gemacht wird. Die über 5000 Mitglieder des Netzwerks aus 125 Ländern wissen, dass PAGES an der Universität Bern angesiedelt ist. Für die Reputation der Universität Bern ist es von grosser Bedeutung, dass diese weltweite Community weiss, dass Bern eines der führenden Zentren der Paleoklimaforschung und damit ganz allgemein der Klimaforschung ist.

Weshalb befindet sich das PAGES Hauptquartier eigentlich in Bern?

Das geht auf Hans Oeschger zurück, den Berner Klimaforschungspionier, nach dem das Oeschger-Zentrum benannt ist. PAGES ist 1991 auf seine Initiative hin gegründet worden, er konnte zusammen mit einer Handvoll Kollegen sowohl den Schweizerischen wie den US-amerikanischen Nationalfonds davon überzeugen, ein solches Netzwerk ins Leben zu rufen und langfristig zu finanzieren. Mittlerweile wird der schweizerische Teil am Netzwerk finanziell durch die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT – beziehungsweise das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation – getragen.

Neuerdings wird PAGES auch von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften CAS mitfinanziert. Was erwarten die Geldgeber?

Die Antwort liegt wohl darin, dass solche Netzwerke Forschungsleistungen erbringen, zu denen sonst niemand in der Lage ist. Und eine finanzielle Unterstützung von PAGES ist potenziell mit einer hohen Reputation verbunden, mit Leadership. Grundsätzlich ist es sehr schwierig, Finanzierung für ein internationales Netzwerk sicherzustellen, weil sich niemand richtig zuständig fühlt. Während der Trump-Ära zogen sich die USA aus PAGES zurück, europäische Staaten wollten nicht einspringen. Schliesslich konnte die CAS überzeugt werden, die nun seit 2019 einen der Co-Vorsitzenden stellen darf, wie bisher die USA, zusammen mit dem Co-Vorsitz aus der Schweiz. Die CAS misst PAGES eine hohe Bedeutung zu: Am PAGES Symposium vom 1. Juni wird eine sechsköpfige Delegation aus China teilnehmen, darunter Gao Hongjun, der Vizepräsident der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

«Für die Reputation der Universität Bern ist es von grosser Bedeutung, dass diese weltweite Community weiss, dass Bern eines der führenden Zentren der Paleoklimaforschung und damit ganz allgemein der Klimaforschung ist.»

Martin Grosjean

Hat sich bei PAGES etwas verändert, seit China mitbestimmt?

Nein. Die Reglemente zur internen Organisation von PAGES blieben unverändert und die Richtlinien der SCNAT hat die CAS eins zu eins übernommen. Zum Beispiel in der Frage, wie das Board zusammengesetzt wird und wie Entscheidungen gefällt werden.

Neben PAGES sind noch andere internationale Forschungsnetzwerke in Bern zuhause.

Ja, im Bereich Umweltforschung sind dies die Mountain Research Initiative, das Global Mountain Biodiversity Assessment und bis Anfang dieses Jahres hatte auch noch das Global Land Programme seinen Sitz in Bern. Diese Netzwerke funktionieren unter dem Dach des globalen Nachhaltigkeitsprogramms Future Earth. Dass an einer kleinen Uni wie Bern mehrere Projekthauptquartiere dieses Programms stationiert sind, ist sehr aussergewöhnlich, macht aber Sinn, denn «Nachhaltigkeit» ist einer von fünf Themenschwerpunkten der Strategie 2030 der Uni Bern. Bern hat in Nachhaltigkeitsthemen international eine Führungsrolle inne.

Was allerdings kaum bekannt ist …

… meiner Meinung nach macht die Uni Bern viel zu wenig aus dieser Tatsache. Dies, obwohl «Internationalisierung» Teil der Strategie 2030 ist. Um die internationale Ausstrahlung zu verbessern, sollten wir diese Forschungsnetzwerke viel stärker ins Rampenlicht rücken – und wir sollten umgekehrt diese Netzwerke dazu verpflichten, der Uni Bern zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Das ist ein Geben und ein Nehmen.

Zur Person

Martin Grosjean ist Professor für Paläolimnologie und Direktor des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung an der Universität Bern. Seit 2023 ist der zusammen mit dem Chinesen Zhimin Jian Ko-Vorsitzender des Internationalen Forschungsnetzwerks PAGES (Past Global Changes).

Über das Symposium

Am 1. Juni 2023 findet an der Universität Bern das «International Symposium on Past Global Changes: Lessons for a Sustainable Future 2023» statt. Die Veranstaltung ist gratis und öffentlich, die Vorträge werden auf Englisch gehalten.

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