Mit Umweltgeschichte für die Klimakrise lernen

Zum ersten Mal findet die Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Umweltgeschichte (ESEH) in der Schweiz statt. Doch was eigentlich forschen die rund 650 Historikerinnen und Historiker, die sich vom 22. bis am 26. August an der Universität Bern zu diesem Grossanlass treffen?

Text: Kaspar Meuli 17. August 2023

Berge und Ebenen – das Thema der internationalen Konferenz passt zum Austragungsort Bern. Bild: zvg

«Berge und Ebenen» stehen im Zentrum der Konferenz, die «vergangene, gegenwärtige und zukünftige ökologische und klimatische Verflechtungen» thematisiert. Berge und Ebenen – das hat viel mit dem Austragungsort zu tun: «Durch seine Nähe zu den Alpen ist Bern prädestiniert für eine Tagung, welche die besondere Rolle der Bergregionen für die gesellschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt stellt», sagt Christian Rohr, Professor für Umwelt- und Klimageschichte an der Universität Bern.  

Berge als schützende Barrieren 

«Überall auf der Welt waren Gebirgsketten seit prähistorischen Zeiten eine schützende Barriere und ein Ort, den es zu überwinden galt», betont Rohr. Der Transit habe die sozioökonomische Struktur der Gebirgsgesellschaften nachhaltig beeinflusst und den Wissenstransfer ermöglicht. Kommt dazu, dass zahlreiche ökologische Herausforderungen eng mit den Bergen zusammenhängen. Christian Rohr, der Gesamtorganisator des Anlasses, ist deshalb überzeugt, dass Umweltgeschichte für die Gesellschaft relevant ist. 

Woran Umwelthistoriker und Klimahistorikerinnen konkret arbeiten, zeigen die folgenden Projekte von fünf Forschenden, die am Historischen Institut sowie am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern tätig sind. 

1. Wie reagieren Gesellschaften auf Vulkanausbrüche?

Um die Auswirkungen von Vulkanausbrüchen auf Klima und Gesellschaft geht es im Vorhaben von Heli Huhtamaa. Sie ist Assistenzprofessorin und hat für ihre Forschung sowohl einen ERC Starting Grant der EU als auch ein Ambizione-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds erhalten. In ihrem interdisziplinären Projekt untersuchen Huhtamaa und ihr Team Vulkanausbrüche vom späten Mittelalter bis zur Neuzeit.  

Vulkanausbrüche wie hier der Mayon auf den Philippinen 2018 können eine Gesellschaft langandauernd beeinflussen. Bild: Creative Commons

«Unser besonderes Interesse gilt den indirekten klimatischen und gesellschaftlichen Auswirkungen», sagt sie. Sie erforscht zum Beispiel, wie in der Vergangenheit das Winterklima dynamisch auf Vulkanausbrüche reagiert hat. Oder wie Behörden und Bevölkerung vulkanisch bedingten Klimastörungen begegnet sind. Konkret führt Huhtamaa systematische Längsschnitt-Fallstudien durch, die mehrere Vulkanausbrüche umfassen, und sie vergleicht die klimatischen und gesellschaftlichen Auswirkungen verschiedener Ausbrüche im zeitlichen Ablauf. Dazu werden schriftliche historische Quellen untersucht, und am Projekt beteiligte Mitglieder des Oeschger-Zentrums liefern Daten aus natürlichen Klimaarchiven wie Baumringen, Eisbohrkernen und jährliche Sedimentablagerungen in Seen. 

2. Wie kam die Schweiz zu ihren Schutzwäldern? 

Der Geschichte des Schutzwaldes in der Schweiz geht Michael Flütsch in seiner Dissertation nach. Er untersucht, wie diese Wälder seit 1876 genutzt und bewirtschaftet wurden und wie sich der Umgang mit ihnen im Lauf des 20. Jahrhunderts verändert hat. «Der Fokus meiner Studie», erklärt er, «liegt primär auf Aushandlungsprozessen zwischen der lokalen ländlichen Bevölkerung und den Forstinspektoren und Kreisförstern, welche die staatliche Forstpolitik ab 1876 umsetzen und kontrollieren mussten.» 

Die Aufnahme von 1908 zeigt eine Gesamtansicht des Verbauungsprojektes «Muot» bei Bergün mit dem zugehörigen Schutzwald. (Quelle: Coaz 1910: Tafel XXIII)

Um diese Prozesse zu verstehen, arbeitet Flütsch unter anderem mit vier lokalen Fallstudien, darunter die Geschichte des «Muot» bei Bergün. Weil der Bau der Albulabahn Schutzmassnahmen gegen Lawinen und Steinschlag nötig machte, wurde in dieser Bündner Gemeinde 1908 ein Gebiet enteignet, das jahrhundertelang als Waldweide genutzt worden war. In der Folge wurden am «Muot» ausgedehnte Aufforstungen ausgeführt, die fortan als Schutzwald bewirtschaftet und gepflegt wurden. In seiner Untersuchung geht Michael Flütsch unter anderem der Frage nach, welche Rolle bei der Errichtung von Schutzwäldern staatliche Subventionen spielten. 

Podcast

Umweltgeschichte in der Klimakrise

Was kann die Erforschung der Vergangenheit zur Lösung der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Klimawandels beitragen? Ein Gespräch über die Herausforderungen der Umweltgeschichte mit Christian Rohr, Professor für Umweltgeschichte an der Universität Bern.

3. Wie verändert Krieg die Umwelt? 

Die Umweltgeschichte des Militärischen ist das Thema von Daniel Marc Segesser. Es gehe ihm dabei nicht um einzelne Projekte, sagt der Dozent, sondern «eher um einen spezifischen Ansatz» bei der Beschäftigung mit der Geschichte von Kriegen, Konflikten und weiteren militärischen Aspekten. Will heissen: Der Militärhistoriker zieht bei seinen Untersuchungen immer auch Umweltaspekte mit ein. Eine von Segessers Lehrveranstaltungen trug zum Beispiel den Titel «Von Bohnen, Geschossen, Kälte, Kanonen, Schnee und Tod: Ein Forschungsseminar zur Sozial, Kultur- und Umweltgeschichte des Ersten Weltkrieges».  

Ein anderes Beispiel für seine Arbeit: das Buch «Woche für Woche neue Preisaufschläge: Nahrungsmittel-, Energie- und Ressourcenkonflikte in der Schweiz des Ersten Weltkrieges», bei dem er Koautor war. Im Rahmen der Berner ESEH-Konferenz bietet Daniel Segesser übrigens eine Exkursion ins Seeland an, auf der er unter anderem zeigt, welche Auswirkungen die Juragewässerkorrektion im 19. Jahrhundert auf das regionale Verteidigungsdispositiv hatte. 

4. Was bewirken neue Kraftwerke in den Alpen? 

Sara Šifrar Krajnik untersucht in ihrer Dissertation die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Wasserkraftinfrastruktur in den slowenischen Alpen. Neben einem historischen Überblick dieser Bauten arbeitet sie vier Fälle von Wasserkraftwerken in der Region Gorenjska auf.  

Sie erforscht die Auswirkungen auf die lokale Umwelt sowie die Reaktionen der lokalen Bevölkerung auf die neue Infrastruktur. «Mich interessiert, welche Verluste und welchen Nutzen der Bau von Wasserkraftwerken und Stauseen für Umwelt und Bevölkerung bedeuteten – auch im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung.» Zudem geht Sara Šifrar Krajnik der Frage nach, welche Akteure, Interessengruppen und Machtstrukturen hinter der Vergabe von Konzessionen und dem Bau dieser Wasserkraftwerke standen. 

5. Wie weiter mit dem Alpentourismus ohne Gletscher? 

Christian Rohr schliesslich ist Direktor der Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte des Historischen Instituts der Universität Bern. Als Professor für Umwelt- und Klimageschichte bietet er Lehrveranstaltungen an mit Titeln wie «Skipisten, Bobbahnen und Golfplätze – eine Umwelt- und Nachhaltigkeitsgeschichte von Sportstätten».  

Bürgerliche Touristinnen und Touristen an der 1905 eröffneten Station Eismeer der Jungfraubahn. Entwurf für ein nicht realisiertes Plakat von Anton Reckziegel, 1905. (Ausschnitt) Bild: Alpines Museum der Schweiz

Ein Fokus seiner Forschung liegt gegenwärtig auf der Umwelt-Tourismusgeschichte der Alpen in der Belle Époque. In einem Pilotprojekt geht er dem Umstand nach, dass die Tourismusinfrastruktur gezielt auf das Gletschererlebnis ausgerichtet wurde. «Mich interessiert unter anderem», sagt er, «wie die Bergbahnen den neuen Blick auf die Alpen prägten und wie diese den Alpentourismus bis heute verändern.»  

Und er beschäftigt sich mit der Rolle, welche die Gletscher im späten 19. Jahrhundert für den Alpentourismus spielten. «Inzwischen sind die Gletscher stark zurückgegangen, und es zeigt sich, wie wichtig umwelthistorische Fragen auch für allfällige Neuorientierungen sind», erklärt Christian Rohr. «Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Alpentourismus werden am Beispiel der Gletscher allgegenwärtig.» 

Internationale Konferenz

Umweltgeschichte im Fokus

Die Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Umweltgeschichte (ESEH) findet vom 22. bis am 26. August an der Universität Bern statt. Im Zentrum steht das Thema «Berge und Ebenen: Vergangene, gegenwärtige und zukünftige ökologische und klimatische Verflechtungen.»

Zur Person

Christian Rohr

ist Direktor der Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte des Historischen Instituts der Universität Bern. Er hat an der Universität Wien studiert und promoviert und wurde 2010 zum Professor für Umwelt- und Klimageschichte an die Universität Bern berufen. Zu seinen zahlreichen Publikationen zählen unter anderem «Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit» oder «Climate and Beyond. The Production of Knowledge about the Earth as a Signpost of Social Change». Christian Rohr ist der Gesamtorganisator der Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Umweltgeschichte (ESEH) in Bern.

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