«Vielfalt trägt zu Qualität bei»

Barbara Lischetti war Gleichstellungsbeauftragte und Wegbereiterin des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung IZFG an der Uni Bern. Zu ihrem 20. Todestag spricht Andrea Zimmermann über ihr Vermächtnis und das IZFG heute.

Welchen Anteil hat Barbara Lischetti an der Gründung des IZFG 2001?

Barbara Lischetti spielte eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung des IZFG. Vor etwa 30 Jahren erhielt die Universität Bern sogenannte Kopfprämien für die Berufung von Frauen auf Professuren und, wie die meisten Universitäten, verwendete sie diese Gelder zur Förderung der Gleichstellung von Frauen. Lischetti war jedoch der Meinung, dass diese Mittel auch in die Frauen- und Geschlechterforschung investiert werden sollten. Mit der Unterstützung einiger Professorinnen konnte sie 2001 die Universitätsleitung davon überzeugen, mit ihnen ein Forschungszentrum zu finanzieren, das IZFG.

Wo steht das IZFG heute, 20 Jahre später?

Mit rund 40 Mitarbeitenden aus unterschiedlichsten Disziplinen kommt am IZFG viel Expertise zusammen. Es ist ein Kompetenzzentrum mit nationaler sowie internationaler Bedeutung. Unsere wesentlichen Tätigkeitsfelder sind Grundlagen- und Mandatsforschung – insbesondere für diverse Bundesämter und andere Hochschulen, die Lehre sowie Projekte im Bereich Wissenstransfer und Kooperationsprojekte. Das IZFG hat also gesellschaftliche Bedeutung und reagiert mit innovativen Vorhaben und relevanter Forschung auf aktuelle Bedürfnisse wie beispielsweise ein Projekt zur Frauengesundheit, das dieses Jahr im Auftrag des Bundeamtes für Gesundheit durchgeführt wurde.

Zur Person

Barbara Lischetti

war Leiterin der Abteilung für Frauenförderung (AFF), der heutigen Abteilung für Chancengleichheit, und Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Bern. © Nora Lischetti

Zu ihren Ehren vergibt das IZFG seit 2014 den Barbara Lischetti-Preis. Was wird mit diesem Förderpreis ausgezeichnet?

Dieser Preis zeichnet alle zwei Jahre herausragende Dissertationen aus, die sich mit einem Thema der Geschlechterforschung oder einem aktuellen Forschungsansatz aus diesem Bereich beschäftigen. Ich finde diesen Förderpreis sehr bemerkenswert, weil er Lischettis Engagement für eine gezielte Förderung der Geschlechterforschung fortsetzt und weil er die Schnittstelle zwischen Gleichstellungsarbeit und Geschlechterforschung verdeutlicht. Forschung zu den gegenwärtigen Geschlechterverhältnissen ist beispielsweise oftmals eine Grundlage, um wirkungsvolle Massnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit ergreifen zu können: Wie genau bestimmte Aus- und Einschlussmechanismen funktionieren und welche Geschlechternormen wem in welchem Kontext nach wie vor den Weg versperren oder ebnen.

Am Gedenkanlass für Barbara Lischetti halten Sie am 21. September einen Vortrag mit dem Titel «Geschlechterverhältnisse transformieren, hegemoniale Männlichkeit kritisieren». Worum geht es?

Dahinter steht ein Projekt, bei welchem wir in einer fünfjährigen Kooperation mit einem schweizweiten Forschungsschwerpunkt untersucht haben, weshalb an den Universitäten so wenige Frauen in Fächern wie Biochemie und Chemie Führungspositionen innehaben. Wie kommt es, dass viele Frauen den Wissenschaftsbetrieb nach dem Doktorat verlassen? Meistens wird in diesem Zusammenhang darüber nachgedacht, wie Nachwuchswissenschaftlerinnen gezielt unterstützt werden können. Nach unseren Ergebnissen ist es aber genauso wichtig, die herrschenden Normen zu hinterfragen, die implizit mit Männlichkeit verbunden sind: Das Bild vom allzeit verfügbaren, mobilen, in keinerlei Zusammenhänge eingebundenen genialen Wissenschaftler, der ausschliesslich für seine Forschung lebt, ist höchst problematisch.

Zur Person

Andrea Zimmermann

ist Senior Researcher am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern und forscht zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Sie leitet derzeit das Kooperationsprojekt «Gender- und Diversitätsmonitoring in Kulturbetrieben» und publiziert zu Gleichstellung, emanzipatorischer Kritik, Theater und Männlichkeiten.

Warum?

Diese Vorstellungen liegen vielen bewussten und unbewussten Ausschlüssen zugrunde. Allerdings nimmt der Unmut über ein solches Lebensmodell bei Nachwuchsforschenden insgesamt zu. In meinem Input geht es nicht nur um die Hürden, sondern auch um Lösungsansätze, wie diese überwunden oder beseitigt werden können, und wie wir diese Lösungsansätze gemeinsam mit Personen aus der Gleichstellungsarbeit umsetzen können. Das sind viele notwendige Schritte, um das Feld der Wissenschaften inklusiver zu gestalten.

Über das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung IZFG

Das IZFG ist in Forschung, Lehre und im Wissensdialog tätig und setzt sich inhaltlich, methodisch und theoretisch mit Geschlecht, Geschlechterfragen und Diversität auseinander. 2001 gegründet, arbeiten am IZFG heute über 40 Personen aus unterschiedlichen Disziplinen. Das interfakultäre Zentrum wird geleitet von zwei Professorinnen, die an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät sowie an der Philosophisch-historischen Fakultät angesiedelt sind.

Monitoring, also die systematische Beobachtung von Daten, ist ein wichtiges Element Ihrer Forschung. Würden Sie das bitte näher erläutern?

Bei unserem Monitoring geht es darum, durch kontinuierliches Erfassen von geschlechts- und diversitätsspezifischen Daten besser analysieren zu können, wem welcher Gestaltungsspielraum zur Verfügung steht. Daraus können wir Massnahmen für eine gerechtere Verteilung ableiten, Entwicklungen nachvollziehen und überprüfen, ob ergriffene Massnahmen die gewünschte Wirkung zeigen. Wir entwickeln zum Beispiel zurzeit ein Gender- und Diversitätsmonitoring für Kulturbetriebe. Mit deren Geschlechterverhältnissen haben wir uns schon einige Zeit beschäftigt, so dass wir nun mit ersten Betrieben konkrete Schritte zur systematischen und kontinuierlichen Erfassung von Daten gehen können.

Ein Diversitätsmonitoring aber ist aufgrund der Erhebung und sicheren Verwaltung sensibler Daten sehr viel komplexer. Beim Engagement einer Schauspielerin oder eines Tänzers in einem Kulturbetrieb werden ja keine Angaben über die ethnische und soziale Herkunft erfasst. Damit wir diese Aspekte erheben und analysieren können, müssen wir noch einige s entwickeln. Es ist unser Ziel, auch mehrfache Diskriminierungen und damit besonderen Handlungsbedarf für Gleichstellung sichtbar zu machen.

Komplexe Themen wie Gender und Vielfalt müssen zusammen gedacht werden. Was sind Ihre Empfehlungen, um sie an Universitäten strukturell anzugehen?

Zunächst ist mir besonders wichtig zu betonen, dass Diversität und mehr Inklusion nicht das Gegenteil von Qualität bedeuten. Gerade in der Forschung können qualitativ bessere Ergebnisse zustande kommen, wenn ein Phänomen aus verschiedenen Perspektiven analysiert wird. Dies wurde in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen.

Die Universität ist nicht nur in der Schweiz eine Institution, die hauptsächlich weiss ist und damit Gefahr läuft, bestimmte Perspektiven zu wenig aufzunehmen. Universitäten müssen sich daher nicht nur fragen, wie sie Frauen fördern können, sondern auch, wie sie ihre Teams diverser aufbauen können, um als Institution in vielfacher Weise zugänglicher und inklusiver zu werden. Wie können wir aus unterschiedlichen Perspektiven und mit vielfältigem Wissen gemeinsam forschen? Dabei ist die Selbstreflexion der Verantwortlichen wichtig, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass wichtige Aspekte übersehen werden wenn eine homogene Gruppe von Menschen eine Fragestellung bearbeitet; wie etwa im Falle von Herzinfarkten, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich äussern, oder bei Crashtestdummies die lange an Standardmassen eines männlichen Körpers ausgerichtet wurden. Deswegen sind Forschungszentren wie das IZFG mit seiner vielfältigen Expertise so relevant. Sie decken ein sehr breites Feld ab und untersuchen ein Thema aus verschiedenen Perspektiven.

Über die Abteilung Chancengleichheit der Universität Bern AFC

Die AFC setzt sich für die Förderung von Chancengleichheit und Gleichstellung von Frauen und Männern ein, ist bestrebt Zugangshürden abzubauen und fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Verpflichtungen. Für die Universität sind die vielfältigen Perspektiven der Universitätsangehörigen ein wesentlicher Bestandteil von Exzellenz in Forschung, Lehre und Verwaltung.

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