Fit dank Freunden: Wer kooperiert, profitiert

Echte Freundinnen und Freunde gehen füreinander durchs Feuer. Wie entsteht diese gegenseitige Fürsorge? Ein Streifzug durchs Tierreich mit dem Verhaltensökologen Michael Taborsky zeigt, dass Kooperation ihren Ursprung in der Biologie hat.

Kisten tragen beim Umzug, Pflanzen giessen während des Urlaubs, trösten bei Liebeskummer, Suppe kochen bei Grippe.
Für unsere Freundinnen und Freunde sind wir sofort zur Stelle, wenn sie uns brauchen. Wir helfen, «weil wir eine enge soziale Beziehung haben, die sich über emotionale Erfahrungen aufgebaut hat», sagt Michael Taborsky, emeritierter Professor für Verhaltensökologie der Universität Bern. Für unseren Gefallen erwarten wir nicht gleich eine Gegenleistung. Wir verlassen uns aber darauf, dass der Freund, die Freundin sich irgendwann revanchieren wird. Ohne gegenseitige Hilfsbereitschaft funktionieren Freundschaften und Liebesbeziehungen nicht (lange) – und für Michael Taborsky, der seit Jahrzehnten die Evolution von Kooperation im Tierreich erforscht, ist unbestritten: «Menschliches Sozialverhalten – und damit auch die gegenseitige Hilfe – hat seine Wurzeln in der Biologie. Die grundlegenden Mechanismen für Altruismus und dessen Erfolg finden wir auch im Tierreich.» Sagts und stellt sogleich eine Spezies vor, mit der wir eher weniger Freundschaftlichkeit verbinden: die Vampirfledermaus.


Sie jagen in der Nacht und zapfen Wirbeltieren Blut ab. Zurück am Schlafplatz teilen sie ihre Mahlzeit mit Freundinnen, wenn diese erfolglos und hungrig heimkehren: Für sie würgen sie immer ein Schlückchen Blut herauf.
Vampirfledermäuse pflegen einen «Freundeskreis», beinahe wie wir: «Erst bauen sie bei abwechselnder Fellpflege Vertrauen auf, bevor sie später einander mit Blutspenden über die Runden helfen», erzählt Taborsky, mal offeriert die eine, mal die andere eine Portion. Diese Gegenseitigkeit nach dem Motto «Wie du mir, so ich dir» – auch Reziprozität genannt – schafft eine Win-win-Situation und sichert den kleinen Blutsaugern das Überleben. Trinkt nämlich eine Vampirfledermaus zwei Nächte lang nichts, stirbt sie.

Zur Person

Michael Taborsky

ist seit 2000 Professor für Verhaltensökologie an der Universität Bern und erforscht die evolutionären Prinzipien, die verschiedenen Verhaltensstrategien zugrunde liegen. Seine Studien an Insekten, Fischen, Vögeln und Säugetieren verbindet er mit theoretischen und konzeptionellen Ansätzen. Er ist seit August 2020 emeritiert und nun Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin.

Die Evolution von Kooperation

Ob sich lausende Schimpansen, Gefieder putzende Schleiereulen, Nester bauende Feldwespen: gegenseitige Hilfe und Kooperation sind bei Tieren weitverbreitet. Doch wie konnte sich kooperatives Verhalten in der Evolution überhaupt entwickeln? Im Rennen ums Überleben würde man eher nur Egoisten am Start erwarten, kommen doch nach Darwin’scher Evolutionstheorie nur diejenigen eine Runde weiter, die in der Konkurrenz um Ressourcen am erfolgreichsten sind. Verhaltensökologe Taborsky erklärt: «Ressourcen wie Territorium und Futter sind nur begrenzt vorhanden. Die Tiere haben drei Möglichkeiten, diese für sich zu erschliessen: schneller zu sein als die anderen, sie zu monopolisieren und darum zu kämpfen oder zu kooperieren und zu teilen.» Kooperation kann als Strategie durchaus Vorteile bringen: «Von ihrem uneigennützigen Verhalten profitieren schliesslich die Tiere selbst, wie wir bei der Vampirfledermaus gesehen haben», so Verhaltensökologe Taborsky.

Vorteil Verwandtschaft

Doch mit wem lohnt es sich, gemeinsame Sache zu machen? Zum Beispiel mit Verwandten. Gleiche Gene sind eine treibende Kraft für kooperatives und altruistisches Verhalten. So helfen beispielsweise Geschwister bei Schwanzmeisen und Bienenfressern mit, Junge grosszuziehen. Den selbstaufopfernden Einsatz für seine Artgenossen erklärt die Verwandtenselektion, die der Brite Willam Hamilton in den 1960er-Jahren formuliert hat: Um seine Gene weiterzugeben, muss ein Tier nicht unbedingt selbst Nachkommen haben; es kann sich auch fürs Überleben seiner Geschwister einsetzen, mit denen es die Hälfte der Gene teilt – also gleich viele wie mit dem eigenen Nachwuchs. «Geschwisterhilfe tritt besonders dann auf, wenn die Umweltbedingungen zu widrig sind, um sich selbst fortzupflanzen. In dieser Situation lohnt es sich, die Geschwister zu pflegen und damit sicherzustellen, dass Erbinformationen für Eigenschaften wie ‹Geschwisterpflege› weitergegeben werden», ergänzt Michael Taborsky.

Kurz erklärt

Reziprozität

Altruismus bezeichnet in der Biologie selbstloses Verhalten, das die Fitness eines anderen Lebewesens erhöht, aber die eigene herabsetzt. Wenn sich Tiere gegenseitig helfen, liegt Reziprozität vor: Erst verursacht die Hilfe zwar Kosten, aber sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, später eine Gegenleistung zu erhalten. Bei der direkten Reziprozität helfe ich dem, der mir geholfen hat, bei der indirekten helfe ich dem, der anderen geholfen hat, und bei der generalisierten Reziprozität helfe ich anderen, weil ich selbst Hilfe erfahren habe – dabei spielt es keine Rolle, von wem die Hilfe kam. Das Erlebnis von Kooperation sorgt in diesem Fall gemäss Michael Taborsky dafür, dass sich die Grundhilfsbereitschaft eines Individuums erhöht – was auch beim Menschen zu beobachten sei: Wenn uns geholfen wird, sind wir prinzipiell hilfsbereiter, auch ausserhalb von Verwandten und Freundeskreisen. Voraussetzung für solche Grosszügigkeiten sind relativ niedrige Kosten dieser Hilfestellung und eine «strukturierte Population», in der es wahrscheinlich ist, dass die Sozialpartner irgendwann wieder aufeinandertreffen.

 

Es summt im Bienenstock. Die Arbeiterinnen sind eifrig bei der Brutpflege. Sie stehen ganz im Dienst des Staates, in dem sich nur die Königin fortpflanzt. Die Arbeiterinnen sind steril und haben keine Nachkommen.
Die Selbstaufopferung der Arbeiterinnen erstaunt. Das Paradebeispiel für echten Altruismus ergibt gemäss Darwin, wonach nur überlebt, wer seine Gene auch weitergibt, scheinbar keinen Sinn: Verzichtet ein Individuum zum Vorteil eines anderen ganz auf die Fortpflanzung, ist seine genetische Fitness durch die Erzeugung eigener Nachkommen gleich null. Seine Merkmale schaffen es also nicht in die nächste Generation – und die Gene, die für seine Selbstlosigkeit verantwortlich sind, sterben aus. «Bedingungsloser Altruismus, bei dem ein Gebender nie etwas zurückbekommt oder keine eigenen Gene weitergibt, ist eine evolutionäre Sackgasse», pflichtet denn auch Taborsky bei. Erst der genaue Blick in den hoch entwickelten Sozialstaat der Bienen lüftet das Geheimnis um die selbstlosen Arbeiterinnen: Auch hier ist Verwandtenselektion am Werk – sind sie doch Töchter der einzigen Königin. Die altruistische Brutpflege lässt sich dadurch erklären, dass die Bienen ihre Halb- oder Vollgeschwister aufziehen, mit denen sie einen grossen Teil ihres Erbguts gemeinsam haben. Ähnliche Verwandtschaftsverhältnisse existieren auch in Wespenstaaten und Ameisenkolonien.

Kooperationsdeals bei Fischen und Ratten

Verwandte können aufeinander zählen, doch Vampirfledermäuse beweisen, dass Kooperation auch unter Nichtverwandten klappt. Nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit gehen auch viele andere Tierarten «unverwandte» Hilfedeals ein. Etwa die «Prinzessin vom Tanganjikasee», ein hoch sozialer Buntbarsch, den Michael Taborsky seit Jahrzehnten erforscht. Die Buntbarsche leben in Gruppen, in denen nicht verwandte Fische den dominanten Brutpaaren bei der Aufzucht helfen. «Die subdominanten Brutpflegehelfer haben dadurch hohe Stoffwechselkosten, was sogar ihr Wachstum verlangsamt. Im Gegenzug erkaufen sie sich aber so den Schutz der Gruppe, alleine würden sie sofort Raubfischen zum Opfer fallen», erklärt der Biologe den Handel unter den Fischen, der allerdings auch nicht ganz freiwillig ist: «Arbeitet ein Helferfisch nicht wie gewünscht, wird er vom Brutpaar zurechtgewiesen, angedroht, gerammt und gegebenenfalls sogar gebissen.» Eine solche asymmetrische Kooperation, bei der Individuen «zum Guten gezwungen werden», sei verbreitet. Auch bei den Keas, einer neuseeländischen Papageienart, bestimmt das dominante Tier, wer das Futter besorgt.

 

«Jede hilfsbereite Aktion eines Individuums erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es selbst später ebenfalls profitiert.»

Eine Ratte zieht an einem Stäbchen ein Brett an den Käfig heran. Durch die Aktion bekommt eine Ratte im Nachbarabteil eine Portion leckerer Haferflocken, nicht aber sie selbst. Die beiden Tiere sind nicht verwandt.
Die Szene stammt aus Taborskys Labor am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Mit seinem Forschungsteam hat er über viele Jahre das Kooperationsverhalten der hoch sozialen Wanderratten untersucht. In der Natur leben die Nager in Gruppen von bis zu 200 Individuen. Sie schlafen nebeneinander, kraulen einander im Fell, tauschen Nahrung aus, sind mitunter sehr freundschaftlich unterwegs. Mit ihrer Versuchsanordnung konnten die Forschenden zeigen, dass die Ratten aber nicht für jede Nachbarin Leckereien heranzogen: Die Tiere sind vorwiegend denjenigen gegenüber grosszügig, die ebenfalls spendabel waren. Für die Entscheidung spielt sogar eine Rolle, ob sie selbst eine feine Banane oder eine normale Karotte erhalten hatten. Die Nager beurteilen demnach genau, wie kooperativ eine Sozialpartnerin ist, und verhalten sich dementsprechend reziprok – oder eben nicht, Knausrige gehen oft leer aus.

Die Bereitschaft zur Kooperation in der Gruppe ist aber grundsätzlich hoch. Ja, eine Ratte kann auch einer Kollegin helfen, wenn sie selbst von einer wiederum anderen Futter bekommen hat. Denn: «Jede hilfsbereite Aktion eines Individuums erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es selbst später ebenfalls profitiert», so Michael Taborsky, «man kann sich ja in der Gruppe jederzeit wieder begegnen.» Die Ratten erkennen kooperative Kolleginnen im Nachbarkäfig über die Nase: «Wir konnten zeigen, dass die Tiere das Signal ‹Kooperation› riechen können», erzählt der Forscher. Auch die Bedürftigkeit eines Tieres, etwa Hunger, können die Nager über den Geruch wahrnehmen. «Das geschieht über Metaboliten aus dem Stoffwechsel, die mit der Atemluft ausgeschieden werden, und wie es scheint auch über Sozialpheromone.» Dieser Duft alarmiert die anderen Ratten, die im Experiment dann für die hungrige Artgenossin Futter heranschaffen. Damit erhöhen sie ihre Chance, später auch einmal aus der Not gerettet zu werden.

Tit-for-Tat bevorzugt mit Freunden

Die Beispiele zeigen: Verwandtschaft ist nicht Voraussetzung, um Hilfe zu erhalten. Im Gegenteil! Einmal mehr erstaunen uns die Vampirfledermäuse mit ihrem Verhalten: «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tier einem unverwandten Individuum Blut spendet, ist achtmal höher, als dass eine Verwandte etwas erhält», weiss Biologe Taborsky – ein Phänomen, dass sich auch bei Ratten zeigt. Was erst verblüfft, wird mit seiner Erklärung rasch logisch: «Aufgrund von Verwandtschaft besteht eine gewisse Bereitschaft, bei Bedarf zu helfen. Nichtverwandte müssen aber bereits Vorleistungen erbringen, um die Chance zu erhöhen, später auch unterstützt zu werden. Zudem müssen sie fürchten, leer auszugehen, sollten sie benötigte Hilfe verweigern. Mit der Folge: Nichtverwandte verhalten sich grosszügiger.» Und so setzen Vampirfledermäuse und Ratten eher auf Freunde als auf Verwandte, damit das «Tit-for-Tat» funktioniert. Michael Taborsky sieht darin durchaus Parallelen zum Menschen: «Kooperation im Sinne von gegenseitigem Verhandeln findet auch beim Menschen eher unter Personen statt, die nicht miteinander verwandt sind.»

Also unter Freunden, die füreinander Kisten schleppen, Hunde Gassi führen, Pflanzen giessen, allerlei Aufgaben erfüllen.

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Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem neuen Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS zeigt viermal pro Jahr, was Wissenschaft zu leisten vermag. Jede Ausgabe fokussiert aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf einen thematischen Schwerpunkt und will so möglichst viel an Expertise und Forschungsergebnissen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bern zusammenführen.

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