Faktencheck zum Mikrobiom

Welchen Einfluss hat das Darm-Mikrobiom auf uns? Und wie können wir unsererseits darauf einwirken? Maria Luisa Balmer und Melanie Scalise von der Abteilung für biomedizinische Forschung der Uni Bern und dem Universitätsspital Bern geben Auskunft.

Das Mikrobiom umfasst alle Bakterien und weitere Mikroorganismen im Magen-Darm-Trakt und wird auch als Darmflora bezeichnet. Oft wird ihm im öffentlichen Diskurs, in den Medien oder in Produktewerbung grosse Bedeutung zugeschrieben. Doch was weiss die Wissenschaft über das Mikrobiom? Wie beeinflusst es unsere Gesundheit, unser Gemüt und unsere Entscheidungen?

uniAKTUELL: Was hatten Sie heute zu Mittag?

Maria Luisa Balmer: Ich hatte in der Mensa ein Gericht aus Singapur mit Nudeln, Crevetten und Gemüse.

Melanie Scalise: Ich war simpler unterwegs, ich hatte ein Sandwich mit «Poulet Lyoner».

Haben Sie diese Wahl getroffen oder Ihr Mikrobiom?

Scalise: Klar ich – es war billiger. (lacht)

Balmer: In der Mensa nehme ich gerne etwas, das ich selbst zu Hause nicht koche. Das andere Menu war Spaghetti Bolognese und das koche ich zuhause häufig.

Kann das Mikrobiom überhaupt unsere Entscheidungen beeinflussen? Wenn ja: wie?

Scalise: Einerseits ist bekannt, dass manche Darmbakterien gewisse Stoffwechselprodukte produzieren können, welche direkte Effekte im Gehirn haben. Dazu zählt beispielsweise der Neurotransmitter Serotonin – das sogenannte Glückshormon, das sich positiv auf unsere Stimmung auswirken kann. Wie gute Stimmung unsere Entscheidungen beeinflussen kann, kennen wir aus dem Alltag: Wir entscheiden eher optimistisch und sind schneller bereit Risiken einzugehen, als wenn unsere Stimmung schlecht ist. Andererseits können gewisse bakterielle Stoffwechselprodukte und bakterielle Bestandteile indirekt Einfluss nehmen.

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Wie?

Scalise: Bakterielle Bestandteile, die – insbesondere bei gestörtem Mikrobiom – immer wieder aus dem Darm in den Blutkreislauf gelangen, können etwa unser Immunsystem chronisch auf niedrigem Niveau aktivieren. Dieser Zustand begünstig unter anderem Depressionen, Angststörungen, Parkinson und Alzheimer. Diese Erkrankungen können sich wiederum auf unsere Entscheidungen oder unsere Entscheidungsfähigkeit auswirken.

Gibt es sonstige bemerkenswerte Einflüsse des Mikrobioms auf unsere Entscheidungen?

Balmer: Das Mikrobiom kann auch die Ausschüttung von appetitregulierenden Botenstoffen auslösen – etwa dem GLP-1-Hormon, welches aktuell oft thematisiert wird, da es in Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion genutzt wird.

Zur Person

Maria Luisa Balmer

ist Assistenzprofessorin an der Universität Bern und der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus (UDEM) des Inselspitals, Universitätsspital Bern. Sie und ihr Team forschen an neuen Methoden zur Untersuchung der komplexen Interaktion zwischen der Darmflora, dem Stoffwechsel und der Immunfunktion, um zu verstehen, wie diese Faktoren zur Entstehung von Adipositas und Diabetes beitragen. Für ihre Leistungen hat sie den diesjährigen Marie Heim-Vögtlin-Preis erhalten.

Das Mikrobiom kann also beeinflussen, ob ich mich dafür entscheide, etwas zu essen oder nicht. Sprich: es kann beim Abnehmen helfen?

Balmer: Ja, das könnte man so sagen. Neben dem direkten Einfluss über Botenstoffe wie dem GLP-1 wirkt es sich auch indirekt aus: Nehmen wir viel faserreiche Nahrungsmittel wie Früchte und Gemüse zu uns, können Darmbakterien diese Fasern als «Nahrung» nutzen und produzieren dabei günstige Stoffwechselprodukte, die unsere Verdauung regulieren und uns beim Abnehmen unterstützen.

Wie können wir unsererseits auf das Mikrobiom Einfluss nehmen?

Balmer: Es gibt viele Einflussfaktoren auf das Mikrobiom, wie beispielsweise die Ernährung oder der Hygienestandard. Auch die Genetik spielt eine Rolle. Der stärkste Effekt sind wohl Antibiotika. Beispielsweise wurde nachgewiesen, dass Behandlungen mit Breitspektrum-Antibiotika einen bleibenden Einbruch der Organismenvielfalt des Mikrobioms zur Folge haben können. Das kann sich dann wiederum negativ auf unsere Verdauung, den Hormonhaushalt oder das Immunsystem auswirken.

Scalise: Einige Studien haben auch gezeigt, dass sich das Mikrobiom zwar erholt, aber nicht mehr gleich funktioniert wie vorher. Bei Kindern, deren Mikrobiom sich noch im Aufbau befindet, sind die Effekte von Antibiotika noch gravierender.

«Bei Kindern, deren Mikrobiom sich noch im Aufbau befindet, sind die Effekte von Antibiotika noch gravierender.»

Melanie Scalise

Manchmal sind Antibiotika aber unverzichtbar. Wie lässt sich das Mikrobiom wiederaufbauen?

Balmer: Einerseits werden wir passiv durch unsere Umwelt immer wieder besiedelt. Man kann das Mikrobiom aber auch durch eine ausgewogene Ernährung wieder aufpäppeln. Also: mit viel Früchten und Gemüse, die reich an Fasern und Ballaststoffen sind. Selbst wenn die Diversität nicht den Vor-Zustand erreicht, können dem bestehenden Mikrobiom so Funktionen «antrainiert» werden, die zuvor andere Mikroben übernommen hatten. In gravierenden Fällen – etwa einer schweren Darmentzündung – stehen auch gezielte Therapien zur Verfügung, beispielsweise die «Fecal microbiota Transplantation», bei der Mikrobenkulturen über einen Schlauch direkt in den Darm eingesetzt werden.

Zur Person

Melanie Scalise

ist Doktorandin von Maria Luisa Balmer an der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus (UDEM) des Inselspitals, Universitätsspital Bern.

Der Weg über die Ernährung dauert, die Transplantation ist unangenehm. Geht das nicht einfacher, etwa mit einer «Mikrobiom-Pille»?

Balmer: Von einer solchen Pille sind wir leider noch weit entfernt, denn wir wissen bis heute nicht im Detail, wie ein gesundes Mikrobiom eigentlich genau zusammengesetzt sein sollte. Welche Bakterien und vor allem welche bakteriellen Funktionen sind wichtig, und ist das bei jedem Individuum gleich? Selbst mit unseren modernsten Methoden messen wir häufig nur Stuhl-Proben, da diese am einfachsten zu sammeln sind. Was aber im ganzen Magen-Darm-Trakt passiert, ist noch immer eine grosse Blackbox.

«Wir wissen bis heute im Grunde nicht, wie ein gesundes Mikrobiom eigentlich genau zusammengesetzt sein sollte. »

Maria Luisa Balmer

Was ist denn mit den vielbeworbenen Probiotika?

Balmer: Ich denke, dass das Konzept der Probiotika – also die Einnahme lebensfähiger Mikroorganismen – grundsätzlich stark ist. Es gibt aber derzeit keine gute wissenschaftliche Evidenz, die die breite Anwendung von den bisher entwickelten Probiotika unterstützt. Jedoch gibt es wissenschaftlich gestützte Hinweise, dass sich die tägliche Einnahme von ungefähr sieben Gramm Nahrungsfasern – die zu den Präbiotika gehören – vorteilhaft auf Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswirken.

Wie komme ich täglich an sieben Gramm Nahrungsfasern?

Balmer: Das ist gut machbar. Eine Scheibe Vollkornbrot enthält etwa drei Gramm, eine Portion Vollkornteigwaren etwa sieben Gramm. Ein Apfel mit Schale drei Gramm.

«Es gibt derzeit keine gute wissenschaftliche Evidenz, die die breite Anwendung von Probiotika unterstützt.»

Maria Luisa Balmer

Worauf können wir sonst noch achten?

Scalise: Auch Stress hat durch die Stresshormone Cortisol und Adrenalin einen Effekt auf das Mikrobiom. Man kennt das gut: Wenn man gestresst ist, spielt der Darm verrückt. Wenn man den Stress reduzieren kann, beruhigt sich auch der Darm wieder.

Balmer: Der Stress hat auch indirekte Auswirkungen: Wenn man gestresst ist, isst man hastig zwischendurch ein Sandwich oder anderes Fast Food und hat weniger Zeit für körperliche Aktivität. Dies wiederum wirkt sich negativ auf die Zusammensetzung des Mikrobioms aus. Insgesamt ist es aber oft schwierig, schlüssige Aussagen aus Studien zu ziehen.

Warum?

Balmer: In der Regel beziehen sich die Studien auf Zusammenhänge und Beobachtungen. Wir beobachten zum Beispiel, dass Personen mit einer gewissen Erkrankung ein anderes Mikrobiom haben als Gesunde. Diese Feststellung lässt aber keine kausalen Schlüsse zu: wir wissen nicht was Ursache und was Wirkung ist.

Wie lösen Sie dieses Problem?

Balmer: Ein Ansatz, den wir verfolgen, sind Tierversuche mit Mäusen, die komplett steril leben und über kein Mikrobiom verfügen. Diese Tiere können wir dann gezielt mit den Bakterien besiedeln, deren Effekte auf gewisse Erkrankungen wir untersuchen möchten. Bei vielen Erkrankungen wie Übergewicht oder Diabetes funktioniert das sehr gut. In der Verhaltensforschung oder bei psychischen Erkrankungen wird das aber schwierig, denn damit das Tier steril bleibt, muss es unter besonderen Bedingungen gehalten werden, die sich auch auf seine Entwicklung und sein Verhalten auswirken können.

Trotz dieser Unklarheiten: wie gehen Sie privat mit Mikrobiomen um?

Balmer: Grundsätzlich gehe ich ziemlich entspannt damit um. Menschen sind sehr robust. Doch wenn ich es herunterbrechen müsste: Möglichst vielseitig essen und möglichst wenige hochverarbeite Lebensmittel wie zum Beispiel Kartoffelchips, Tiefkühlpizza oder Softdrinks. Je länger und komplexer die Zutatenliste eines Lebensmittels ist, umso eher lasse ich es weg.

«Je länger und komplexer die Zutatenliste eines Lebensmittels ist, umso eher lasse ich es weg.»

Maria Luisa Balmer

Warum?

Balmer: Alles, was schon vorproduziert ist, gibt dem Mikrobiom im Vergleich zu einer Faser, die noch verarbeitet werden muss, wenig zu tun. Das gab es im Laufe unserer Evolution schlicht nicht, daran sind wir nicht gewohnt – zumindest noch nicht.

Zur Abteilung für biomedizinische Forschung (DBMR)

Das Departement for BioMedical Research (DBMR) der Medizinischen Fakultät der Universität Bern wurde 1994 von der Universität Bern und dem Inselspital, Universitätsspital Bern gegründet. Das DBMR ist in 13 Forschungsprogramme mit rund 100 teilnehmenden Einzellabors und mehreren unabhängigen Forschungslabors unterteilt, deren Forschung sich über alle biomedizinischen Bereiche erstreckt. Um die Lücke zwischen Labor und Krankenbett zu schliessen, fördert das DBMR klinische Forschung mit einem starken Schwerpunkt auf der Entwicklung translationaler Ansätze, dem Einsatz von «Omics» und anderen Spitzentechnologien sowie einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen laborgestützter und patientenorientierter klinischer Forschung. Die DBMR setzt sich auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein.

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