Vorlesung mit Bundesrätin Viola Amherd

Im Bundesrat habe Parteipolitik nichts verloren, sagte die Mitte-Politikerin am 2. November an der Universität Bern. Die Bundesrätin stellte sich den Fragen von Studentinnen und Studenten – sympathisch und staatstragend zugleich.

Bundesrätin Viola Amherd wird von Matthias Hodler und Reachel Klamt, Studierenden der Politikwissenschaft, befragt.

Wie wirkt eine Bundesrätin im direkten Gespräch? Wird Viola Amherd aus dem Nähkästchen plaudern und davon erzählen, wie es in der Landesregierung tatsächlich zu und her geht? Versteckt sich die Chefin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS hinter Floskeln, oder gibt sie Persönliches preis? Das fragten sich die rund 250 Studierenden im grossen Hörsaal des Hochschulzentrums vonRoll, bevor ihnen Viola Amherd Red und Antwort stand.

Ihr Auftritt war Teil der Vorlesung «Politisches System der Schweiz I» von Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern. So gut besucht, dass die Sitzplätze nicht ausreichen, ist diese Vorlesung normalerweise nicht. Vizerektor Fritz Sager, der die Bundesrätin im Namen der Universitätsleitung begrüsste, konnte sich denn auch einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen und meinte, seit Vorlesungen auch als Podcasts angeboten würden, seien volle Hörsäle selten geworden. Vor allem aber betonte er in seiner Begrüssung eines: «Frau Bundesrätin, Sie sind am richtigen Ort!» Denn, so Sager, die Uni Bern sei die einzige Universität der Schweiz, die sich «derart vertieft mit Schweizer Politik beschäftigt». Zudem würden hier unverzichtbare Fachleute für die Verwaltung auf allen Ebenen des Staates ausgebildet. Nicht zuletzt, so flocht Sager ein, habe auch Viola Amherds persönlicher Mitarbeiter seinen Executive Master in Public Administration (EMPA) an der Universität Bern gemacht.

Welchen Fragen sich die Bundesrätin stellen musste, hatten die Studierenden selbst in der Hand. Adrian Vatter, der Viola Amherd in einem ersten Teil der Veranstaltung befragte, konnte aus über hundert Vorschlägen auswählen, die ihm seine Studentinnen und Studenten zugeschickt hatten.

Wenn Bundesrätin Viola Amherd kommt, ist der grosse Hörsaal im Hochschulzentrum vonRoll auch in Zeiten von Podcast-Vorlesungen mehr als voll.

Menschen für Veränderungen begeistern

Frage Nummer eins also: «Fühlen Sie sich als einzige Vertreterin der Mitte-Partei nicht manchmal etwas einsam im Bundesratskollegium?» Mit ihrer Antwort sorgte Amherd, gekleidet in grau und schwarz mit dezent farbigem Foulard, für erste Lacher und holte sich Sympathiepunkte: «Je nach Kolleginnen und Kollegen ist man vielleicht manchmal lieber allein.» Die eigentliche Antwort folgte nach dem Bonmot. In einer Exekutive, so die Bundesrätin, habe Parteipolitik nichts verloren, denn schliesslich gehe es darum, gemeinsam Lösungen zu finden. «Ich fühle mich nicht einsam», präzisierte die VBS-Chefin, «aber es kommt vor, dass ich mit meinen Überlegungen allein bin.»

Und wie steht es mit dem Handlungsspielraum einer Bundesrätin, so die nächste Frage, kann sie tatsächlich Dinge bewegen und zum Beispiel bei der Entwicklung der Armee grundsätzlich Einfluss nehmen? «Ich meine ja, aber vielleicht überschätze ich mich», erklärte Amherd. Doch für Veränderungen brauche es viel Energie, Durchhaltevermögen und Kontinuität. Genau deshalb habe sie auch nicht das Departement wechseln wollen, als sich dazu die Gelegenheit bot. Und: Wenn man Dinge in Bewegung bringen wolle, müsse man Menschen dafür begeistern können: «Allein verändert man sowieso nichts.»

Bundesrätin Viola Amherd mit Adrian Vatter, Professor für Schweizer Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.

Ehrenmitglied bei «Frauen im Tarnanzug»

Viola Amherd ist die erste Frau an der Spitze des VBS, eines Kolosses mit über 13'000 Mitarbeitenden, zu dem neben der Armee unter anderem auch das Bundesamt für Landestopografie Swisstopo, und Armasuisse, das Bundesamt für Rüstung, gehören. Im VBS gibt es viele männerdominierte Domänen, in denen sich Amherd, wie sie im Verlauf der Fragerunde betonte, dafür einsetze, den Frauenanteil zu erhöhen. So gut es eben geht. In der Armee etwa ist ihr bereits eine Verdoppelung gelungen – wenn auch auf sehr bescheidenem Niveau, von 0,7 auf 1,4 Prozent Frauen. «Da gibt es also noch viel zu tun», räumte sie ein. Doch, so erzählte Amherd, sie sei bereits zum Ehrenmitglied von «Frauen im Tarnanzug» ernannt worden, einem Vernetzungsclub für Frauen innerhalb der Armee.

Wie sie denn zu Forderungen stehe, alle Frauen müssten einen Dienst für die Allgemeinheit leisten, wollten die zwei Studierenden, die sie im zweiten Teil der Veranstaltung direkt befragten, von der Bundesrätin wissen: «Was halten Sie von der Service-citoyen-Initiative, für die vor kurzem die nötigen Unterschriften zusammengekommen sind?» Zuerst kommt das Ja: «Diese Idee finde ich sehr gut und schön.» Und dann das Aber: Die konkrete Umsetzung dieses Bürgerdienstes würde die Schweiz vor grosse Probleme stellen, so Amherd: «Wir hätten es dann mit doppelt so vielen Dienstpflichtigen zu tun wie heute, für die wir eine sinnvolle Beschäftigung finden müssten.»

«Ich fühle mich nicht einsam, aber es kommt vor, dass ich mit meinen Überlegungen allein bin.»

Bundesrätin Viola Amherd

Für einen Moment persönliche Sympathien aufblitzen lassen und dann wieder staatstragend differenzieren, so gab sich Viola Amherd an diesem Morgen vor den angehenden Politikwissenschafterinnen und -wissenschaftern. Einen Blick ins Innere des Regierungsbetriebs gewähren? Höchstens indirekt: Sie sehe sich in der Regierung keineswegs als Parteivertreterin, erklärte Amherd etwa. «Wenn ich bei einer Sache überzeugt bin, dass die Lösung, die meine Partei fordert, nicht die richtige ist, vertrete ich meine eigene Ansicht. Für mich ist das so, aber vielleicht nicht für alle im Bundesrat.»

Wer sind denn die strammen Parteisoldaten? – dies hätten im Publikum wohl einige gerne gewusst. Auch wenn sich Viola Amherd zugänglich und nahbar zeigte, am gesprächigsten war sie, wenn Dossierkenntnis gefragt war, bei Themen etwa wie Umweltschutz im VBS oder der Beschaffung des neuen Kampfjets.

Bange Momente bei der Covid-Mobilmachung

Dass auch Bundesrätinnen ihrer Sache nicht immer ganz so sicher sind, wie sie den Anschein erwecken, zeigte Viola Amherd, als sie davon erzählte, wie der Bundesrat während der Corona-Krise die Teilmobilmachung der Armee anordnete. Etwas, was es seit dem Zweiten Weltkrieg nie mehr gegeben hatte. Was, wenn die Soldaten dem Marschbefehl einfach nicht gefolgt wären? «Wir wussten nicht, ob das wirklich klappt», gestand Amherd, «denn nie zuvor war mit SMS mobilisiert worden.» Es hätte ja auch sein können, dass viele Handynummern nicht mehr gültig gewesen wären. Doch alles kam gut. Mehr als 90 Prozent der Aufgebotenen meldeten sich innerhalb von 24 Stunden, und innerhalb von zwei Tagen waren über 80 Prozent von ihnen eingerückt. «Das hat mich beruhigt», meinte die VBS-Chefin, «wenn es nötig ist, sind die Leute wirklich bereit, etwas für ihr Land zu tun.»

An weiteren Fragen aus dem Publikum hätte es an diesem Morgen im Hochschulzentrum vonRoll bestimmt nicht gefehlt, doch Gastgeber Adrian Vatter läutete nach über 90 Minuten das Ende der Veranstaltung ein. Er überreichte Viola Amherd als «kleines Dankeschön» ein 600 Seiten dickes Buch mit dem Titel «Das politische System der Schweiz». «Das ist in dieser Vorlesung Pflichtlektüre», meinte der Verfasser des Lehrbuchs, «und Sie, Frau Bundesrätin, kommen übrigens auch darin vor.»

Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern

Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.


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