Künstliche Intelligenz bringt die Medizin voran

Stavroula Mougiakakou, Leiterin der Forschungsgruppe für künstliche Intelligenz in Gesundheit und Ernährung am ARTORG Center in Bern, betreibt zusammen mit ihrem Team angewandte Grundlagenforschung und will mit diesem Ansatz die Lücke zwischen Theorie und Praxis schliessen.

Interview: Michael Gasser 02. November 2022

Inspiration und Ideen für Forschungsprojekte entstehen im Teamwork, sagt Stavroula Mougiakakou. © Universität Bern, Bild: Dres Hubacher
Inspiration und Ideen für Forschungsprojekte entstehen im Teamwork, sagt Stavroula Mougiakakou. © Universität Bern, Bild: Dres Hubacher
Frau Mougiakakou, welches ist Ihr aktuelles Forschungs­gebiet, und wie kann man sich Ihre Forschung und Ihr Vorgehen konkret vorstellen?

Stavroula Mougiakakou: Schon seit meinem Studium liegt mein Forschungsschwerpunkt auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz – kurz KI –, und seit einigen Jahren befasse ich mich schwerpunktmässig mit Ernährung und unserer Gesundheit. Um bestehende Lücken zwi­schen Theorie und Praxis sowohl im klinischen als auch im «zivilen» Alltag zu schliessen, betreiben wir angewandte und translationale Grundlagenforschung auf Weltklasseniveau. Deshalb sind wir ein stark interdisziplinäres Team, das stetig die Bedürfnisse von Endnutzern sowie Ärzte- und Patientenschaft analysiert. Dabei identifizieren wir auf diesem Gebiet nicht nur neue Forschungsziele, sondern stellen auch Daten und Metho­den zur Verfügung, um Diag­nose und Management anderer akuter und chronischer Krank­heiten zu verbessern. So liegt unser neuster Schwerpunkt etwa bei Diagnose, Manage­ment und Prognose von Lungenerkrankungen.

Was hat Sie dazu bewogen, sich für diese Karriere und Ihren Forschungszweig zu entscheiden?

1996, während meiner Diplomarbeit, hatte ich im Rahmen meines Studiums in Elektrotechnik und Informationstechnik in Athen bereits die Gelegenheit, mit Ärztinnen und Ärzten sowie Ingenieurinnen und Ingeni­euren über künstliche Intelligenz in der Medizin zu diskutieren. Insbesondere auch darüber, wie sich unser Ingenieurwissen in der Medizin anwenden lässt. Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse meiner Diplomarbeit nahm ich dann an einer internationalen Konferenz für biomedi­zinische Technik teil, wo ich auf weitere Forschende traf, denen es bereits gelungen war, biome­dizinische Technik bei Patientinnen und Patienten erfolgreich einzusetzen. Diese Erfahrungen inspirierten mich dazu, meinen Doktortitel auf dem Gebiet der KI-Medizin zu machen.

Wo und wie finden Sie Ideen und Inspiration für kom­mende Forschungsprojekte?

Lassen Sie mich von unserem neuen Projekt erzählen: Dieses wird von der Europäischen Kommission und vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation finanziert. Zu unseren Haupt­zielen gehört es, eine klinisch validierte, kosteneffiziente und KI-basierte Management­lösung zur Unterstützung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes sowie des medizinischen Fachpersonals anzubieten. Mit dieser Lösung lassen sich personalisierte Behandlungs­empfehlungen erteilen. Das im Juni 2022 angelaufene Projekt ist das Ergebnis von Innovationen, die meine Gruppe in den vergangenen 14 Jahren entwickelt hat. Jetzt haben wir erstmals die Möglichkeit, die Technologie nicht nur zu integ­rieren, sondern auch in fünf klinischen Einrichtungen – in vier europäischen Ländern – zu validieren. Die Inspiration und das Projekt selbst beruhen auf den Ideen von jungen Forscherinnen und Forschern aus unserem Team. Diese sind von derselben Leidenschaft geprägt wie ich. Das Ganze ähnelt einem langen, steilen und oft steini­gen Weg, auf dem man immer wieder kleine Erfolgserlebnisse erzielt. Diese motivieren uns dazu, unsere Forschung weiter voranzutreiben.

Wodurch lässt sich Ihr For­schungsgebiet im Vergleich zu anderen Gebieten charak­terisieren?

Um in unserem Bereich eine Idee erfolgreich zu entwickeln, braucht es viel harte Arbeit – unter anderem von Informati­kerinnen und Informatikern, KI-Expertinnen und -Experten, Gesundheitsexpertinnen und -experten sowie von Fachleuten für Ethik im Bereich KI und Medizin. Dabei gilt es auch, die Patientenschaft und Angehörige kontinuierlich mit einzubezie­hen. Dabei gehen wir hochgra­dig interdisziplinär vor, und das in sämtlichen Projektphasen – von den ersten Ideen bis hin zur praktischen Umsetzung.

Worin sehen Sie die grössten Hürden für Ihre Arbeit und Ihre Forschung?

Der gesamte Bereich KI und Medizin ist heutzutage sehr wettbewerbsintensiv – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Das ist per se positiv, führt aber auch zu enormem Druck. Vor allem dann, wenn man seine Arbeit in der relativ kleinen Schweiz rigorosen und breit abgestütz­ten wissenschaftlichen Tests unterziehen muss, um Tools, Dienste oder Verfahren zur Verfügung zu stellen, denen so­wohl Vertreterinnen und Ver­treter der Gesundheitsberufe als auch die Patientenschaft vertrauen können. Das setzt einerseits Spitzentechnologie voraus, die bestimmte Probleme theoretisch zu lösen vermag, erfordert andererseits aber auch klinisch validierte Ansätze. Unser ARTORG Center for Bio­medical Engineering Research ist in die medizinische Fakultät eingebunden, was eine ideale Konstellation ist. Damit verfügen wir über einen klinisch eingebetteten Entwicklungsansatz, der es uns ermöglicht, den Forschungsprozess zu beschleunigen und Erkenntnislücken gezielt zu schliessen.

Auf welche Aspekte Ihrer Forschungen sind Sie besonders stolz?

Dass ich zu den Ersten zählte, die das Konzept der künstlichen Intelligenz im Rahmen des Diabetesmanagements eingesetzt haben. Stolz macht mich auch, dass wir zu den ers­ten Gruppen von Forschenden weltweit gehören, die ein vollständiges und klinisch validier­tes System entwickelt haben, das Fotos und Videos von Lebensmitteln in Nährstoffge­halte umrechnet. Kommt hinzu, dass wir hier an der medizini­schen Fakultät der Universität Bern mit unseren Doktorieren­den sowie dem neu eingerich­teten Master in KI und Medizin eine hochqualifizierte neue Generation von Expertinnen und Experten in diesem Bereich ausbilden. Diese Tatsache erfüllt mich ebenfalls mit Stolz und Freude.

«Das Ganze ähnelt einem langen, steilen und oft steinigen Weg, auf dem man immer wieder kleine Erfolgserlebnisse erzielt», sagt Stavroula Mougiakakou über ihre Forschung. © Universität Bern, Bild: Dres Hubacher
«Das Ganze ähnelt einem langen, steilen und oft steinigen Weg, auf dem man immer wieder kleine Erfolgserlebnisse erzielt», sagt Stavroula Mougiakakou über ihre Forschung. © Universität Bern, Bild: Dres Hubacher
Wie setzt sich Ihre Arbeit zusammen?

Grundsätzlich wende ich viel Zeit dafür auf, mit meinen Kol­leginnen und Kollegen neue Ideen zu entwickeln, Forschungsgelder kompetitiv zu beantra­gen und kontinuierlich konkrete Forschungsarbeit zu betreiben. Zudem beaufsichtige ich die Forschung, überwache das Pub­lizieren unserer wissenschaftlichen Ergebnisse und betreue laufende Projekte. Auch die Lehre ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Darüber hinaus leite ich den neu eingerichteten Masterstudiengang KI und Medizin. Parallel dazu haben wir am Center for Artificial Intelligence in Medicine gemeinsam mit einigen Kolleginnen und Kollegen ein Programm für Diversität ins Leben gerufen. In diesem Rahmen sind wir bestrebt, Aktivitäten in den Bereichen der Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Mentoring und Forschung zu bündeln.

Ohne welches Tool wäre Ihre Forschung ein Ding der Unmöglichkeit?

Abgesehen von der essentiellen Infrastruktur sind vor allem die Menschen entscheidend, damit sich eine Forschungsgruppe gegenseitig respektiert und als Team erfolgreich arbeitet. Was uns verbindet, sind nicht zuletzt das Interesse und die Leidenschaft für unser For­schungsgebiet. Für sehr wichtig halte ich es zudem, dass wir bei unserer Arbeit keine Angst vor Rückschlägen haben.

Wie und wobei wurden res­pektive werden Sie in Ihrer Laufbahn gefördert?

Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich über ein starkes inter­nationales Netzwerk verfüge, das mich im Verlauf meiner Karriere kontinuierlich unterstützt hat. Dadurch bekam ich stets ehrliches und konstruktives Feedback. Um akademisch voranzukommen, braucht es das – zusätzlich zu den notwendigen Spitzenleistungen in der Wissenschaft.

Finden Sie in Ihrem Leben noch Platz für andere Interessen als die Forschung?

Ich bin Mutter von Zwillingen im Teenageralter und Frau ei­nes viel beschäftigten Mannes.

Auch wenn ich meine Forschung liebe, stehen meine Töchter und mein Mann für mich klar an erster Stelle. Es ist zwar teilweise eine Herausforderung, aber ich schaffe es eigentlich immer, Zeit für die Familie zu finden.

Über Stavroula Mougiakakou

Prof. Dr. Stavroula Mougiakakou ist assoziierte Professorin für biomedizinisches Ingenieurwesen und leitet die Forschungsgruppe AI in Health and Nutrition am ARTORG Center for Biomedical Engineering Research in Bern.

Kontakt: stavroula.mougiakakou@unibe.ch

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Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem neuen Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS zeigt viermal pro Jahr, was Wissenschaft zu leisten vermag. Jede Ausgabe fokussiert aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf einen thematischen Schwerpunkt und will so möglichst viel an Expertise und Forschungsergebnissen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bern zusammenführen.

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