«Der Fellowship kam genau im richtigen Moment»

Florence von Gunten ist eine von vier «Venture Fellows» des neu gegründeten Innovation Office der Universität Bern. Den Grant erhält sie für ihr Start-up YLAH, das an einer digitalen Lösung für die «Blended Psychotherapy» arbeitet: der Kombination von klassischer Psychotherapie mit Online-Tools.

Interview: Nicola v. Greyerz 07. November 2022

Einen der vier UniBE Venture Fellowships 2022 bekam Florence von Gunten zugesprochen. Sie überzeugte mit ihrem Start-up YLAH. © zvg
Einen der vier UniBE Venture Fellowships 2022 bekam Florence von Gunten zugesprochen. Sie überzeugte mit ihrem Start-up YLAH. © zvg
Florence von Gunten, worum geht es bei YLAH?

YLAH ist eine App als Ergänzung zur Vor-Ort-Psychotherapie – im Sinne der «Blended Psychotherapy». Diese kombiniert die Face-to-Face-Behandlung mit digitalen Interventionen zwischen den Therapiesitzungen. Die App soll die Therapie ergänzen und unterstützen. Sie ist ressourcenorientiert und will die Selbstermächtigung der Patientinnen und Patienten fördern. Unsere grosse Stärke ist das Interaktive und Dialogische. YLAH stellt einen Katalog von internetbasierten Therapieaktivitäten zur Verfügung, die individuell angepasst und erweitert werden können. Wir legen dabei grossen Wert darauf, eine ideale Usability mit ansprechenden Interfaces zu entwickeln. Das Leben ist schon schwer genug, die App soll Therapeutinnen und Patienten Spass machen und zum Nutzen motivieren. YLAH ist aber keine weitere Wellbeing-App, sondern soll den Bedarf einer klinischen Anwendung abdecken – als Medical Device Software. Wir haben uns daher sehr bewusst für den komplizierten und teuren Weg der Zertifizierung als Medizinprodukt entschieden.

Die App YLAH ergänzt die psychotherapeutische Face-to-Face-Behandlung mit digitalen Interventionen zwischen den Therapiesitzungen. © zvg
Die App YLAH ergänzt die psychotherapeutische Face-to-Face-Behandlung mit digitalen Interventionen zwischen den Therapiesitzungen. © zvg
Wie sind Sie auf die Idee dazu gekommen?

Ursprünglich komme ich aus der klassischen Pflege, wo ich schon sehr früh in der Psychiatrie zu arbeiten begonnen habe, vor allem mit Jugendlichen im stationären Bereich. Über die Passerelle kam ich an die Uni und machte 2020 in Bern meinen Master in Psychologie. Besonders fasziniert war ich vom Studium bei Professor Thomas Berger, der sich seit Jahren mit dem Thema der Online-Psychotherapie auseinandersetzt. Durch meine langjährige Tätigkeit in der Jugendpsychiatrie hatte ich bereits viel praktische Erfahrung gewonnen. Mir wurde bewusst, dass es nichts gibt, was diese Jugendlichen dort abholt, wo sie sind – im digitalen Raum. In mir wuchs der Wunsch, hier etwas zu tun, und ich begann ein Konzept zu entwickeln.

Und dann?

Mein Konzept wuchs und wuchs. Es wurde ein riesiges Konstrukt mit Spracherkennung, Virtual Reality und, und, und. Ende 2019 lud ich – blauäugig wie ich war – drei Persönlichkeiten von der Uni Bern, deren Arbeit ich sehr bewunderte, ein, um ihnen meine Idee zu präsentieren: Thomas Berger, Jennifer Inauen und Felix Wichmann. Diese Präsentation war ein Desaster!

Was ist passiert?

Ich wusste damals noch nicht, was ein Pitch ist und dass man seine Idee in fünf Minuten vermitteln können muss. Ich erklärte den dreien während anderthalb Stunden mein Konzept. Sie sagten recht klar, ich sei an der Uni am falschen Ort und müsse in die Start-up-Welt. Völlig geknickt ging ich zurück nach Bristol – ich war dort zu einem Forschungsaufenthalt – und dachte, ich könne mich nie wieder in Bern blicken lassen.

Die Idee hat mich aber nicht losgelassen und ich habe noch in England einen Start-up-Kurs besucht. Dort habe ich gemerkt, dass Business-Überlegungen total Spass machen können: zu überlegen, wie ein ideales Produkt aussehen könnte, wie es finanziert werden könnte, und dafür eine Kunden- und Investorensicht einzunehmen.

Sie haben sich aber doch wieder zurück nach Bern gewagt. Wie ging es weiter?

Mit dem Beginn der Pandemie 2020 kam ich zurück und schrieb meine Masterarbeit. Nebenher meldete ich mich bei Innosuisse für einen Business-Planning-Kurs an. Mein Projekt wurde ausgewählt, sodass ich mit verschiedenen Personen daran arbeiten konnte. Das war ein absoluter Glücksfall: Zum ersten Mal dachten andere über mein Businessprojekt nach und entwickelten es mit mir weiter.

In einem nächsten Schritt haben Sie sich für einen Venture Fellowship Grant der Uni Bern beworben – und erhalten. Was bedeutet das für Sie?

Auch dieser Grant ist ein absoluter Glücksfall. Er kam genau zur richtigen Zeit. Denn ich will meine Idee ja auf den Markt bringen. Zuvor hatte ich über Monate intensiv am Projekt gearbeitet – ohne Nebenjob, ohne Lohn. Dann kam die Ausschreibung. Um einen der vier Grants zu gewinnen, muss man nicht nur ein gutes Business-Modell präsentieren, sondern eben auch die translationale Forschung dazu liefern. Dank des Grants der Uni Bern habe ich nun endlich ein Einkommen, mit dem ich ein Jahr voll an dem Projekt arbeiten und diverse Projektkosten decken kann. Gerade in der Startphase ist so ein Kapital entscheidend.

Das Team hinter YLAH im sitem insel. © zvg
Das Team hinter YLAH im sitem insel. © zvg
Zudem werden wir von tollen Menschen beraten und unterstützt: Lutz Nolte vom Innovation Office der Uni Bern coacht uns, Psychologieprofessor Thomas Berger berät uns auf fachlicher Ebene, und mit Thierry Kneissler, dem ehemaligen CEO von Twint, tauschen wir uns über Themen wie Lizenzmodelle oder Regulatorien aus. Thomas Berger und Thierry Kneissler sind auch Co-Founder unserer AG, die wir im Mai dieses Jahres gegründet haben.

Sie haben sehr viel Risiko genommen. Was treibt Sie an?

Menschen mit psychischen Erkrankungen sind häufig chronisch krank. Ich möchte etwas dazu beitragen, dass diese Menschen die bestmögliche Unterstützung, damit sie möglichst schnell wieder selbständig werden. Dafür müssen wir aber den herkömmlichen, rigiden Rahmen der heutigen Therapieformen aufbrechen. Und wir müssen – datenbasiert – besser verstehen, wie sich das Befinden einer Patientin oder eines Patienten im Laufe einer Therapie verändert. Auch das will YLAH leisten. Mit den Zielen, dass der Therapieprozess durch eine verbesserte Einsicht flexibler gestaltet werden kann und längerfristig mehr Menschen einen verbesserten Zugang zur psychotherapeutischen Behandlung erhalten.

Wo sehen Sie YLAH in drei, in fünf und in zehn Jahren?

Ich hoffe, dass wir in drei Jahren ein gut entwickeltes, zertifiziertes Produkt auf dem Markt haben, dass von den Krankenkassen anerkannt wird. In fünf Jahren möchte ich, dass wir über die Schweiz hinaus einen guten Marktanteil haben. Und ja, es wäre toll, wenn YLAH in zehn Jahren ein stabiles und beliebtes KMU wäre, das seinen Mitarbeitenden einen guten Lohn bezahlen kann, das an der Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis steht und damit die herkömmliche Psychotherapie positiv beeinflussen kann. Und das vielleicht so attraktiv ist, um in einer für uns passenden Vision aufgekauft zu werden.

Über Florence von Gunten

Über den zweiten Bildungsweg hat Florence von Gunten ein Psychologiestudium abgeschlossen, zuvor arbeite sie als Fachfrau Gesundheit und Pflegefachfrau. Aktuell macht sie ein weiterführendes Studium zur Psychotherapeutin an der Universität Bern sowie in translationaler Medizin und biomedizinischem Entrepreneurship am sitem-insel.

Über das Start-up YLAH

YLAH ist ein Start-up mit dem Ziel, eine digitale Form der Psychotherapie in den klinischen Alltag zu integrieren. Die Gründerinnen sind Florence von Gunten und Cordelia Trümpy. In enger Zusammenarbeit mit der Universität Bern, insbesondere mit Prof. Dr. Thomas Berger vom Institut für Psychologie, entwickelt YLAH eine Lösung für die stationäre und ambulante Psychotherapie-Praxis in der Schweiz. Mit dem Blended-Ansatz können herkömmliche Psychotherapie-Sitzungen vor Ort mit internetbasierten Interventionen im Alltag der Patientinnen und Patienten ergänzt werden.

Über das Innovation Office der Universität Bern

Das Innovation Office der Universität Bern wurde im September 2021 gegründet. Es ist die zentrale Anlaufstelle für alle Fragen im Zusammenhang mit Innovation und Unternehmertum an der Universität Bern und dem Inselspital, dem Universitätsspital Bern. Die Aufgabe des Innovation Office ist es, unternehmerisch denkende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Studierende frühzeitig zu unterstützen, eine Kultur der Innovation und des Unternehmertums zu fördern und die Universität proaktiv im Innovations- und Startup-Ökosystem der Schweiz zu positionieren.

Über das UniBE Venture Fellowship Programm

Das Innovation Office bietet mit den UniBE Venture Fellowships ein eigenes Förderprogramm an. Dieses Programm unterstützt jedes Jahr zwei bis vier Jungforschende, die erste Schritte in Richtung Unternehmertum machen wollen und an der Universität Bern ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in innovative Produkte und Dienstleistungen umsetzen möchten. Ziel der je mit bis zu 100'000 CHF dotierten Fellowships ist, die der Innovation zugrundliegende angewandte Forschung weiterzuführen, um die technische Machbarkeit (Proof-of-Concept) einer innovativen Lösung zu validieren und die Kommerzialisierung entsprechend vorzubereiten.

Treffen Sie die Venture Fellows 2022

Besuchen Sie uns an der Veranstaltung «Presenting the UniBE Venture Fellows – Insights into the latest UniBE spinoff projects»  am 10. November 2022. Alle Informationen und die Anmeldung für die Veranstaltung finden Sie hier.

Über die Autorin

Nicola von Greyerz arbeitet als Verantwortliche für gesamtuniversitäre Anlässe in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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