Das sind die Tricks, die uns im Supermarkt zum Kauf animieren

Claude Messner erforscht, wie wir dazu gebracht werden können, gesündere und nachhaltigere Lebensmittel zu kaufen. Wie Marketing unser Konsumverhalten beeinflusst, erklärt uns der Psychologe auf einem Rundgang durch einen Supermarkt.

Von Bettina Hägeli 01. Februar 2023

Optimaler Blick auf die Warenauslage – mit den teuersten Produkten auf Augenhöhe. © Dres Hubacher
Optimaler Blick auf die Warenauslage – mit den teuersten Produkten auf Augenhöhe. © Dres Hubacher


Duft von frischem Brot – das ist das Erste, was wir wahrnehmen, wenn wir uns dem Eingangsbereich des Migros-Supermarkts im Shopping-Center Westside in Bern nähern. Die Bäckerei, in der Mitarbeitende Brot aufbacken, liegt links von der Gemüse- und Früchteabteilung. Doch zunächst werden die Kundinnen und Kunden vom üppig inszenierten «Marktplatz» empfangen: Grosszügig im Raum verteilen sich Marktstände mit nach Farbe und Sorte geordneter Frischware. Oberhalb der Stände prangen Plakate mit kurzen fetten Slogans wie: «Das blaue Geschmackswunder» und einer Grossaufnahme von reifen Zwetschgen am Baum.

Grosszügige Räume mit hohen Decken

«Dies ist einer von vielen Faktoren, die für ein angenehmes Ambiente sorgen», sagt Claude Messner: «Viele Informationen nehmen wir nur unbewusst wahr. Es ist auch unerheblich, ob die Slogans viel Sinn ergeben; sie müssen ansprechend sein.» Wir begleiten den Professor an diesem Nachmittag bei seinem Rundgang durch die gut besuchten Räumlichkeiten der Filiale. Messner lehrt und forscht am Institut für Marketing und Unternehmensführung in der Abteilung Consumer Behavior. Der habilitierte Psychologe weiss, wie wir Menschen ticken und welche Art von Marketing uns anspricht.
Damit wir uns möglichst lange im Laden aufhalten, ist der Raum grosszügig aufgeteilt. Enge, schummrige Gänge würden bei den Menschen Fluchtgedanken auslösen, so Messner. Um das zu verhindern, investiert das Unternehmen lieber in eine grosse Mietfläche, die es dann nicht ausnützt. Selbst in die Höhe bleibt viel Luft offen. Derlei räumliche Einbussen werden in Kauf genommen – Hauptsache, wir fühlen uns beim Einkauf wohl. Weil wir Abstand halten können zu den anderen Kundinnen und Kunden, haben wir nicht nur das Gefühl, atmen zu können, sondern können uns auch eine Form von Intimität bewahren.
Die heutigen Konsumhallen haben grosse Vorbilder, weiss Messner: «Wie wichtig der Umgang mit Duft, Licht und Akustik ist, haben uns bereits kirchliche Räume mit Weihrauch und hohen Decken bewiesen.»

Marketing-Professor Claude Messner weiss, wie Kundinnen und Kunden ticken. © Dres Hubacher


Messner macht uns darauf aufmerksam, dass die Kühlanlagen ganz und gar aus Scheiben bestehen, damit wir einen optimalen Blick auf die Ware erhalten. Für diesen Effekt wird hingenommen, dass die Türen nicht luftdicht verschliessen. Die Fleischregale sind dagegen leicht rötlich beleuchtet. Dadurch wirkt das Fleisch frisch und «anmächelig». Oftmals sind identische Produkte auf mehrere Bügel verteilt, damit die Auswahl noch grösser anmutet als sie tatsächlich ist. Erfahrungsgemäss wird dem Sortiment am Anfang und am Ende eines Gestells sowie auf Augenhöhe von der Kundschaft am meisten Beachtung geschenkt. Für den Spitzenplatz am Kopf eines Gestells, sprich in Richtung Gang, muss der Produkthersteller eine besonders hohe Marge bezahlen. Budgetprodukte finden sich hingegen auf den untersten Regalen.

«Wir sind alles andere als rationale Wesen»

«Wir suchen stets nach Belegen für und nicht gegen ein Produkt», betont Messner: «Wenn uns ein bestimmtes Getränk als besonders durststillend angepriesen wird, dann prüfen wir es auf diese Eigenschaft. Und oft werden wir prompt davon überzeugt sein. Dass das Getränk zudem teuer ist oder in einer Dose verkauft wird, interessiert uns dann nicht.» Er ist davon überzeugt, dass wir keine rational gesteuerten Wesen sind. Sonst liesse sich unser Verhalten über den Verstand beeinflussen, und es wäre jene Werbung wirksam, die schlicht und einfach besagt: «Esst das, weil es gesund und nachhaltig ist.» Aber so funktionieren wir nicht, erklärt der Experte: «Erfolgreiches Marketing muss einen argumentativen Umweg über Anreize machen.» Was sich etwa am Beispiel von «kooky» aufzeigen lässt: Kaffee aus Kartonbechern für unterwegs besitzt meist einen pappigen Beigeschmack. Deshalb hat «kooky» ein Mehrwegsystem mit geschmacksneutralen Kunststoffbechern entwickelt, die später an einer der zahlreichen «Drop-off-Boxen» zurückgegeben werden können. Nach ihrer Rückgabe werden die Mehrweg-Kaffeebecher hygienisch gereinigt. Die Möglichkeit der Rückgabe bewirkt zudem – anders als wenn man einen angeschmutzten Mehrwegbecher von Zuhause mit sich herumtragen muss –, dass Papier und Laptop in der Tasche sauber bleiben. Dass der Anbieter nachhaltig sein will, ist für die Kundschaft in der Regel zweitrangig: «In erster Linie muss der Ablauf praktisch und bequem sein, und vor allem soll der Kaffee gut schmecken.»

Wie wir neue Gewohnheiten etablieren

Wir verharren beim Regal mit Energydrinks in rauen Mengen, wo uns Messner darüber aufklärt, dass sich manche Menschen daran gewöhnt haben, statt Wasser lieber Red Bull zu kaufen. «Es ist für die Psychologie nicht neu, dass wir Gewohnheiten pflegen, um zu funktionieren.»
Das beginne am Morgen: Damit wir gut in den Tag finden, haben die meisten von uns ritualisierte Abläufe. Nehmen wir uns einen neuen Vorsatz oder sollen wir ein neues Produkt ausprobieren, gilt es, zuerst Barrieren zu überwinden. Das gelingt leichter, wenn ohnehin ein neuer Lebensabschnitt ansteht. Das kann der Umzug vom Elternhaus in eine WG sein, der Antritt einer neuen Stelle oder die bevorstehende Geburt eines Kindes. Fühle ich mich zusätzlich in meinem sozialen Umfeld in meinem neuen Verhalten bestätigt, können sich meine gewohnten Strukturen verändern. Auch das Beobachten positiver Konsequenzen bei anderen wirkt stärkend – mit ein Grund, weshalb Influencer heute derart gefragt sind. Diese müssen vor allem authentisch wirken, um erfolgreich zu sein. Gut bezahlt werden in den sozialen Netzwerken insbesondere diejenigen, deren Verhaltensweisen zur Imitation anregen.

Multisensorisches Marketing, vorbildlich umgesetzt. © Dres Hubacher
Multisensorisches Marketing, vorbildlich umgesetzt. © Dres Hubacher


Multisensorisches Marketing wirkt

Messner erforscht, wie Konsumentinnen und Konsumenten von einem nachhaltigen Produkt überzeugt werden können. Dazu müsse zunächst die Zielgruppe analysiert werden. Sind es beispielsweise junge Leute, die viel unterwegs sind und ihr Markenbewusstsein öffentlich zeigen wollen? Wenn ja, muss eine entsprechend spezifizierte Marketingstrategie entwickelt werden. Messners Forschung ist praxisbezogen. Er hat unter anderem untersucht, welche Bilder bei Selecta-Automaten zum Kauf gesunder Produkte animieren (es sind Bilder mit Natur- oder Sportmotiven). Neben seiner Forschung pflegt er einen Austausch mit Organisationen, Unternehmen und Produkteherstellern, um seine Erkenntnisse einzubringen und Marketingideen zu kreieren, damit sich unser Konsumverhalten stärker mit den UNO-Nachhaltigkeitszielen deckt.

Das Ziel ist, die Kundschaft so durch den Laden zu leiten, dass sie möglichst am gesamten Sortiment vorbeikommt. Weil auch Kurzeinkäufe – etwa für ein einzelnes Sandwich – möglich sein sollen, findet sich aber stets auch eine Abkürzung zur Kasse. Ganz zum Schluss unseres Rundgangs behändigt sich Messner eines wohlbekannten gelben Behälters mit Zitronenkonzentrat in Fruchtform und mit imitierter Oberflächenstruktur und verrät die dahintersteckende Strategie: «Das ist multisensorisches Marketing. Wir sehen eine Zitrone, und beim Anfassen fühlt es sich an, als hätten wir eine echte in der Hand.»

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