Virtueller Hub für kollaborative Datenwissenschaft

Mit der Bern Data Science Initiative, BeDSI, hat die Universität Bern nun ein Netzwerk, das die datengetriebene Forschung unterstützen und über die Grenzen von Disziplinen und Fakultäten hinweg fördern soll. Eine Initiatorin und zwei Initiatoren erklären, weshalb dieses Netzwerk für die Zukunft so wichtig ist.

Interview: Ivo Schmucki 17. Dezember 2021

Sie kommen aus unterschiedlichen Forschungszweigen und stehen damit stellvertretend für die Diversität der Bern Data Science Initiative: Christiane Tretter (Founding und Ad-interim Chair BeDSI, Professorin für Mathematik), Raphael Sznitman (Ad-interim Co-Chair BeDSI, Professor für Künstliche Intelligenz in medizinischer Bildgebung) und Tobias Hodel (Professor für Digital Humanities).
Sie kommen aus unterschiedlichen Forschungszweigen und stehen damit stellvertretend für die Diversität der Bern Data Science Initiative: Christiane Tretter (Founding und Ad-interim Chair BeDSI, Professorin für Mathematik), Raphael Sznitman (Ad-interim Co-Chair BeDSI, Professor für Künstliche Intelligenz in medizinischer Bildgebung) und Tobias Hodel (Professor für Digital Humanities).

Erklären Sie uns bitte in wenigen Worten, worum es bei BeDSI geht?
Christiane Tretter: Ein historischer Blick auf die Vision der Universität Bern «Wissen schafft Wert» zeigt drei Epochen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns: die Ära der «Universalgelehrten», die Ära hoch spezialisierter Forschung und die jetzt angebrochene Ära massiv kollaborativer Forschung. Die Bern Data Science Initiative BeDSI soll unsere Universität auf diese neue Ära vorbereiten. Unsere Mission ist es, ein flexibles Netzwerk aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in die traditionellen Strukturen der Universität zu weben, das die Arbeit daten- und simulationsgetriebener Forschungsgruppen unterstützt und über die Grenzen von Disziplinen und Fakultäten hinweg fördert. Der unheimliche Erfolg des ersten Bern Data Science Day im April 2021, ko-organisiert vom Science IT Support, ScITS, und dem ARTORG Center for Biomedical Engineering Research, mit fast 160 teilnehmenden Nachwuchsforschenden trotz ‚online only‘, war eine grosse Motivation, BeDSI jetzt zu lancieren.

Weshalb ist die datengetriebene Forschung wichtig und sollte gefördert werden?
Tobias Hodel: Derzeit erleben wir eine immense Zunahme bei der Generierung von Daten, nicht nur in den exakten Wissenschaften und der Medizin, sondern auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Wir fangen erst richtig an zu realisieren, was wir mit den neuen Möglichkeiten des maschinellen Lernens alles erforschen können. Gleichzeitig müssen wir die Art und Weise, wie wir Daten erzeugen und interpretieren, kritisch hinterfragen. Was sind unsere expliziten oder auch impliziten Annahmen, und wie sind wir daher erkenntnistheoretisch verankert?

Raphael Sznitman: Meiner Meinung nach steht am Anfang unsere relativ neue Fähigkeit, Daten über alle Gesellschaftsschichten hinweg zu sammeln. Speziell in der Medizin ist die Möglichkeit, Individuen zu betrachten und auf Daten basierende so genannte patientenspezifische oder präzisionsmedizinische Ansätze zu entwickeln, extrem vielversprechend. Klinische Daten sind nichts weniger als der analytische Arm der Präzisionsmedizin. Das macht sie extrem spannend und genau das wollen wir am Center for Artificial Intelligence in Medicine CAIM, das mit BeDSI Hand in Hand geht, nutzen.
Am ersten Bern Data Science Day waren wir beeindruckt vom grossen Interesse unserer Nachwuchsforschenden, ihre Arbeit für andere zu öffnen. Am ARTORG freuen wir uns darauf, diesen Trend fortzusetzen, und wir haben gerade im Bereich der medizinischen Data Science viel zu bieten.

Inwiefern profitieren datenorientierte Forschungsgruppen von der Vernetzung innerhalb der Universität?
Raphael Sznitman: Ich glaube, dass wir viel voneinander lernen können, wenn wir uns über unsere Forschungsergebnisse, Ansätze, Methoden und künftigen Forschungsbereiche austauschen. Wie bei den gross angelegten Bemühungen der 1960er Jahre, Menschen auf den Mond zu bringen, bringt die Datenwissenschaft viele verschiedene Fachleute zusammen, etwa aus der Hardwareentwicklung, der theoretischen und angewandten Forschung oder auch der Ethik. Diese unterschiedlichen Perspektiven im Auge zu behalten, ist nicht nur für die persönliche Entwicklung äusserst bereichernd, sondern bietet auch einen Kontext für unser tägliches Arbeiten. Zentral ist dabei natürlich, dass alle dieselbe «Sprache» sprechen und miteinander kommunizieren können. Hierfür gibt es keinen besseren Ausgangspunkt als ein gemeinsames Netzwerk.

Am offiziellen BeDSI Launch Event am 6. Dezember 2021 gab es u.a. Vorträge von BeDSI-Mitgliedern aus verschiedensten Forschungsfeldern und eine Panel-Diskussion. Bild: © Universität Bern / Ramon Lehmann
Am offiziellen BeDSI Launch Event am 6. Dezember 2021 gab es u.a. Vorträge von BeDSI-Mitgliedern aus verschiedensten Forschungsfeldern und eine Panel-Diskussion. Bild: © Universität Bern / Ramon Lehmann

Dieses Netzwerk wurde nun mit BeDSI geschaffen. Wie wird das Angebot aussehen und wer profitiert davon?
Christiane Tretter: BeDSI ist eine forschungsgetriebene Initiative, lanciert von Forschenden aus verschiedenen Fakultäten. Das Potenzial unserer Aktivitäten reicht aber viel weiter. BeDSI wird helfen, die Nutzung von Ressourcen zu optimieren, indem wir Kollaborationen und Synergien fördern, gemeinsame Forschungsinfrastrukturen für datenintensive Projekte schaffen oder gemeinsame Trainingskurse und Weiterbildungsprogramme entwickeln. BeDSI wird damit einen virtuellen Hub für kollaborative Forschung an komplexen interdisziplinären Forschungsfragen bilden. Ausserdem wollen wir ein wissenschaftliches Forum schaffen, um die Auswirkungen – positive wie negative – des rasanten Wachstums möglicher Anwendungen datengetriebener Forschung für die Gesellschaft zu diskutieren.  

Tobias Hodel: Dabei organisiert sich BeDSI «von unten», indem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ganzen Universität Bern sich zusammenschliessen. Das Interesse liegt vorwiegend in einem gemeinsamen Methodenapparat. Da sich BeDSI in ganz unterschiedliche Richtungen orientiert, wird die Organisation für diverse Gruppen von hohem Interesse sein. Von Studierenden über Forschende bis zu  zentralen Diensten der Universität. Forschende werden vom Netzwerk und dem professionellen Support profitieren, Studierende erhalten Zugang zu neuen interdisziplinären Kursen. Auch für die Lernforschung sind datengestützte Analysen interessant. Insgesamt erwarten wir einen unmittelbaren Mehrwert für die gesamte Universität, indem daten- und simulationsgetriebene Forschung besser nach aussen sichtbar gemacht wird, zum Beispiel mit unserer Website.

Welches sind die nächsten Schritte?
Christiane Tretter: Die Organisation von BeDSI folgt vier Prinzipien: Erstens eine eher kollaborative als hierarchische Struktur zu schaffen, zweitens die Konnektivität zu erhöhen und nicht andere Universitätseinheiten zu konkurrenzieren, drittens sowohl grosse Forschungsgruppen als auch einzelne Forschende als Mitglieder einzubeziehen und viertens alle Aspekte von Data Science abzubilden, nicht nur technische. Unsere ersten Schritte reflektieren diese Prinzipien bereits: Wir haben verschiedene Task Forces gebildet, so dass jedes Mitglied seine Expertise einbringen kann zu Themen wie High Performance Computing und Storage, Aktivitäten und Outreach, Lehre oder Services von «Scientists for Scientists». Im nächsten Schritt kontaktieren wir alle Fakultäten, um Mitglieder aus der ganzen Universität zu gewinnen, zum Beispiel über die neue interdisziplinäre Vortragsreihe der BeDSI.

Geladene Gäste waren am BeDSI Launch Event vor Ort dabei, weitere Interessierte konnten die Veranstaltung online mitverfolgen. Die Talks sind als Podcasts verfügbar (siehe Infokasten unten). Bild: © Universität Bern / Ramon Lehmann

Am offiziellen BeDSI Launch Event letzte Woche gab es Vorträge von BeDSI-Mitgliedern aus verschiedensten Forschungsfeldern, eine Panel-Diskussion und vieles mehr. Welche waren Ihre persönlichen Highlights der Veranstaltung?
Tobias Hodel: Für mich persönlich waren es weniger die spezifischen Inputs als zu realisieren, dass wir alle mit ähnlichen Herausforderungen und methodologischen Problemen zu kämpfen haben. Dadurch eröffnet sich ein immenses Potenzial für die Zusammenarbeit. Gleichzeitig können praktische Fragen etwa zu Speicherung, Workflows und so weiter gemeinsam angegangen werden. Eigentlich waren die Pausen und die Möglichkeit, sich mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, das heimliche Highlight.

Raphael Sznitman: Ich schätze es immer, etwas Neues zu lernen, und so war es für mich ein Highlight, einen Einblick in einige Arbeiten meiner Kollegen zu erhalten. Darüber hinaus war es inspirierend und zukunftsweisend, den starken Zuspruch aller Teilnehmenden, sich an diesem Netzwerk zu beteiligen, zu sehen, insbesondere die deutliche Unterstützung durch wichtige Persönlichkeiten der Universität.

Christiane Tretter: Ich unterstütze alles, was Tobias und Raphael sagen. Für mich waren die Begeisterung aller Beteiligten sowie die Präsenz des Rektors, einer Vize-Rektorin und eines designierten Vize-Rektors, einer Dekanin und dreier Dekane, des neuen Leiters der Informatikdienste und des Digital Officer extrem ermutigend!

ÜBER DIE BERN DATA SCIENCE INITIATIVE, BEDSI

Die Mission der Bern Data Science Initiative BeDSI ist, an der Universität Bern ein flexibles Netzwerk aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in die traditionellen Strukturen der Universität zu weben, das die Arbeit daten- und simulationsgetriebener Forschungsgruppen unterstützt und über die Grenzen von Disziplinen und Fakultäten hinweg fördert.

Am 6. Dezember 2021 fand der offizielle BeDSI Launch Event statt. Die Talks von der Veranstaltung sind als Podcasts verfügbar: 

ÜBER CHRISTIANE TRETTER

Prof. Dr. Christiane Tretter ist seit 2006 Ordinaria für Mathematik sowie Ko-Direktorin des Mathematischen Instituts der Universität Bern. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Angewandten Analysis und der Mathematischen Physik. Ausserdem ist sie u.a.  Editor-in-Chief der internationalen Zeitschrift «Integral Equations and Operator Theory, IEOT» und  «Editorial Advisor» der London Mathematical Society, LMS. An der Universität Bern ist sie von Beginn an Ko-Organisatorin der Einstein Lectures und  Mitglied des Vorstands der Albert-Einstein-Gesellschaft. Nachdem sie in den letzten fünf Jahren den Science IT Support, ScITS, mit Strategiemitteln der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät aufgebaut hat, ist sie Founding und ad-interim Chair der Bern Data Science Initiative BeDSI.

ÜBER RAPHAEL SZNITMAN

Prof. Dr. Raphael Sznitman schloss sein Studium zu kognitiven Systemen an der University of British Columbia (Kanada) 2007 ab. Er promovierte 2011 in Informatik an der Johns Hopkins University (USA). Anschliessend war er als Postdoc an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne tätig, wo er im Labor für «Computer Vision» arbeitete. 2015 wechselte er an das ARTORG Center der Universität Bern. Er ist ordentlicher Professor für Künstliche Intelligenz in medizinischer Bildgebung und Direktor des ARTORG Center for Biomedical Engineering und des Center for Artificial Intelligence in Medicine CAIM. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem in den Bereichen Computational Vision, probabilistische Methoden und statistisches Lernen in Bezug auf Anwendungen in der medizinischen Bildgebung. Er ist Ad-interim Co-Chair der Bern Data Science Initiative, BeDSI.

ÜBER TOBIAS HODEL

Prof. Dr. Tobias Hodel ist seit 2019 Assistenzprofessor für Digital Humanities am Walter Benjamin Kolleg der Philosophisch-historischen Fakultät und beschäftigt sich mit machine learning Anwendungen in den Geisteswissenschaften, digitaler Textanalyse und der Theorie der Digital Humanities. Er ist Mitherausgeber der Reihe Digital Humanities Research (Transcript, Bielefeld).

ZUM AUTOR

Ivo Schmucki arbeitet als Redaktor bei Media Relations und Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern. Er ist Themenverantwortlicher «Natur und Materie».

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