Das heisst, die Resultate fliessen automatisch wieder in die Forschung ein?
Daniel Candinas: Irgendwann wird eine Methode derart etabliert, dass für diese Art der Forschung keine Tierversuche mehr nötig sind. Wieso sollten Forschende ein kompliziertes Verfahren in einem Tier durchführen, wenn es ganz einfach in einem Reagenzglas geht? Technologisch ist das teilweise jedoch anspruchsvoller, aber darum müssen wir auch in Wissen und die nötige Infrastruktur investieren.
Christian Leumann: Es gibt ja viele Bereiche, in denen das bereits Realität ist. Die klassische Toxikologie läuft heute tierversuchsfrei, und bei der Entwicklung von neuen Kosmetikartikeln für den Markt sind Tierversuche ebenfalls verboten.
Daniel Candinas: Aber es gibt sicher noch Dinge, die bisher vernachlässigt wurden. Wie kommuniziert man zum Beispiel Forschungsresultate, die vielleicht nicht im klassischen Sinne publizierbar sind? Das sind nämlich auch hilfreiche Informationen, die letztendlich dazu führen könnten, weniger Tierversuche durchzuführen. Im Moment gibt es in der Art, wie man publiziert, eine fehlende Verknüpfung. Könnten wir nicht zum Beispiel eine Datenbank aufbauen für Tierversuche, die eben nicht zum Ziel geführt haben?
Am 13. Februar 2022 werden wir über eine Volksinitiative zum Verbot von Tier- und Menschenversuchen abstimmen. Welche Folgen hätte eine Annahme der Initiative?
Christian Leumann: Man muss sich bewusst werden, was diese Initiative eigentlich will. Sämtliche Tierversuche sollen in der Bundesverfassung verboten werden. Zusätzlich untersagt die Initiative auch den Import von pharmazeutischen Produkten, die im Ausland auf der Basis von Tierversuchen entwickelt und zugelassen wurden. Viele Patientinnen und Patienten, die auf neue Therapien angewiesen wären, müssten sich dann zur medizinischen Behandlung ins Ausland begeben. Es stellt sich dabei mit aller Macht die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, Schweizer Patientinnen und Patienten mit einem schweren Leiden eine in anderen Ländern erfolgreiche Behandlung bei uns zu verbieten.
Daniel Candinas: Die Universität Bern und alle anderen Universitäten stehen ja im Dienst der Gesellschaft. Wir haben keinen Eigenzweck. Aber das Wissen und Innovationspotenzial, das die Universität der Gesellschaft zurückgeben kann, wäre bei der Annahme der Initiative deutlich reduziert. Das heisst, die Konsequenzen sind gesellschaftlicher Natur. Die Universität Bern wird das machen, was die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vorgeben.
Christian Leumann: Konkret heisst das für die Universität Bern, die sehr stark engagiert ist in biomedizinischer Forschung und Grundlagenforschung, dass wir dort letztendlich unsere Leaderstellung verlieren würden. Für die betroffenen Bereiche ist es de facto eine Forschungsverbotsinitiative.
Daniel Candinas: Man muss auch sehen, wie international der Fortschritt in der biomedizinischen Forschung geworden ist. Das ist ein riesiges Netzwerk, in das auch einzelne Schritte der Wissensproduktion ausgelagert oder in Kooperationen erarbeitet werden. Fortschritt in der Wissenschaft ist ein globaler Effort. Was bringt das der Schweiz, sich diesem Netzwerk zu entziehen?