Erdbebenschwarm wegen Bruchzone im Untergrund Berns?

Innerhalb weniger Wochen hat im Raum Bern die Erde zwei Mal spürbar gebebt. Marco Herwegh, Professor für Strukturgeologie an der Universität Bern, hat Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Interview: Ivo Schmucki 16. März 2021

Marco Herwegh ist Professor für Strukturgeologie an der Universität Bern. Bild: zvg.
Marco Herwegh ist Professor für Strukturgeologie an der Universität Bern. Bild: zvg.
Ist es ein Zufall, dass die Erde in Bern innerhalb von eineinhalb Monaten zweimal merklich gebebt hat?

Marco Herwegh: In der ganzen Schweiz gibt es im Jahr zwischen 1’000 und 2’000 messbare Erdbeben. Sie entstehen entlang von Bruchzonen im Untergrund. Bruchzonen sind Bereiche, in denen kompakte Gesteine zerbrochen wurden und entlang welcher sich Gesteinspakete durch aufgebaute Spannungen bewegen können. Generell treten Erdbeben entlang grösserer Bruchzonen selten einzeln auf, meist gehören sie zu sogenannten Erdbebenschwärmen. Ein jüngeres Beispiel aus dem Kanton Bern wäre der Erdbebenschwarm von Diemtigen in den Jahren 2014 und 2015, bei welchem bis zu 2’300 Mikroerdbeben gemessen wurden, die stärksten mit Erdbebenmagnituden zwischen 2,6 und- 3,3 (Anm. d. Redaktion: die Daten stammen vom Schweizerischen Erdbebendienst, seismo.ethz.ch). Auch in Bern scheint es im Moment eine Häufung von kleinen bis moderaten Beben zu geben, was auf eine Erdbebenschwarmtätigkeit hindeutet.

Was ist der Grund für die Erdbebenaktivität in Bern?

Im etwas weiteren Umfeld ist Bern von uns bereits bekannten grösseren Bruchzonen umgeben. Das prominenteste Beispiel ist die seismisch aktive Fribourg Bruchzone, aber auch die Bruchsysteme von Solothurn oder Burgdorf-Wynigen sind bekanntermassen seismisch aktiv. Auch im Falle des Aaretals zwischen Bern und Thun wird spekuliert, ob hier Bruchzonen existieren. Hinter der Existenz einer potenziellen Bruchzone in Bern selbst stand bis anhin ein grosses Fragezeichen. Die Beben vom 3. Februar und 15. März 2021 sind interessanterweise entlang einer Nordnordost-Südsüdwest verlaufenden Linie aufgereiht. Nimmt man noch ältere Erdbeben hinzu, dann scheint sich das Bild einer Störungszone aus dem Bereich südlich von Bern – von Schwarzwasser über Niederscherli bis Köniz – bis nördlich der Stadt, also in der Gegend von Bremgarten zu verdichten. Somit hätte nicht nur die Zähringer Stadt Fribourg, sondern auch ihre Berner Schwester eine Bruchzone in ihrem Untergrund aufzuweisen.

Umgebung von Bern mit bekannten Bruchzonen (modifiziert nach Mock & Herwegh 2017) und der neu angenommenen Bruchzone Bern (rot). Kreisförmig markiert sind Erdbeben-Epizentren (Ereignisse von 1.1.2000-16.3.2021, Magnituden >1, Quelle SED); hellblau die Epizentren der jüngsten Erdbeben in Raum Bern. © Marco Herwegh / Sandro Truttmann
Umgebung von Bern mit bekannten Bruchzonen (modifiziert nach Mock & Herwegh 2017) und der neu angenommenen Bruchzone Bern (rot). Kreisförmig markiert sind Erdbeben-Epizentren (Ereignisse von 1.1.2000-16.3.2021, Magnituden >1, Quelle SED); hellblau die Epizentren der jüngsten Erdbeben in Raum Bern. © Marco Herwegh / Sandro Truttmann
Ist zu erwarten, dass weitere Beben in naher Zukunft folgen?

In diesem Fall könnten durchaus weitere seismische Aktivitäten anstehen. Ob die schwächer oder gar stärker ausfallen, kann nicht vorhergesagt werden. Mein Berner Kollege, der Paläoseismologe Flavio Anselmetti, rechnet im Bereich der Stadt Bern allerdings rund alle 100 Jahre mit einem Erdbeben der Magnitude 5.

Welches war das bisher stärkste Erdbeben in Bern?

Es gab in der Vergangenheit schon stärkere Beben in Berns näherem Umfeld. Historisch belegt sind die Beben vom 17. April 1774 und vom 27. Januar 1881 mit Magnituden von 4,7 und 4,8, was einer hundertfach höheren Energiefreisetzung entspricht, als dies bei den aktuellen 2021er Beben der Fall war. Wie historische Texte belegen, wurde das Beben von 1881 durchaus markant wahrgenommen: «Gegen 100 Kamine wurden herabgestürzt, es entstanden zahlreiche tiefe und breite Risse in den Mauern, von mehreren kleinen Thürmchen auf dem Münster wurden Köpfe herabgeschleudert, Zimmerdecken fielen herab, Hausglocken schlugen an, die Menschen und vielen Thiere wurden in heftigen Schreck versetzt und häufig zu Boden geschleudert», hat Professor Amié Forster 1882 festgehalten. Im Vergleich zu den historisch bekannten stärksten Erdbeben der Schweiz in Augusta Raurica 250 nach Christus und in Basel im Jahr 1356 mit Magnituden um 6,6 bis 7 fielen die Schäden in Bern aber deutlich geringer aus.

Zur Person

Prof. Dr. Marco Herwegh ist Professor für Strukturgeologie am Institut für Geologie der Universität Bern.

Kontakt:

Prof. Dr. Marco Herwegh
Institut für Geologie, Universität Bern
Telefon: +41 31 631 87 64
E-Mail: marco.herwegh@geo.unibe.ch

Zum Autor

Ivo Schmucki arbeitet als Redaktor bei Media Relations und Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern. Er ist Themenverantwortlicher «Natur und Materie».

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