Es war ein schöner Moment, als Pettit Rodins «Denker» imitiert, den Kopf in die Hand gestützt, die Augen halb geschlossen, die Denkerstirn gekraust. Der irische Philosoph hatte da schon eine gute Stunde die vielleicht grösste, auf jeden Fall aber grundlegendste Frage zu klären versucht, die sich die Philosophie überhaupt stellen kann. Nicht etwa warum die Welt existiert oder wir als Menschen oder was das alles eigentlich soll (die Welt beziehungsweise wir Menschen in ihr), sondern: Warum sind wir eigentlich dazu gekommen zu denken? Eine «Genealogie des menschlichen Geistes» oder eben des Denkens nennt es Pettit. Man könnte auch sagen, um wieder zu Rodin zu kommen: Was ist da alles passiert, im Schnellvorlauf, in den letzten hunderttausend Jahren oder so, bis der französische Bildhauer die Ikone dessen schuf, was wir uns vorstellen unter dem Menschen (ob es nun Segen oder Fluch sei, was er da in Bronze goss, lassen wir mal dahingestellt).
Was war zuerst, das Denken oder ...?
Denken, darauf kann man sich wohl einigen, hat viel mit Sprache zu tun. In Teufels Küche kommt man erst, wenn man den Zusammenhang zur Kausalität zuspitzt, wenn man also fragt, ob Sprache Denken bedingt oder umgekehrt. Oder auch, genealogisch gefragt: was zuerst war. Im Grunde hatte Pettits Argumentation in der ersten seiner drei Einstein Lectures immer etwas von dieser Huhn-und-Ei-Frage. Er suchte das Wesen, die Funktion, aber auch die Herkunft des Denkens zu bestimmen. Eine Herkulesaufgabe, die er aber einigermassen spielerisch angeht, in Anlehnung an Einstein übrigens: Gedankenexperimente seien zentral für seine philosophische Methode. Er lud uns also ein, ein solches mitzumachen, skizziert an einem Beispiel aus der Ökonomie: Wenn man eine Gesellschaft annimmt, die Tauschhandel betreibt und (noch) ohne Geld auskommt, kann man sich leicht die Entwicklung dieser Tauschgüter hin zu einer «general commodity» vorstellen, so wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin mit Zigaretten der Fall war – sie wurden angesichts des monetären Chaos zum verlässlichsten und auch ohne weiteres handelbaren Wertgegenstand. Dieser Gegenstand sei dann nichts anderes als «Geld», seiner Funktion und seinem Wesen nach.
Mit solchen Experimenten könne man also herauszufinden versuchen, was zuerst war – in der Ökonomie wäre das Huhn die Wirtschaft und das Ei das Geld. Pettit allerdings geht es um etwas viel Grösseres: Indem er zeigt, woher das Denken kommt und welche Funktion es hat, hofft er auch das Wesen des Geistes zu ergründen. Das haben natürlich auch schon andere vor ihm versucht, Hegel zum Beispiel, aber diesen fehlte damals noch einiges an wissenschaftlicher Erkenntnis, schliesslich interessieren sich nicht allein Philosophinnen und Philosophen für die Herkunft des Menschen und all dessen, was ihn erst zum Menschen macht. Und Pettit ist, das wurde im Laufe seines Vortrags rasch deutlich, als Philosoph kein Verächter der Naturwissenschaften, im Gegenteil.
Sich entlang einer ganzen Reihe von anthropologischen, verhaltensbiologischen und archäologischen Erkenntnissen aus den letzten Jahrzehnten hangelnd, führte Pettit uns also durch seinen Gedankengang, der zeigen sollte, dass – es mag anhand des präsentierten Beweismaterials paradox klingen – Kultur eine gewichtigere Rolle für das Menschsein hat als Natur, «eine viel grössere Rolle als bisher gedacht». Oder auch, in seiner Begrifflichkeit: dass sich der menschliche Geist nach einer Outside-in-Logik entwickelt habe und nicht inside-out – hier wurde der Widerspruch zu naturalistischen Erklärungen des Menschen manifest.
Die grossen Vorteile der Kommunikation
Was das heisst? Unser Geist sei geprägt von unserem (frühen) Sozialleben: Pettit ist überzeugt, dass soziale Fähigkeiten dazu geführt haben, dass wir geistige Fähigkeiten entwickelt haben – und nicht umgekehrt. Kurz gefasst läuft die Argumentation darauf hinaus, dass jede imaginierte Gruppe von Humanoiden, lässt man die Geschichtenmaschine erst einmal rattern, eine Art von kommunikativem Austausch entwickeln wird, weil das der Gruppe als Ganzes grosse Vorteile verschafft, sei es bei der Suche nach Essen, sei es zur Verteidigung. «Surviving together, dying alone» nenne man das in der Anthropologie.