Der Physiker und das uralte, eiskalte Klimaarchiv

Der Berner Physikprofessor Hubertus Fischer ist ein weltweit anerkannter Spezialist für die Analyse von Eisbohrkernen als Klimaarchiv. Sein Erfolgsgeheimnis: eine selbstentwickelte hocheffiziente Messtechnologie. Damit soll künftig das älteste Eis der Erde untersucht werden, aus dem Klimainformationen der Vergangenheit gewonnen werden können.

Kaspar Meuli 14. April 2021

Prof. Dr. Hubertus Fischer, hier bei der Feldforschung, ist Professor für Experimentelle Klimaphysik am Physikalischen Institut und Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern. @ zvg

Er ist erfolgreich, hochdekoriert und ein Teamplayer. Hubertus Fischer ist einer der wenigen Forscher, die im Lauf ihrer Karriere gleich zwei Mal einen prestigeträchtigen «ERC Advanced Grant» des europäischen Forschungsrats erhalten haben. Der Professor für experimentelle Klimaforschung wurde für seine innovative Forschung sowohl von der American Geophysical Union (AGU) als auch der European Geosciences Union (EGU) ausgezeichnet. Doch der bescheiden auftretende Eiskernspezialist streicht heraus, dass er seine Erfolge nicht im Alleingang erzielt. Die soeben erschiene Rekonstruktion der globalen mittleren Ozeantemperatur der letzten 700'000 Jahr etwa sei «nur durch den grossen Einsatz mehrerer Doktorierender und PostDocs» möglich gewesen.

Die persönliche Webseite von Hubertus Fischer zeigt ihn im Polareis: Daunenjacken im Doppelpack, Gesichtsmaske und vereiste Augenbrauen. Es ist bereits einige Jahre her, seit diese Aufnahme entstanden ist. Denn so sehr dem Physiker die Feldarbeit in der Antarktis und in Grönland zusagt, lassen ihm seine Verpflichtungen als Professor und in verschiedenen Forschungsorganisationen kaum noch Zeit für monatelange Aufenthalte im Eis. 

Zur Forschung mit Eisbohrkernen ist er durch Zufall gekommen. Nach dem Abitur in Karlsruhe studierte er zunächst Architektur und entschied sich erst dann für Physik. Nach dem Vordiplom wollte er die weite Welt schnuppern und studierte ein Jahr an die University of Oregon. Zurück in Deutschland, schloss er sein Studium in Heidelberg ab. Auf der Suche nach einer Diplomarbeit fragte ihn sein späterer Doktorvater: «Fahren Sie Ski, können Sie kochen? Ich hätte da vielleicht etwas für Sie in Grönland.»

Eine Eisprobe aus einem antarktischen Eisbohrkern. © Daniel Baggenstos
Eine Eisprobe aus einem antarktischen Eisbohrkern. © Daniel Baggenstos

Eine Karriere von Grönland nach Bern

So einen Vorschlag überlegt sich einer wie Hubertus Fischer nicht zweimal, und schon bald fand er sich in den eisigen Weiten Nordgrönlands wieder. Zusammen mit sieben Kollegen, ausgerüstet mit Motorschlitten, Pistenfahrzeugen und Zelten. Ziel der Expedition war, anhand von Eisbohrkernen das Klima der letzten Jahrhunderte und die Luftverschmutzung in Nordgrönland, die über Aerosole aus den USA und Europa nach Grönland gelangt, zu rekonstruieren. «Diese Wochen waren eine umwerfende Erfahrung», erzählt Fischer – es sollte nicht seine letzte Polar-Expedition bleiben. Nach seiner Promotion folgte ein Postdoc-Aufenthalt in San Diego, wo er sich in sein heutiges Spezialgebiet einarbeitete, die Untersuchung von Gasen und vor allem deren isotopische Zusammensetzung in Eisbohrkernen. Danach forschte er am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. 2008 wurde er schliesslich als ordentlicher Professor auf den neu geschaffenen Lehrstuhl in Experimenteller Klimaphysik an die Universität Bern berufen.

Zur Analyse aufbereiteter Eisbohrkern im Gefrier-Labor (-20°C) an der Universität Bern. © zvg
Zur Analyse aufbereiteter Eisbohrkern im Gefrier-Labor (-20°C) an der Universität Bern. © zvg

Im Eis gespeicherte Treibhausgase

Die grosse Stärke Fischers ist das Messen von Treibhausgasen im Eis. Zusammen mit seinem Team heckt er neue Methoden zur isotopischen Charakterisierung der Atmosphärenzusammensetzung aus. So optimierte er in seinem ersten ERC-Projekt auch die Methode, hochpräzise Edelgasmessungen an Eisbohrkernen durchzuführen, mit denen man die mittlere Temperatur des Ozeans messen kann.

Im Rahmen seines zweiten ERC Projekts deepSLice (Deciphering the greenhouse gas record in deepest ice using continuous sublimation extraction/laser spectrometry) hat er ein völlig neues Analyseverfahren entwickelt. Der entscheidende Unterschied zu bestehenden Methoden: Es lassen sich sowohl die Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas wie auch die isotopische Zusammensetzung des Kohlendioxids an der gleichen Probe bestimmen. Dazu braucht es einerseits neue Methoden zur Aufbereitung des Probenmaterials mithilfe einer «kontinuierlichen Laser-Sublimationsextraktion». Andererseits wurde eine neue Messtechnologie zusammen mit der Empa entwickelt, bei der ein sogenanntes Quantenkaskaden-Laserspektrometer zum Einsatz kommt.

Aufbereitung des Probenmaterials mit der sogenannten «kontinuierlichen Laser-Sublimationsextraktion». © Klima- und Umweltphysik, Universität Bern
Aufbereitung des Probenmaterials mit der sogenannten «kontinuierlichen Laser-Sublimationsextraktion». © Klima- und Umweltphysik, Universität Bern

Verlässlichen Daten sind unverzichtbar

Der Stellenwert neuer Messtechnologien für die Forschung, so der Experimentalphysiker, könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: «In den Geo- und Atmosphärenwissenschaften kommt man häufig erst dann einen Schritt weiter, wenn man technisches Neuland betritt und es gelingt, Dinge zu messen, die sich bis anhin nicht mit ausreichender Präzision messen liessen. Denn nichts führt an harten und verlässlichen Daten vorbei.»

Das Besondere an Fischers Innovation: Sie braucht viel weniger Probematerial. Es lassen sich nicht nur die drei Treibhausgase CO2, CH4 und N2O mit einer einzigen Analyse gleichzeitig messen. Mehr noch, die aus den Eisproben extrahierte Luft geht bei den Messungen nicht verloren, sondern kann danach für weitere Forschungsarbeiten verwendet werden. Von «perfektem Recycling» spricht Hubertus Fischer und sagt: «Für einen gewöhnlichen Eiskern würde sich der Riesenaufwand, den wir dazu betreiben müssten, wohl nicht rechtfertigen.» Die Methode wurde aber für einen ganz besonderen Eiskern ersonnen.

Hier in der Antarktis beim «Litte Dome C» wollen Klimaforschende nach dem ältesten Eis der Erde bohren. Das Bild stammt von der Feldsaison 2020/21. © Rocco Ascione
Hier in der Antarktis beim «Litte Dome C» wollen Klimaforschende nach dem ältesten Eis der Erde bohren. Das Bild stammt von der Feldsaison 2020/21. © Rocco Ascione

Hubertus Fischer ist nämlich einer der Hauptakteure einer internationalen Initiative, die einen Kern aus dem ältesten Eis der Erde bohren und so Klimainformationen über die vergangenen 1,5 Millionen Jahre erhalten will. Das EU-Projekt nennt sich «Beyond EPICA – Oldest Ice» und vereint 14 Institutionen aus zehn europäischen Ländern. Nachdem im vergangenen Jahr die optimale Bohrstelle in der Antarktis ausgewählt und ein Camp in der Antarktis auf über 3’000 Metern über Meer errichtet wurde, soll die eigentliche Bohrung im kommenden Südsommer beginnen. Läuft alles nach Plan, wird die angestrebte Bohrtiefe von 2’730 Metern 2024/25 erreicht. Damit würde das im Bohrkern gespeicherte Klimaarchiv zeitlich beinahe doppelt so weit zurückreichen wie der älteste bisher analysierte Eiskern.

Die Treibhausgase des allertiefsten und damit ältesten Eises sollen dann in Bern gemessen werden. Das Eis ist dabei derart stark ausgedünnt, dass von den einzelnen Jahresschichten nur extrem wenig Probematerial zur Verfügung steht – ein klarer Fall für Hubertus Fischers neu entwickelte Analysetechnologie.

Oeschger-Zentrum für Klimaforschung

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war.

Über den Autor

Kaspar Meuli ist Journalist und PR-Berater. Er ist verantwortlich für die Kommunikation des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.

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