Wirtschaftsspionage kann jeden treffen

Wirtschaftsspionage hat in den letzten Jahren weltweit stark zugenommen. Sie trifft sowohl die Wirtschaft wie auch Forschungsinstitute und kann gravierende Folgen haben. Verlässliche Daten zu Fallzahlen, Täterschaft oder tatsächlichem Schaden in der Schweiz lagen bislang nicht vor. Jetzt veröffentlicht das Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern im Auftrag des Nachrichtendienstes des Bundes NDB eine erste Studie zur Wirtschaftsspionage in der Schweiz.

Von Sylvia Löwe 22. Januar 2020

Eine ausländische Delegation besucht eine Schweizer Firma, die führend in der Produktion von medizinischen Hilfsmitteln ist. Während der Führung fällt den Mitarbeitenden nichts auf, doch einige Monate später folgt der Schock: Plötzlich tauchen auf dem Markt ähnliche Produkte auf. Der Schaden ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu ermessen.

Solch ein Szenario ist auch in der Schweiz realistisch. Wirtschaftsspionage hat in den letzten Jahren weltweit stark zugenommen. Darunter fallen auch Cyberangriffe, die selten mit Wirtschaftsspionage in Verbindung gebracht werden, jedoch mittlerweile zu den häufigsten Arten von Spionageangriffen zählen. Wirtschaftsspionage trifft sowohl die Wirtschaft wie auch Forschungsinstitute und kann gravierende Folgen haben. Die Täter und ihre Absichten sind oft nur schwer festzustellen. Das macht es schwierig zu identifizieren, ob es sich um Industrie- oder Wirtschaftsspionage handelt. Wirtschaftsspionage – d.h. die Beschaffung von vertraulichen Daten, die zum Nachteil der Schweiz oder von Schweizer Firmen, Institutionen oder Personen ins Ausland weitergegeben werden – fällt den betroffenen Unternehmen oft nicht auf oder wird den zuständigen Behörden aus Angst vor einem Reputationsverlust nicht gemeldet. Bei der Industriespionage geht es hingegen um Ausspähung unter Konkurrenten in der Schweiz.

Von Spionage sind mehr Unternehmen betroffen, als man vermeintlich glaubt. Bild: unsplash.com/Chris Yang
Von Spionage sind mehr Unternehmen betroffen, als man vermeintlich glaubt. Bild: unsplash.com/Chris Yang

Bislang fehlten zu dieser Thematik offizielle Zahlen für die Schweiz. Daher beauftragte der NDB das Institut für Strafrecht und Kriminologie mit einer Studie, um mittels repräsentativer Ergebnisse mehr über die tatsächliche Zahl betroffener Unternehmen und das Ausmass der Spionage zu erfahren. Diese Studie ermöglicht es dem NDB, sein Präventions- und Sensibilisierungsprogramm „Prophylax“ noch stärker auf die Bedürfnisse seiner Kunden auszurichten und dadurch den Forschungs- und Wirtschaftsplatz Schweiz zu schützen.

Ein Drittel aller Unternehmen betroffen

In der Studie wurden sowohl grosse Unternehmen mit internationalem Renommee sowie KMU befragt. Dabei gaben rund 1/3 der Unternehmen aus pozentiell gefährdeten Branchen an, mindestens einmal Opfer von Wirtschaftsspionage gewesen zu sein. Die Grösse des Unternehmens spielt keine Rolle; vor allem die Branchen Informatik, Telekommunikation und Life Science sind betroffen. Bei 19% der befragten Unternehmen erfolgte ein Angriff über digitale Wege wie Phishing-Mails.

Die Auswertung der Studie ergab, dass Täterinnen und Täter entweder nicht identifiziert werden konnten (37.5%) oder sich als ehemalige (25%) oder aktuelle Mitarbeitende (16.7%) herausstellten. Die identifizierten Täterinnen und Täter stammten zum grossen Teil aus der Schweiz, Deutschland, China oder Italien. In zehn Prozent der Spionagefälle war ein Konkurrent aus dem Ausland Ursprung des Angriffs.

Der tatsächliche Schaden ist schwierig einzuschätzen

Dass Unternehmen von Spionage betroffen sind, macht sich nicht immer sofort bemerkbar. Und so ist auch die Frage nach dem Schaden nur schwer zu beantworten. Denn neben den eher einfach zu beziffernden direkten materiellen Schäden wie einem Produktionsausfall ist ein längerfristiger Reputationsschaden nur schwierig einzuschätzen. Dennoch gaben elf Prozent der betroffenen Firmen an, dass die Spionage die Existenz des Unternehmens gefährdet habe.

Prävention soll das Bewusstsein schärfen

Unternehmen empfinden interne Sicherheitsmassnahmen als deutlich wichtiger als Unterstützung von externen Stellen oder dem NDB. Letzterer sensibilisiert mit dem Programm „Prophylax" Unternehmen, Hochschulen und Forschungsinstitute für die von Spionage und Proliferation ausgehenden Bedrohungen. Mit den aus der Studie gewonnen Erkenntnissen kann der NDB seine Arbeit weiter optimieren.

WEITERFÜHRENDE LINKS

Un résumé en français va être disponible dans quelques jours sur le même site web.

Una sintesi in italiano sarà disponibile fra alcuni giorno sul stesso sito web.

An executive summary in English will be available on the same web site in the following days.

PROPHYLAX

Das Präventions- und Sensibilisierungsprogramm „Prophylax" wurde 2004 vom Nachrichtendienst des Bundes ins Leben gerufen, um Schweizer Unternehmen, Behörden, Hochschulen und Forschungsinstitute auf die Bedrohungen aufmerksam zu machen, die von Spionage und Proliferation ausgehen. Das Programm erfüllt den gesetzlichen Auftrag, Programme zur Information und Sensibilisierung betreffend Bedrohungen der inneren und äusseren Sicherheit zu führen.
„Prophylax" verfolgt ausserdem das Ziel, die Kontrolle von Exporten kritischer und proliferationsrelevanter Güter (sogenannter Dual-use-Güter) und Technologien zu stärken, indem illegale Beschaffungsaktivitäten frühzeitig erkannt und verhindert werden.

ZUR AUTORIN

Sylvia Löwe ist Social Media Manager beim Online Marketing in der Abteilung Kommunikation & Marketing und ist Themenverantwortliche «Campus».

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