Was Exoplaneten mit dem Coronavirus zu tun haben

Der Astrophysiker Kevin Heng und der Epidemiologe Christian Althaus haben soeben eine gemeinsame Studie publiziert. Im Interview erklären die beiden Forscher, was die Verbreitung von Infektionskrankheiten wie COVID-19 mit Exoplanetenchemie zu tun hat und was sie sich von der neu gegründeten interfakultären Plattform INPUT erhoffen.

Von Brigit Bucher 24. November 2020

Astrophysik und Epidemiologie: Das Bild links zeigt eine künstlerische Ansicht eines Sonnenuntergangs über dem Exoplaneten KELT-9b (© Denis Bajram). Das Bild rechts stammt aus einer künstlerischen Animation des Coronavirus © Pexels
Astrophysik und Epidemiologie: Das Bild links zeigt eine künstlerische Ansicht eines Sonnenuntergangs über dem Exoplaneten KELT-9b (© Denis Bajram). Das Bild rechts stammt aus einer künstlerischen Animation des Coronavirus © Pexels

Astrophysik und Epidemiologie – wie geht das zusammen? Der Kontakt zwischen dem Center for Space und Habitability CSH und dem Institut für Sozial- und Präventivmedizin ISPM kam 2018 zustande, wie Kevin Heng, Direktor des CSH, erzählt: «Oscar Franco, der damals neu Direktor am ISPM war, und ich loteten in verschiedenen Gesprächen eine mögliche Zusammenarbeit aus. An einem dieser Treffen war auch Christian Althaus dabei. So lernten wir uns kennen.» Die COVID-19-Pandemie hat die Zusammenarbeit zwischen dem Astrophysiker Heng und dem Epidemiologen Althaus dann so beschleunigt, dass sie nicht nur gemeinsam an zwei Studien zu COVID-19 beteiligt waren, sondern auch die fakultätsübergreifende Kollaboration mit der neuen Plattform INPUT institutionalisiert haben. 

Populationen von Planeten und Menschen lassen sich ähnlich beschreiben

Auf den ersten Blick haben Astrophysik und Epidemiologie wenig gemeinsam. Kevin Heng gibt denn auch unumwunden zu, wie erstaunt er war, dass man sich von Beginn weg so gut verstanden habe. Althaus, der seit zehn Jahren am ISPM tätig ist, hat in theoretischer Biologie doktoriert und sagt: «Natürlich habe ich inzwischen die Denkweise der Epidemiologie übernommen, aber dank meiner naturwissenschaftlichen Grundlagenausbildung fällt mir der Austausch mit Expertinnen und Experten aus der Chemie oder der Physik einfach.» 

In methodologischer Hinsicht gibt es durchaus Überlappungen zwischen den beiden Forschungszweigen. Kevin Heng sagt: «Besonders schön finde ich an den Naturwissenschaften, dass die Sprache der Natur letztendlich die der Mathematik ist. Denn unsere mathematischen Gleichungen beschreiben, wie die Natur funktioniert.» So hat Kevin Heng festgestellt, dass die mathematischen Gleichungen, die die chemischen Prozesse in der Atmosphäre von Exoplaneten beschreiben, denjenigen ähnlich sind, mit denen die Übertragung von Infektionskrankheiten beschrieben werden. Christian Althaus fügt an: «In der Astrophysik untersucht man mit Simulationsmodellen beispielsweise, wie auf fernen Planeten Moleküle miteinander reagieren und Verbindungen eingehen. Mit ganz ähnlicher Methodik, die auf den gleichen mathematischen Grundlagen beruht, erforschen wir in der Epidemiologie, wie sich Infektionskrankheiten übertragen.» 

Die beiden Forschungsgebiete sind sich aber auch in anderer Hinsicht ähnlich. «In der Astronomie sehen wir uns grosse Ansammlungen, sogenannte Populationen, von Objekten am Himmel an. Es können Populationen von Galaxien sein, von Sternen oder Planeten.» Auf statistischer Ebene werden dann Aussagen über diese Populationen getroffen. Und auch in der Epidemiologie betrachtet man Daten auf der Ebene der Bevölkerung, der Population also, und wertet diese statistisch aus. «Man könnte somit sagen, wir nutzen dieselben Instrumente der statistischen Auswertung und der Modellierung, um sowohl Himmelsobjekte als auch die Gesundheit der Menschen zu verstehen», so Kevin Heng.  

Bündelung von Expertise im Umgang mit grossen Datenmengen

Sowohl in der Astrophysik als auch in der Epidemiologie haben es die Forschenden mit einer Unmenge an Daten zu tun. Um die Expertise auf dem Gebiet zu bündeln und Synergien zu nutzen, wurde die Zusammenarbeit zwischen dem CSH und dem ISPM nun institutionalisiert und die Plattform INPUT gegründet. INPUT steht für «Interfaculty Platform for Data and Computational Science». Leiter der Plattform ist Christian Althaus. Er sagt: «Wir arbeiten ja bereits an aktuellen Projekten, wollen als Plattform aber wirklich wachsen und mit anderen Instituten und Fakultäten zusammenarbeiten. Schliesslich arbeiten viele Forschungszweige mit grossen Datenmengen und modellbasierten Simulationen.» Kevin Heng ergänzt: «Der Geist der Plattform besteht darin, nach verschiedenen Forschungsfeldern Ausschau zu halten, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, die aber in der Anwendung von Modellierung und Statistik eine innige Ähnlichkeit aufweisen.» So ist beispielsweise David Ginsbourger vom Institut für Mathematische Statistik und Versicherungslehre (IMSV) bereits mit an Bord von INPUT.

Wie Althaus erklärt, konnten die Forschenden der Universität Bern dieses Jahr bereits einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Pandemie leisten. «Und jetzt hoffe ich, dass wir mit INPUT über das Thema Infektionskrankheiten hinaus auch andere Themen bearbeiten können, die heutzutage auf globaler Ebene von grosser Wichtigkeit sind, wie «Planetary Health», also der Gesundheitszustand der menschlichen Zivilisation und ihrer Umwelt, was das globale Zusammenleben, die Ökologie sowie das Klima anbelangt», so Althaus weiter. Dafür brauche es eben ein umfassendes Verständnis für eine grosse Menge an Daten oder auch Computersimulationen, mit denen komplexe Systeme modelliert werden. «Wir wollen ein Verständnis erhalten für die drängenden Fragen der Zukunft, damit man auch die richtigen Antworten finden kann», sagt Althaus zum Schluss. 

 

Zu den beiden im Artikel erwähnten Studien

Ein sich abwechselnder Zyklus von Eindämmungs- und Lockerungsmassnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie könnte insbesondere in Entwicklungsländern eine pragmatische Lösung bieten, um eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern und gleichzeitig die Wirtschaft und Gesellschaft nicht zu stark zu belasten. Dies zeigte eine internationale Studie mit massgeblicher Beteiligung von Christian Althaus. Kevin Heng hat für diese Studie Computer-Modellierungen der verschiedenen Szenarien vorgenommen. Diese Modellierungen zur Ausbreitung von COVID-19 weckten Kevin Hengs Neugierde und er untersuchte die mathematischen Gleichungen des epidemiologischen SEIR-Modells weiter. Er stellte fest, dass diese Gleichungen dem Gleichungssystem sehr ähnlich sind, das in der Astrophysik verwendet wird zur Erforschung der Atmosphärenchemie von Exoplaneten. Anstatt zu verfolgen, wie sich Atome zu Molekülen verbinden, lässt sich mit dem SEIR-Modell abbilden, wie der Mensch die verschiedenen Stadien einer Krankheit durchläuft. Kevin Heng zeigt in der Studie, die er gemeinsam mit Christian Althaus veröffentlichte, dass die Kurven, die diesen Prozess abbilden, eine universale Form haben. 

Publikationsangaben

Chowdhury R, et al.: Dynamic interventions to control COVID-19 pandemic: a multivariate prediction modelling study comparing 16 worldwide countries. European Journal of Epidemiology 2020. https://link.springer.com/article/10.1007/s10654-020-00649-w 

Kevin Heng, Christian Althaus: The approximately universal shapes of epidemic curves in the Susceptible-Exposed-Infectious-Recovered (SEIR) model. Nature Scientific Reports. https://www.nature.com/articles/s41598-020-76563-8

Zu den Personen

Kevin Heng

Kevin Heng ist Professor für Astrophysik und seit 2016 Direktor des Center for Space and Habitability (CSH) an der Universität Bern. Er studierte Physik und Astrophysik an der National University of Singapore und an der University of Colorado in Boulder. 2007 erlangte er seinen Doktoratsabschluss am JILA-Forschungsinstitut und an der University of Colorado in Boulder. Weitere Stationen waren die Princeton University und die ETH Zürich, bevor er 2013 eine Assistenzprofessur mit Tenure Track an der Universität Bern antrat. Kevin Hengs Haupt-Forschungsinteresse gilt den Atmosphären von Exoplaneten. Er ist Mitglied des Core Science Teams der von der Universität Bern geleiteten CHEOPS-Mission und des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFS PlanetS, den die Universität Bern gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

Kontakt: 

Prof. Dr. Kevin Heng
Center for Space and Habitability (CSH)
Telefon: +41 31 631 59 18
E-Mail: kevin.heng@csh.unibe.ch
Auf Twitter findet man ihn unter @KevinHeng1

Christian Althaus

Nach seinem Studium in Biologie und einer Tätigkeit als Research Assistant an der ETH Zürich doktorierte Christian Althaus von 2005 bis 2009 in theoretischer Biologie und Bioinformatik an der Universität Utrecht. Seit 2009 arbeitet er am Institut für Sozial- und Präventivmedizin ISPM der Universität Bern, aktuell als Leiter der Interfaculty Platform for Data and Computational Science INPUT. 2017 habilitierte er sich an der medizinischen Fakultät der Universität Bern im Bereich der Epidemiologie von Infektionskrankheiten. Im Zuge der COVID-19-Pandemie erlangte Christian Althaus grosse Bekanntheit in den Medien als Experte zum Thema. Er ist Mitglied der Swiss National COVID-19 Science Task Force, welche die Behörden berät. 

Kontakt: 

PD Dr. Christian Althaus
Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM)
Telefon direkt: +41 31 631 56 71
Email: christian.althaus@ispm.unibe.ch
Auf Twitter findet man ihn unter @C_Althaus 

Die Plattform INPUT findet man auf Twitter unter @INPUTBern

Zur Autorin

Brigit Bucher arbeitet als Leiterin Media Relations und ist Themenverantwortliche «Space» in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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