Von Start-ups bis Schutzmasken: das sitem Center der Uni Bern

Das sitem Center der Universität Bern ist an der Medizinischen Fakultät angesiedelt und unterstützt mit seiner Lehre und Forschung das Unternehmertum in der Biomedizin. Im Interview erzählt Jürgen Burger, Direktor des sitem Center, wie das Zentrum mit Innovationen dazu beiträgt, die COVID-19-Krise zu bekämpfen.

Interview: Nathalie Matter 06. November 2020

Prof. Dr. Jürgen Burger ist Direktor des sitem Center for Translational Medicine and Biomedical Entrepreneurship der Universität Bern und der sitem-insel School. © zvg
Prof. Dr. Jürgen Burger ist Direktor des sitem Center for Translational Medicine and Biomedical Entrepreneurship der Universität Bern und der sitem-insel School. © zvg

uniaktuell: Herr Burger, was ist genau der Unterschied zwischen den beiden «sitem» – dem Schweizerischen Institut für Translationale und Unternehmerische Medizin «sitem-insel» und dem «sitem Center for Translational Medicine and Biomedical Entrepreneurship» der Uni Bern?
Die sitem-insel AG wurde als nationales Kompetenzzentrum gegründet, das die Translation, also den Übergang von Forschungsergebnissen oder Prototypen zu marktfähigen Produkten, unter anderem in Spitälern unterstützt. Mit der Vision «Bringing Innovation to the Patient» ist sitem-insel als gemeinnützige öffentlich-private Partnerschaft organisiert. Die Universität Bern ist Gründungsmitglied und akademische Partnerin von sitem-insel.
Das sitem Center ist ein Zentrum der Medizinischen Fakultät der Universität Bern mit Aktivitäten in Lehre und Forschung. Die Forschenden des sitem Center arbeiten national und international mit verschiedenen Kliniken wie dem Inselspital zusammen sowie mit akademischen und industriellen Partnern in Bereichen von der Entwicklung medizinischer Devices bis zum Management von Gesundheitstechnologien.
Das sitem Center bietet zudem gemeinsam mit sitem-insel in der sogenannten «sitem-insel School» Weiterbildungsstudiengänge an, die Spezialistinnen und Spezialisten in hochrelevanten Themen der translationalen Medizin und des biomedizinischen Unternehmertums ausbilden.

Kick-off des Studiengangs «Translational Medicine and Biomedical Entrepreneurship» der sitem-insel School, die sich im Gebäude von sitem-insel befindet. © Ivan Santos, sitem-insel School
Kick-off des Studiengangs «Translational Medicine and Biomedical Entrepreneurship» der sitem-insel School, die sich im Gebäude von sitem-insel befindet. © Ivan Santos, sitem-insel School

Inwiefern leisten Sie Unterstützung für Unternehmertum?
Die sitem-insel School vermittelt mit ihren Weiterbildungsstudiengängen nicht nur wissenschaftliche und medizinische Kenntnisse, sondern auch unternehmerisches Know-how, um biomedizinische Produkte, wie zum Beispiel Medizintechnik-, Biotech- und Pharmaprodukte, zu entwickeln und erfolgreich auf den Markt zu bringen.
So wurden bereits 23 schon gegründete oder noch entstehende Start-ups in translationaler Medizin und Unternehmertum ausgebildet. Zudem schreibt die sitem-insel School jährlich kompetitive Stipendien für Start-ups aus, damit sich ihre Führungskräfte von unseren internationalen Expertinnen und Experten schulen lassen können.
Diesen Herbst nehmen wir auch ein «Start-up-Lab» und einen «Workspace» für Start-ups in Betrieb – dadurch wollen wir es Start-ups ermöglichen, zusammen mit führenden Kliniken wie dem Inselspital biomedizinische Produkte zu entwickeln.

Biomechanisches Modell der Schulter. Am sitem Center arbeiten Fachleute aus Klinik und Technologie eng zusammen, um neue und effizientere Behandlungsmethoden zu entwickeln, die den Patientinnen und Patienten möglichst rasch zugutekommen sollen. © sitem Center
Biomechanisches Modell der Schulter. Am sitem Center arbeiten Fachleute aus Klinik und Technologie eng zusammen, um neue und effizientere Behandlungsmethoden zu entwickeln, die den Patientinnen und Patienten möglichst rasch zugutekommen sollen. © sitem Center

Womit befasst sich die Forschung am sitem Center – geht es hauptsächlich um das Testen und Entwickeln von medizinischen Prototypen?
Nicht nur. Die Zukunft der Medizin liegt aus meiner Sicht in der Präzisionsmedizin – also einer personalisierten Analyse und entsprechend individueller Behandlung. So entwickelt und erforscht die Forschungsgruppe «Personalised Medicine» des sitem Center neue Technologien, auch mit Einsatz von Artificial Intelligence, um Patientinnen und Patienten zur richtigen Zeit die richtige Behandlung zukommen zu lassen. Wir arbeiten also auch daran, die medizinische Versorgung zu verbessern.
Das Team «Smart Surgical Instruments and Medical Devices» fokussiert auf die Entwicklung neuartiger und minimal-invasiver implantierbarer Geräte, intelligenter chirurgischer Instrumente und Technologien, darunter etwa miniaturisierte Ultraschallinstrumente für die Präzisionsmedizin.
Die Gruppe «Cardiac Technology and Implantable Devices» erforscht neue technische Lösungen für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere von Herzrhythmusstörungen und koronarer Herzkrankheit.

Wie sieht es bei Ihnen mit der Innovation aus in Zeiten von Corona?
In der Weiterbildung sind wir stolz, dass wir selbst in diesen schwierigen Zeiten in Zusammenarbeit mit visionären Sponsoren zehn kompetitive Stipendien für innovative Projekte, die zu einem Start-up führen sollen, mit Themen im Pharma- und Medizinproduktebereich ausschreiben und an Top-Forschende aus der gesamten Schweiz vergeben konnten.
In der Forschung haben wir im Januar kurz vor der COVID-19-Krise ein umfangreiches Innosuisse-Projekt in Zusammenarbeit mit der Mitek Sports Medicine, Johnson & Johnson, gestartet. In diesem Projekt geht es um die Diagnose und Planung von chirurgischen Eingriffen mittels Artificial Intelligence. Durch computergestützte Technologien soll die patientenspezifische Vorhersage von Behandlungsergebnissen im Schulterbereich verbessert werden.
Natürlich mussten wir dieses und all die anderen bereits laufenden Projekte zwischen April und Juni im Home-Office weiterführen, was aber nicht zu grossen Verzögerungen führte.

Ein nationales Projekt, an dem sich das sitem Center und sitem-insel in Bezug auf COVID-19 beteiligt, ist reMask. Worum geht es da?
ReMask wird vom sitem Center und von sitem-insel unterstützt und ist Teil der nationalen COVID-19 Science Task Force des Bundes. Ziel von reMask ist es, die Behörden, die Spitäler und die Industrie bei ihrem Auftrag zu unterstützen, Spitäler, Fachleute und die Bevölkerung in der Schweiz während der COViD-19-Krise mit Masken von ausreichender Qualität zu versorgen. Daran beteiligt sind Ärztinnen und Ärzte sowie Forschende aus Regierungs- und Verteidigungslaboratorien, Spitälern, Universitäten, Industrie und Gesundheitswesen schweizweit. Sie arbeiten mit der Task Force sowie mit Behörden zusammen, wie etwa Swissnoso, dem nationalen Zentrum für Infektionskontrolle.

Eine der Aufgaben des sitem Centers und von sitem-insel für reMask ist es, die «Key player» aus Forschung, Medizin, Industrie und Behörden zusammenzubringen. ©reMask
Eine der Aufgaben des sitem Centers und von sitem-insel für reMask ist es, die «Key player» aus Forschung, Medizin, Industrie und Behörden zusammenzubringen. ©reMask

Welchen Beitrag leisten das sitem Center und sitem-insel dabei?
Das sitem Center und sitem-insel informieren gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des reMask Teams die Öffentlichkeit auf der Website www.remask.ch über optimale Bedingungen für das Tragen von Masken als Schutz vor COVID-19.
Die Website stellt auch Informationen und eine Anleitung zur Verfügung, wie Qualitätsprüfungen von importierten und neu produzierten Masken in der Schweiz durchgeführt werden können, sowie einen möglichen Notfallplan, falls es zu einem Maskenmangel für medizinisches Fachpersonal kommen sollte – so dass medizinische Fachpersonen Masken mit minimalem Risiko wiederverwenden können.
Zudem sind wir mit sitem-insel massgeblich an der Koordination von «Key players» beteiligt, etwa aus Forschung, Medizin und Industrie sowie anwendungsnahen Bereichen und Behörden. Wir haben gemeinsam auch die Schweizer Industrie bei der Produktion von Masken gegen COVID-19 mit einem Qualitätslabel unterstützt.

Warum ist es wichtig, dass die Schweiz eigene Masken produziert und testet?
Für den Gebrauch in Spitälern werden hauptsächlich medizinische Gesichtsmasken («chirurgische Masken» oder «Hygienemasken») verwendet. Diese Masken sind Medizinprodukte und benötigen ein entsprechendes CE-Zertifikat. Aufgrund des weltweit enormen Bedarfs an Gesichtsmasken kam es in der Vergangenheit auch in der Schweiz dazu, dass minderwertige, nicht konforme medizinische Gesichtsmasken oder Masken mit gefälschtem Zertifikat auf dem Markt angeboten wurden, bei denen der Schutz nicht gewährleistet ist.
Dies betrifft auch FFP-Masken, die zur persönlichen Schutzausrüstung des Pflegepersonals gehören und seit der COVID-19-Krise in Spitälern verwendet werden. Eine Herstellung von zertifizierten und geprüften Masken in der Schweiz garantiert eine Versorgung mit hochwertigem Material mit der entsprechenden Schutzwirkung.

Wo stehen wir da im Moment?
FFP-Masken, auch CPA- oder N95-Masken genannt, werden inzwischen unter anderem von der Firma Flawa in Flawil nach Norm EN 149 hergestellt und stehen für Schweizer Spitäler zur Verfügung.
Auch bei «Community Masks», also Textilmasken, die von der breiten Bevölkerung getragen werden, ist es wichtig, eine zuverlässige Kontrolle der Schutzfunktion zu gewährleisten. Dies wird in der Schweiz durch die Firma TESTEX garantiert, welche Qualitätstests auf der Basis der Empfehlungen der Swiss National COVID-19 Science Task Force durchführt.
Die Tests, welche von TESTEX durchgeführt werden, garantieren etwa eine genügende Luftdurchlässigkeit, eine Partikelfiltrationseffizienz von mindestens 70% bei einer Partikelgrösse von einem Mikrometer und eine gute Passform.
Zudem muss die Maske mindestens fünf Mal bei 60°C waschbar sein und danach die gesetzten Kriterien oben immer noch erfüllen. Die Tests beinhalten auch eine Schadstoffprüfung entsprechend dem STANDARD 100 von OEKO-TEX®.

Welche Schutzmaske tragen Sie persönlich und was empfehlen Sie aktuell als Fachmann in Bezug auf das Maskentragen?
Ich verwende sowohl medizinische Gesichtsmasken als auch – wie in öffentlichen Verkehrsmitteln – waschbare »Community Masks», die in der Schweiz hergestellt und von TESTEX zertifiziert wurden.
Da in einem Worst-Case-Szenario eine Maske auf der Aussenseite kontaminiert sein kann, sollte man eine «Community Maske» nur einmal und maximal einen Tag lang verwenden und anschliessend waschen. Eine medizinische Gesichtsmaske kann nicht wiederverwendet werden.
Auch sollten die Masken in einem speziellen Behälter aufbewahrt werden, der sie gut trocknen lässt, um etwa Schimmelbildung zu vermeiden. Die Masken sollten keinesfalls irgendwo, wie etwa auf dem Schreibtisch, herumliegen und sollten nur an den elastischen Bändern zum Abnehmen berührt werden, niemals auf der Oberfläche.

Abgesehen vom Engagement gegen Corona: Was möchten Sie in den nächsten Jahren mit dem sitem Center erreichen?
Wir möchten unsere Weiterbildungsstudiengänge in Translationaler Medizin & Unternehmertum, Regulatory Affairs & Quality Assurance sowie Artificial Intelligence in Medical Imaging und Diagnose durch internationale Zusammenarbeit noch weiter bekannt machen – national als auch international.
Weiterhin wollen wir mit unseren attraktiven Weiterbildungsprogrammen und dem Start-up-Bereich Start-ups und translationale Projekte, welche in eine Firmengründung münden, zum Erfolg führen.
Durch erfolgreiche internationale Forschungsprojekte wollen wir zudem den Medizinalstandort Bern weiterentwickeln und dazu beitragen, dass das nationale Kompetenzzentrum sitem-insel ein international anerkanntes translationales Zentrum wird.

sitem-insel, das Schweizerische Zentrum für Translationale Medizin und Unternehmertum

sitem-insel ist eine Public-Private-Partnership des Bundes, des Kantons Bern, der Universität Bern, des Inselspitals und namhafter privater Firmen, insbesondere der MedTech- und Pharmaindustrie. Gemeinsam arbeiten Forschungsgruppen aus der Klinik und Universität mit Unternehmen, Start-ups und anderen Partnern daran, Innovationen aus der medizinischen Forschung möglichst rasch in ein klinisches Produkt zu «übersetzen» – daher der englische Begriff «Translation» (Übersetzung). Auch die Förderung von Start-ups, die zum Wohle von Patientinnen und Patienten forschen, sind ein wichtiges Ziel von sitem-insel. Forschende, die eine Idee haben, die sie zur Marktreife bringen wollen, werden unter anderem von der sitem-insel School unterstützt und beraten.

Über Jürgen Burger

Prof. Dr. Jürgen Burger ist Direktor des sitem Center for Translational Medicine and Biomedical Entrepreneurship der Universität Bern und der sitem-insel School.

Zur Autorin

Nathalie Matter arbeitet als Redaktorin bei Media Relations und ist Themenverantwortliche «Gesundheit und Medizin» in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

Oben