«In der Forschung ist unser Institut Weltspitze»

Im Gespräch freut sich der Direktor Christian Jackowski über die gemeinsam errungenen wissenschaftlichen Erfolge am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern. Und er erklärt, wie sich seine Beziehung zum Tod verändert hat, seit er sich täglich damit beschäftigt.

Herr Jackowski, im aktuellen Newsletter des Instituts für Rechtsmedizin informieren Sie Ihre Mitarbeitenden über einen «ausserordentlichen Erfolg». Um was geht es?
Christian Jackowski: Das «International Journal of Legal Medicine» ist die einflussreichste und wichtigste Fachzeitschrift in der Forensischen Medizin. Die Hürden, darin eine wissenschaftliche Arbeit zu publizieren, sind sehr hoch. Wie die Statistik dieses Journals ausweist, führt unser Institut mit 27 Beiträgen die Rangliste an, in der die Institutionen nach Anzahl publizierter Arbeiten geordnet sind. Mit anderen Worten: Es gibt auf der ganzen Welt kein rechtsmedizinisches Institut, das zwischen 2016 und 2018 mehr Artikel in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat. Unser kleines Institut ist aktuell also nicht nur im übertragenen Sinn, sondern tatsächlich Weltspitze.

Professor Christian Jackowski ist Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern. Bild: zvg.
Professor Christian Jackowski ist Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern. Bild: zvg.

Welche dieser 27 Publikationen gefällt Ihnen am besten?
Ich möchte hier ganz bewusst keine einzelne Publikation speziell hervorheben, denn zu diesem Erfolg haben alle an der Forschung beteiligten Mitarbeitenden des Instituts gemeinsam beigetragen. Mir imponiert dieses Resultat aus dem internationalen Quervergleich um so mehr, als wir hier im Institut ja nicht nur Forschung betreiben, sondern auch den rechtsmedizinischen Dienstleistungsalltag bewältigen müssen. In diesem Jahr beschäftigt uns überdies auch der bevorstehende Umzug in den Neubau an der Murtenstrasse. Die Vorbereitungsarbeiten binden viele Kräfte.

Viele Leute haben ein mulmiges Gefühl, wenn sie Tote nur schon sehen. Doch Sie haben in Ihrer Arbeit als Rechtsmediziner täglich mit Leichnamen zu tun. Trotzdem bezeichnen Sie Ihre Tätigkeit als «Traumjob».
Ja, mir gefällt, dass der Beruf sehr spannend und abwechslungsreich ist. Grob lässt er sich in drei Aspekte unterteilen: Erstens gibt es das Büro, wo wir beispielsweise Gutachten schreiben. Zweitens gibt es das Rausfahren, wo man – zwar immer unter speziellen Bedingungen – Land und Leute kennenlernt. Mir gefällt, dass man sich dabei auch mit Techniken, die beispielsweise auf dem Bau zu Unfällen führen können, vertieft auseinandersetzt. Und drittens spielt bei den Obduktionen, den eigentlichen inneren Leichenschauen, auch das Handwerkliche eine wichtige Rolle. Sehr bereichernd empfinde ich ausserdem den Umstand, dass ich nie weiss, was ein neuer Tag bringt.

Eine Kamera, die 40'000 Bilder pro Minute schiesst, zeigt wie sich nach einem Schuss mit aufgesetzter Waffenmündung Rückspritzspuren entwickeln.
Eine Kamera, die 40'000 Bilder pro Minute schiesst, zeigt wie sich nach einem Schuss mit aufgesetzter Waffenmündung Rückspritzspuren entwickeln. © Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern

Das erfahren Sie jeweils, wenn die Polizei anruft?
Genau, wir werden bei so genannten aussergewöhnlichen Todesfällen – das können Unfälle, Suizide oder auch Tötungsdelikte sein – von der Polizei aufgeboten. Wir haben im Institut einen Pikettdienst, so dass jederzeit drei Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen, die – oft auch nachts – hinausfahren, um den Leichnam zu untersuchen. Im Jahr sehen wir im ganzen Kanton Bern ungefähr 1000 Leichen. Drei Viertel der Fälle lassen sich gleich vor Ort klären. Bei etwa einem Viertel der Fälle beauftragt die Staatsanwaltschaft weiterführende Untersuchungen, dann obduzieren wir den Leichnam. Klassische Tötungsdelikte, bei denen jemand erschossen oder erschlagen wird, sind zum Glück selten. Viel öfter steht eine Fremdverantwortung im Raum, etwa bei der Frage, wer einen Verkehrsunfall verursacht hat. Wenn zum Beispiel jemand tot am Strassenrand liegt, möchten wir wissen, ob die Person einem Herzinfarkt erlegen ist oder von einem Auto angefahren wurde. Wenn der Autofahrer nicht aufgepasst – und also die nötige Aufmerksamkeit nicht aufgebracht – hat, entspricht der Verkehrsunfall im strafrechtlichen Sinn eben keinem Unfall oder schicksalhaften Ereignis, sondern einer fahrlässigen Tötung.

Sie blicken in Ihrer Arbeit gewissermassen dem Übel in dieser Welt ins Auge. Schreckt Sie das nicht ab?
Nein. Wir haben zwar oft mit Personen zu tun, die etwas ganz Schlimmes erlebt haben. Doch zu dem Zeitpunkt, an dem wir hinzustossen, sind die Personen meist tot. Wenn wir die Leichname sichten, ist das Leiden schon vorbei. In dieser Beziehung habe ich sehr grosse Achtung vor den Pflegenden: Sie erleben das Elend und Leiden der Patientinnen und Patienten direkt mit.

Inwiefern hilft Ihnen Humor, sich abzugrenzen?
Ich würde sagen, eine Art trockener Humor ist schon da. Für die eigene Psychohygiene braucht es ab und zu einen Scherz. Das darf aber nicht zu Lasten des respektvollen Umgangs mit den Verstorbenen passieren, das ist mir sehr wichtig. Gleich zu Beginn meiner Amtszeit als Direktor des Instituts musste ich sogar mal jemanden wegen seines respektlosen Verhaltens entlassen.

Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit mit religiösen Bedenken um?
Wir versuchen religiöse Befindlichkeiten zu berücksichtigen und wenn immer möglich auch Kompromisse zu finden. Doch am Ende muss man sagen: Über allem steht die Schweizer Strafprozessordnung. Wenn uns die Staatsanwaltschaft mit einer eingehenden Prüfung eines aussergewöhnlichen Todesfalls beauftragt, dann ist der Leichnam ein Beweismittel in einem Untersuchungsverfahren. Und die Staatsanwaltschaft entscheidet, was mit diesem Beweismittel passiert.

Postmortale Magnetresonanztomographie. © Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern
Postmortale Magnetresonanztomographie. © Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern

Können Sie sich an ein Aha-Erlebnis erinnern, das sie während einer Obduktion hatten?
Da gibt es viele. Zum Beispiel, als ich das erste Mal ein kleines Gerinnsel in den Herzkranzgefässen gefunden habe. Dass eine Struktur, die im Durchmesser vielleicht zwei Millimeter misst, einen Herzinfarkt verursachen kann, an dem ein Mensch verstirbt, dass eine so feine und winzige Struktur derartige Konsequenzen haben kann, hat mich schon sehr beeindruckt.

Wie der Erfolg von Krimiserien beweist, ist die Gesellschaft vom Tod fasziniert. Was hat sich in Ihrer Beziehung zum Tod verändert, seit Sie sich täglich damit beschäftigen?
Das sind vor allem zwei Dinge. Erstens habe ich ein sehr feines Gespür für Gefahrensituationen entwickelt, mit dem ich manchmal auch mein persönliches Umfeld im Haushalt nerve: Ich kann zum Beispiel nicht sehen, wenn in der offenen Geschirrspülmaschine das Besteck nach oben ragt. Ich muss das sofort ausräumen.

Und zweitens?
Eigentlich hatte der Tod in meinem Leben nur eine kleine Bedeutung, bevor ich Rechtsmediziner wurde. Mit Leichen hatte ich das erste Mal im Rahmen des Medizinstudiums zu tun. Jetzt im Fach kriegt man jeden Tag die eigene Endlichkeit vor Augen geführt. Das hat bei mir und vielen meiner Kolleginnen und Kollegen dazu geführt, dass man sich vielleicht mehr erfreut, an all dem, was man gerade hat. Und das auch wertschätzt, weil man weiss, das kann in der nächsten Minute auch vorbei sein.

Über Christian Jackowski

Christian Jackowski ist Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Bern und Facharzt für Rechtsmedizin.

Kontakt:

Prof. Dr. med. Christian Jackowski
Telefon: +41 31 631 84 12
E-Mail: christian.jackowski@irm.unibe.ch

Über das Institut für Rechtsmedizin

Das Institut für Rechtsmedizin (IRM) Bern führt hauptsächlich im Auftrag der Staatsanwaltschaft Untersuchungen durch. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen der Rechtspflege und tragen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit bei. Gewisse Dienstleistungen des Instituts können aber auch von anderen Behörden, Spitälern, Ärzten und in Ausnahmefällen von Privatpersonen genutzt werden. Das IRM Bern bietet verschiedene Dienstleistungen an.

Zum Autor

Ori Schipper ist freier Wissenschaftsjournalist in Bern.

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