«I want to know why»

Catherine «Katie» Peichel, Professorin am Institut für Ökologie und Evolution, erfuhr mitten im Lockdown, dass sie in die «American Academy of Arts and Sciences» aufgenommen wird. Dieser Tage hätte sie zur offiziellen Feier nach Boston reisen sollen. Dass die überzeugte Grundlagenforscherin seit 2016 in der Schweiz arbeitet, hängt auch mit der aktuellen Situation in den USA zusammen.

Von Nicola von Greyerz 07. Oktober 2020

Catherine «Katie» Peichel, Professorin für Evolutionsbiologie am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. © Vera Knöpfel
Catherine «Katie» Peichel, Professorin für Evolutionsbiologie am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Fast hätte sie das E-Mail übersehen. Als Institutsdirektorin seien die ersten Wochen des Lockdowns sehr intensiv gewesen und ihr Postfach sei fast explodiert: «Zuerst war ich völlig schockiert. Ich dachte, worum geht es in dieser E-Mail?», erzählt Katie Peichel herzhaft lachend in ihrem eher karg eingerichteten Büro am Institut für Ökologie und Evolution auf dem Muesmattareal. Und dann seien von überall Gratulationen gekommen – von Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaftscommunity, aber auch von Mitgliedern der weltweit angesehenen «American Academy of Arts and Sciences» selbst, die ihr schrieben, wie sehr sie diese Ernennung verdient habe. Das habe sie sehr berührt und es bedeute ihr viel, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Die Academy zeichnet Personen aus, die sich nicht nur durch wissenschaftliche oder künstlerische Exzellenz hervorgetan haben, sondern mit ihrer Arbeit Herausragendes für die Gesellschaft leisten.

Die American Academy of Arts and Sciences, 1780 gegründet, versteht sich als unabhängiges Forschungszentrum, das der multi- und interdisziplinären Forschung verpflichtet ist und Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen und Berufen zusammenführen will, um pragmatische Lösungen für komplexe Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Eine der ältesten Traditionen der Akademie ist das handschriftliche Verfassen eines Briefes, in dem die Wahl zur Mitgliedschaft akzeptiert wird. «Es wird sehr beeindruckend sein, vor den Originalschreiben eines Charles Darwin oder Albert Einstein zu stehen und zu realisieren, dass man nun auch Teil dieser Community ist», sagt Katie Peichel. Aufgrund der Pandemie wird sie auf diesen Moment jedoch noch etwas warten müssen. Die diesjährige Feier wurde abgesagt.

«Das bin einfach nicht ich»

Katie Peichel wurde 2016 zur ordentlichen Professorin für Evolutionsbiologie an der Universität Bern ernannt. Davor war sie Professorin an der University of Washington und leitete ein Forschungslabor am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle. Während eines Sabbaticals, das sie 2014 in Basel verbracht hat, habe sie die Wissenschaftskultur der Schweiz sehr schätzen gelernt und ein Umfeld gefunden, das ihren Forschungsinteressen – Evolutionsökologie und Genetik – entsprochen habe. Der Entscheid in die Schweiz überzusiedeln sei ihr sehr einfach gefallen.

Die Situation in den USA für die Finanzierung von Grundlagenforschung habe sich in den vergangenen Jahren zusehend verschlechtert. «In den USA muss man angewandte Forschung machen, um Förderung zu bekommen. Aber das bin einfach nicht ich», sagt sie lakonisch.

Katie Peichel vor einem Aquarium mit Stichlingen: Diese Fische eignen sich besonders gut, um Veränderungen im Erbgut infolge von Veränderungen des Lebensumfeldes zu untersuchen. © Vera Knöpfel
Katie Peichel vor einem Aquarium mit Stichlingen: Diese Fische eignen sich besonders gut, um Veränderungen im Erbgut infolge von Veränderungen des Lebensumfeldes zu untersuchen. © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Das Commitment gegenüber der Grundlagenforschung sei in der Schweiz sehr hoch und man werde nicht dauernd gezwungen, die eigene Arbeit auf diesem Gebiet zu rechtfertigen. «Ich glaube sehr stark an die Rolle und Wichtigkeit von Grundlagenforschung. Die aktuelle COVID 19-Forschung ist ein gutes Beispiel dafür. Ohne die jahrelange Grundlagenarbeit in der Gensequenzierung hätte niemand das SARS-CoV-2-Virus so schnell sequenzieren können. Dies ist nun von grosser Bedeutung, um das Virus zu verstehen und die Pandemie bekämpfen zu können», erklärt Katie Peichel.

Den Dingen auf den Grund gehen

Auf die Frage nach dem Ziel ihrer Forschungsarbeit sagt die Evolutionsbiologin: «Wir wollen die Evolution aus einer ganzheitlichen Perspektive verstehen.» Dabei gilt es herauszufinden, ob und wie sich Lebewesen in veränderten Umweltbedingungen in ihrem Erscheinungsbild – dem Phänotyp – verändern. Vor allem aber geht es ihr um die Frage, welche genetischen Veränderungen dem zugrunde liegen. «Ich will verstehen, wie die Evolution auf einer genetischen Ebene verläuft.»

Dafür untersucht Peichel gegenwärtige Populationen und wie sich deren Erbgut unter unterschiedlichen Bedingungen verändert. Ein ideales Modell dafür ist der dreistachelige Stichling: ein unscheinbarer, rund fünf cm grosser Fisch, der seit Millionen von Jahren zum Laichen zwischen Salz- und Süsswasser hin- und herwandert. Seit etwa 15'000 Jahren gibt es auch reine Süsswasserpopulationen, die nicht mehr im Salzwasser leben können. Diese Fische sehen anders aus, haben andere Parasiten, ernähren sich anders und legen auch im Übrigen ein anderes Verhalten an den Tag. Es konnte nachgewiesen werden, dass diese Veränderungen innerhalb von nur rund 20 Generationen stattfinden. Aus evolutionsbiologischer Perspektive ist das ein Wimpernschlag. Offenbar verfügen Stichlinge über eine genetische Variation, die es ihnen erlaubt, sehr rasch auf Veränderungen in ihrem Umfeld zu reagieren. Warum ist das so? Warum können sich gewisse Arten so rasch an eine veränderte Umgebung anpassen und andere nicht? Welche genetischen Faktoren könnten hierfür entscheidend sein?

Dreistachliger Stichling: Aufgrund einer genetischen Variation können diese Fische vergleichsweise schnell auf Veränderungen in ihrem Umfeld reagieren. © Vera Knöpfel
Dreistachliger Stichling: Aufgrund einer genetischen Variation können diese Fische vergleichsweise schnell auf Veränderungen in ihrem Umfeld reagieren. © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Um diesen Fragen auf die Spur zu kommen, müssen die genetischen Grundlagen unterschiedlicher Erscheinungsformen der Stichlinge untersucht werden. Dafür werden die Fische im Labor gekreuzt und das Genmaterial dieser Hybride wird untersucht. Mittels Genkartierungen kann beispielsweise festgestellt werden, wo im Genom eine veränderte Wirbelsäule als ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal sichtbar wird. Diese genetische Modifikation konnte im Labor von Katie Peichel nachgewiesen werden. Auch gelang hier der Nachweis von unterschiedlichem Schwarmverhalten. Beides brachte der Forscherin international hohe Beachtung ein.

Ist Evolution wiederholbar?

Auf die Frage nach zukünftigen Forschungsprojekten wird Peichel kurz nachdenklich. Sie sei an einem Punkt in ihrer Karriere, an dem es ihr immer wichtiger werde, mehr in den wissenschaftlichen Nachwuchs zu investieren. Die richtigen Leute zusammenzubringen und damit ein Umfeld zu schaffen, das für junge Forschende fruchtbar sei, sei ihr wichtig und mache ihr grossen Spass. Aber selbstverständlich liege ihr die eigene Forschung immer noch sehr am Herzen: «I want to know why and how all this happens.»

Im Bereich der experimentellen Evolution stehen spannende Jahre bevor. Was im Labor bereits häufig gemacht wurde – der Evolution «in Echtzeit» zuzuschauen – will sie nun gemeinsam mit Forschenden aus Kanada und den USA zum ersten Mal in einer gross angelegten Versuchsanordnung in der Natur beobachten. 2019 sind in acht verschiedenen Süsswasserseen in Alaska Stichlinge ausgesetzt worden. In den kommenden Jahren können die Forschenden deren Entwicklung und genetische Veränderungen von Generation zu Generation beobachten. Es werde sich zeigen, ob die Laborversuche in der Natur wiederholbar seien und welche Rolle der Zufall in der Evolutionsdynamik spiele. Dieses Projekt werde sie sicher noch bis zu ihrer Emeritierung beschäftigen. Katie Peichels Augen leuchten, als sie dies sagt.

Über Katie Peichel

Catherine Peichel ist in Kalifornien aufgewachsen und schloss 1991 ihr Studium an der University of California, Berkeley, ab. In ihrer Dissertation an der Princeton University befasste sie sich mit Verfahren zur Identifikation von Genen, die für die Organismen-Entwicklung wichtig sind. Ausgehend von dieser Forschung interessiert sie sich für den Einsatz ähnlicher Verfahren für die Untersuchung der genetischen Grundlagen der phänotypischen Vielfalt in der Natur (der Phänotyp bezeichnet in der Genetik das Erscheinungsbild). 1998 nahm Peichel eine Postdoktoratsstelle an der Stanford University an. Dort war sie daran beteiligt, den dreistachligen Stichling als genetisches Modell für die Erforschung der Evolution zu etablieren. Zwischen 2003 und 2016 war sie Professorin an der University of Washington und leitete ein Forschungslabor am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle. Seit 2016 ist sie ordentliche Professorin für Evolutionsbiologie an der Uni Bern. Bis Ende August 2020 war sie geschäftsführende Direktorin des Instituts für Ökologie und Evolution, seither hat sie die Stellvertretung inne.

Kontakt:

Prof. Dr. Catherine (Katie) Peichel
Institut für Ökologie und Evolution
Division Evolutionary Ecology
E-Mail: catherine.peichel@iee.unibe.ch
Telefon: +41 31 631 30 22

Das Institut für Ökologie und Evolution

Das Institut für Ökologie und Evolution an der Universität Bern widmet sich der Forschung und Lehre in allen Aspekten von Ökologie und Evolution und versucht eine wissenschaftliche Basis für das Verständnis und die Erhaltung der lebenden Umwelt zu bieten. Es untersucht die Mechanismen, durch die Organismen auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr interagieren, einschliesslich phänotypischer Reaktionen auf individueller Ebene, Veränderungen in Häufigkeiten von Genen und Allelen auf Populationsebene wie auch Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Gemeinschaften bis hin zur Funktionsweise von ganzen Ökosystemen.

Über die Autorin

Nicola von Greyerz arbeitet als Eventmanagerin in der Abteilung Kommunikation & Marketing der Universität Bern.

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