Hoher Besuch: Vorlesung mit Bundesrätin Keller-Sutter

Bundesrätin Karin Keller-Sutter war am 5. November 2020 Gastreferentin in der Vorlesung «Politisches System der Schweiz I» an der Universität Bern. Die Justizministerin betonte die Wichtigkeit des Föderalismus und beantwortete Fragen der Studierenden, die per Videokonferenz an der Veranstaltung teilnahmen.

Bundesrätin Karin Keller-Sutter wurde von Adrian Vatter (Institut für Politikwissenschaft, links) und Rektor Christian Leumann (rechts) empfangen. © Universität Bern/Bild: Vera Knöpfel
Bundesrätin Karin Keller-Sutter wurde von Adrian Vatter (Institut für Politikwissenschaft, links) und Rektor Christian Leumann (rechts) empfangen. © Universität Bern/Bild: Vera Knöpfel

Es war ein Anlass unter speziellen Vorzeichen: Adrian Vatter, Ordinarius für Politikwissenschaft, hatte die Bundesrätin Karin Keller-Sutter in seine Vorlesung «Politisches System der Schweiz I» eingeladen. Die zweite Pandemiewelle liess die physische Anwesenheit der Studierenden allerdings nicht zu. «Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es alles andere als selbstverständlich, dass ein Mitglied des Bundesrates eine Universität besucht», sagte Adrian Vatter in seiner Begrüssung. Die Studierenden verfolgten das Referat der Bundesrätin virtuell und nutzten die Möglichkeit, Karin Keller-Sutter ihre Fragen «live» zu stellen.

Föderalismus – zentraler Faktor für den Erfolg des Schweizer Modells

In ihrem Referat zeigte sich, dass Karin Keller-Sutter in ihrem Verständnis von Föderalismus und der schweizerischen direkten Demokratie trotz Coronakrise unbeirrt ist. «Diese Institutionen sind auch in schwierigen Zeiten die Grundpfeiler des politischen Systems der Schweiz», erklärte sie. So stehe die Regierung auch in einer Ausnahmesituation wie der jetzigen mit den Kantonen und weiteren Akteuren in regem Austausch. Lange Telefonate mit Kolleginnen und Kollegen aus St. Gallen waren für die Bundesrätin deshalb kein Novum – im Vergleich zu normalen Zeiten habe sich der Kontakt aber etwas intensiviert.

Keller-Sutter sprach darüber, wie unter Notrechtsbedingungen die Regierung in der ersten Pandemiewelle Verantwortung übernehmen und weitreichende Entscheidungen treffen musste, welche erst nachträglich vom Parlament genehmigt werden konnten. Die Regierungsvertreterin betonte: «Für mich als Justizministerin war die Wiederaufnahme des Parlamentsbetriebes ein erleichternder Moment.» Das Coronavirus heizte die Debatte um den Föderalismus nichtsdestotrotz stark und nachhaltig an. Aus der Politik und der Bevölkerung kam vermehrt Kritik auf, der Föderalismus sei einer Gesundheitskrise dieses Ausmasses schlicht nicht gewachsen: Es bestehe ein «Flickenteppich» aus Massnahmen, man reagiere zu langsam, zu träge und/oder zu wenig entschlossen, lassen sich die kritischen Stimmen zusammenfassen. Doch in der Diskussion verteidigte Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Föderalismus entschieden: «Reformen sind zwar wichtig und müssen diskutiert werden. Ein Auslaufmodell ist das föderale System aber nicht, vielmehr ist es nach wie vor ein zentraler Faktor für den Erfolg des Schweizer Modells.»

«Föderalismus und die direkte Demokratie sind auch in schwierigen Zeiten die Grundpfeiler des politischen Systems der Schweiz», sagte die Bundesrätin. © Universität Bern/Bild: Vera Knöpfel
«Föderalismus und die direkte Demokratie sind auch in schwierigen Zeiten die Grundpfeiler des politischen Systems der Schweiz», sagte die Bundesrätin. © Universität Bern/Bild: Vera Knöpfel

Verantwortungsbewusst und demütig durch die Krise

Als überzeugte Föderalistin reagierte sie auf die ihr im Frühjahr oft gestellte Frage, ob sie es als Regierungsmitglied gemocht habe, so viel Macht zu übernehmen, stets irritiert. Plötzlich so viel Einfluss auf das Leben der Schweizer Bevölkerung zu haben, habe bei ihr weder einen Machtrausch noch Angst ausgelöst. Die Last der Verantwortung müsse man in einer Führungsrolle wie der ihren tragen können. «Demut ist nötig, da viele Entscheide trotz weniger Informationen und vielen Unsicherheiten getroffen werden mussten», erklärte die Justizministerin. Sie versuche trotz der aktuellen Situation positiv in die Zukunft zu blicken: «Ich sehe das Glas halb voll.» Dennoch werde diese Krise mit hoher Wahrscheinlichkeit noch länger andauern. «Es widerstrebt mir, in die persönliche Freiheit der Menschen einzugreifen. Doch angesichts der Bedrohung der öffentlichen Gesundheit ist dies notwendig und gerechtfertigt», so Keller-Sutter.

«Der Bundesrat ist wie eine Wohngemeinschaft»

Zum Auftakt der Fragerunde erinnerte die Vorsteherin des Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) die Studierenden daran, dass im Einklang jedes Hindernis überwunden werden könne, COVID-19 sei in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Überraschenderweise nahm die Coronapandemie dann aber trotz der medialen Omnipräsenz der vergangenen Monate unter den Fragen der Studierenden eine zweitrangige Rolle ein. Angesprochen auf die kommende Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative stützte die magistrale Gastreferentin im Namen von Bundesrat und Parlament den Gegenvorschlag: «Obwohl die Landesregierung die Anliegen des Initiativkomitees teilt und für eine Stärkung der Menschenrechte und des Umweltschutzes einsteht, stellt die angestrebte Beweislastumkehr und die beabsichtigte Haftung ohne Eigenverschulden Grundprinzipien der liberalen Rechtsordnung in Frage», erklärte Keller-Sutter.

Als Antwort auf die Frage nach dem Einfluss von Lobbyismus innerhalb der Regierung betonte die Bundesrätin, dass dieser insbesondere im Bundesrat sehr gering ausfalle. Gleichzeitig erinnerte Karin Keller-Sutter die Zuhörerinnen und Zuhörer aber daran, dass kein Mensch frei von eigenen Überzeugungen sei und auch Bundesrätinnen und Bundesräte ihre persönlichen Prägungen im Arbeitsalltag einbringen. Eben diese Erfahrungen führten dazu, dass der Bundesrat «wie eine Wohngemeinschaft» arbeite – in welcher unterschiedliche Persönlichkeiten aus diversen Regionen und Sprachräumen gemeinsam einen mehrheitsfähigen Konsens finden müssten. Vor diesem Hintergrund sprach sich Keller-Sutter auch gegen eine Erhöhung der Mitgliederzahl des Bundesrates aus, da dies eine Gruppendynamik befeuern würde, welche die Funktionsweise des Gremiums gefährde.

Der Bundesrat arbeite «wie eine Wohngemeinschaft», in welcher unterschiedliche Persönlichkeiten aus diversen Regionen und Sprachräumen gemeinsam einen mehrheitsfähigen Konsens finden müssten, so die Justizministerin. © Universität Bern/Bild: Vera Knöpfel
Der Bundesrat arbeite «wie eine Wohngemeinschaft», in welcher unterschiedliche Persönlichkeiten aus diversen Regionen und Sprachräumen gemeinsam einen mehrheitsfähigen Konsens finden müssten, so die Justizministerin. © Universität Bern/Bild: Vera Knöpfel

Zusammenfassend stellte der Austausch mit Frau Bundesrätin Karin Keller-Sutter in Anbetracht der gegenwärtigen Rahmenbedingungen ein grosses Privileg dar. Dieser erlaubte den Studierenden, die Arbeitsweise und Funktion der Landesregierung aus der persönlichen Perspektive der Justizministerin zu betrachten – eine willkommene Abwechslung und praxisbezogene Ergänzung zu den theoretischen Grundlagen der Vorlesung.

Zur Autorenschaft

Micha Amstad (Politikwissenschaften und Soziologie), Rona Bolliger (Politikwissenschaften und Philosophie) und Kaspar Schwarzenbach (Geschichte und Politikwissenschaften) studieren im Master an der Universität Bern.

Zur Vorlesung «Politisches System der Schweiz I»

Im Mittelpunkt der jeweils im Herbstsemester stattfindenden Vorlesung stehen die politischen Akteure und Institutionen auf Bundes- und Kantonsebene, die politischen Entscheidungsprozesse auf den verschiedenen Staatsebenen sowie die vertiefte Betrachtung ausgewählter Politikfelder. Einmal pro Vorlesungszyklus lädt Prof. Dr. Adrian Vatter vom Institut für Politikwissenschaft eine Vertreterin oder einen Vertreter des politischen Systems für ein Referat mit Diskussion ein.

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