«Der Druck für nachhaltige Hochschulen steigt»

Eine Universität, die auch in Zukunft wettbewerbsfähig sein will, integriert die Werte der Nachhaltigkeit, sagt Anne Zimmermann, Berner Wissenschaftlerin und Präsidentin des Hochschulnetzwerks für transformatives Lernen und nachhaltige Entwicklung «COPERNICUS Alliance». Wie diese Transformation gelingt und qualitativ abgesichert werden kann, ist Thema am virtuellen «Higher Education Summit» vom 31. August bis 2. September 2020, den die Universität Bern mitorganisiert.

Interview: Gaby Allheilig 12. August 2020

Die Nachhaltigkeitsforschung stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Universität Bern, betont Anne Zimmermann. Bild: Laura Ebneter, CDE

«uniaktuell»: Frau Zimmermann, die europäischen Hochschulen, die wie die Universität Bern Mitglied der COPERNICUS Alliance sind, fordern, es brauche einen raschen und radikalen Wandel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung. Hochschulen haben sich in der Vergangenheit jedoch nicht gerade als Tempomacher für Veränderungen hervorgetan, sondern verharren bei ihren eigenen Strukturen und Prozessen oft in der Tradition. Wo verorten Sie als Präsidentin der COPERNICUS Alliance das Potenzial für einen radikalen Wandel in der Hochschulbildung?
Lange waren es tatsächlich nur einige wenige Hochschulen, die sich aufgrund einer intrinsischen Motivation bemühten, der Nachhaltigkeit nachzuleben und diese in ihre Tätigkeiten zu integrieren. Nach 40 Jahren Debatte über Nachhaltigkeit sind wir dank der UNO-Agenda 2030, der Klimajugend sowie globalen und nationalen politischen Entscheiden inzwischen so weit, dass die meisten Hochschulen nachhaltige Entwicklung auf ihre Prioritätenliste gesetzt haben. Wegen des Drucks, der von Politik und Gesellschaft, aber auch von den Studierenden kommt, müssen sie jetzt nachweisen, dass sie nachhaltig sind. So gesehen ist das Potenzial für den Wandel meines Erachtens bei vielen Hochschulen gross.

Reicht der Druck von aussen für einen echten Wandel oder betreibt man einfach «Greenwashing»?
Es gibt in fast allen Bereichen die Tendenz zum «Greenwashing». Hochschulen funktionieren da nicht viel anders. Aber ich denke, man kann sie dort packen, wo ihre Motivation stark ist: sich hervorheben und «besser» sein zu wollen als die andern – also im kompetitiven Denken. Es ist jedoch wichtig, diesen Playern genau zuzuhören, ihren Effort auch wirklich anzuerkennen, um dann neue, innovative Wege aufzuzeigen und gemeinsam mit ihnen ein erweitertes Verständnis der nachhaltigen Entwicklung zu entfalten.

Nach der erfolgreichen Online-Konferenz im Herbst 2019 hätte der Higher Education Summit 2020 dieses Jahr vor Ort an der Universität Bern stattfinden sollen – nun wird er erneut virtuell durchgeführt. Bild: COPERNICUS Alliance
Nach der erfolgreichen Online-Konferenz im Herbst 2019 hätte der Higher Education Summit 2020 dieses Jahr vor Ort an der Universität Bern stattfinden sollen – nun wird er erneut virtuell durchgeführt. Bild: COPERNICUS Alliance

Das heisst: Just den Wettbewerb nutzen, der im Nachhaltigkeitsdenken als kontraproduktiv gilt, um das Ziel der Nachhaltigkeit zu erreichen?
Ja, genau. Wir können es ja gar nicht anders vorantreiben. Denn die Hochschulen werden weiter auf der kompetitiven Schiene fahren wollen, solange man ihnen nicht zeigt, dass man wettbewerbsfähig bleibt, gerade weil man die Werte der Nachhaltigkeit integriert. Das haben an der Universität Bern die Forschenden im Bereich Klima, Nachhaltigkeit, Biodiversität, aber neuerdings auch in den Geisteswissenschaften – mit dem SNF Sinergia-Projekt «Ökologischer Imperativ» – gut begriffen.

Was ist an einem solchen Wandel radikal und rasch?
Ein radikaler Wandel ist tatsächlich nicht einfach, da er im Prinzip mit dem Konzept einer Universität nicht vereinbar ist. Die Tradition ist ja ein wesentlicher Teil der DNA einer Hochschule. Deshalb ist es sehr wichtig, das für die Nachhaltigkeit Relevante jeder Hochschule herauszukristallisieren und zu stärken. Wie rasch das geht, ist eine zentrale Frage. Denn eigentlich haben wir keine Zeit mehr. Bei den Diskussionen um die Klimaerwärmung kam der Druck für Veränderungen vor allem von den Studierenden. Jetzt ist es die Corona-Krise, die uns weltweit zu Veränderungen zwingt.

Daher lautet die Grundsatzfrage: Wollen wir uns von Krisen einfach verändern lassen oder wollen wir die Chance selber packen, um die nötigen Veränderungen in eine bestimmte Richtung zu steuern? Und wie sieht es nach der Krise aus: Fallen wir in alte Muster zurück, von denen man eigentlich wissen sollte, dass sie nicht funktionieren? Wir sind an einem Punkt, wo wir wahrscheinlich noch steuern können. Aber wir müssen es gemeinsam wollen. «Rasch» dürfte jetzt eher möglich sein, als wenn alles seinen normalen Gang genommen hätte. Die Corona-Krise ist ein brutaler Augenöffner; sie bietet die Chance, uns in die richtige Richtung zu bewegen.

Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung lässt sich nicht von «oben» bestimmen. Warum soll der Hochschulbildung dabei eine wichtige Rolle zukommen?
Für die nachhaltige Entwicklung sind Teilhabe und Selbstmotivation grundlegend. Wir alle müssen also bereit sein, stets weiter zu lernen, und nicht einfach «Wahrheiten» zu empfangen. In diesem Sinn sind Universitäten tolle Lernorte. Denn sie fördern ja das kritische Denken. Kritisches Denken ist auch ein wichtiger Bestandteil des transformativen Lernprozesses. Er kennzeichnet sich dadurch, dass man auch die eigenen Sichtweisen und Denkgewohnheiten hinterfragt. Aber zusätzlich zu diesem transformativen Lernen braucht es Wissen, damit wir auf der Basis von Fakten verantwortungsvoll Entscheide treffen können, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Dafür braucht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sowohl in ihrer Disziplin als auch inter- und transdisziplinär forschen. Diese Community wird massgeblich von Hochschulen genährt. Allerdings – und da komme ich auf den nötigen Wandel an den Universitäten zurück – müssen die Hochschulen bereit sein, eine Bildung anzubieten, die nicht nur Wissen und kritisches Denken vermittelt, sondern auch andere Kompetenzen fördert – von Selbstkompetenzen bis zu Leadership-Kompetenzen.

Werden da nicht vor allem «Eliten» angesprochen?
Nicht wenn wir Führungskompetenzen fördern, die verbunden sind mit der Empathie für andere Menschen und für die Umwelt. In der Bildung für nachhaltige Entwicklung spricht man von «servant leadership» als Ideal. Dieses ist nicht dazu da, um das eigene Ich, die Karriere oder Machtposition zu stärken, sondern es ist auf die Interessen der Gemeinschaft ausgerichtet.

In diesem Sinn braucht es Menschen, die fähig sind, wissenschaftlich zu denken und Dinge zu erforschen, die für das Weiterkommen der Gesellschaft dienlich sind – aber es geht nicht darum, eine herrschende Elite zu formen. Denn wenn Universitäten sich rein elitär verstehen und den Fokus nur auf exzellentes Wissen legen, das einen hohen Marktvorteil verschafft – wenn sie sich also das Wissen nur losgelöst von der Wertebasis und dem Bezugsrahmen vorstellen können, den Umwelt und Gesellschaft darstellen –, werden sie ihren Nachhaltigkeitsauftrag definitiv nicht erfüllen können.

Diese Studierenden am Institut für Marketing und Unternehmensführung der Universität Bern haben sich vergangenen Winter in einem Praxisprojekt mit nachhaltigem Konsumverhalten auseinandergesetzt. Bild: Universität Bern, Vera Knöpfel

An der Konferenz werden vorwiegend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teilnehmen. Wie setzt die Copernicus Alliance den Anspruch des transformativen Lernens um, andere Akteure zu Mitforschenden und Mitlernenden zu machen?
Mit der Konferenz wollen wir verschiedene Partner und Zielgruppen ansprechen. Eine davon ist die Zivilgesellschaft. Deshalb planten wir in Bern beispielsweise Exkursionen zu Nachbarschaftsinitiativen, Solidarlandwirtschaft etc. Corona-bedingt mussten wir auf virtuelle Formate – in diesem Fall Videos – umstellen. Auch die Partnerinnen und Partner aus diesen zivilgesellschaftlichen Initiativen können dann virtuell an der Konferenz teilnehmen. Das ist uns sehr wichtig, denn wenn wir als Community nur mit uns selbst diskutieren, können von aussen keine Innovationen einfliessen und die Relevanz unserer Arbeit ist weniger hoch.

Die Uni Bern fördert die nachhaltige Entwicklung in der Lehre aller Disziplinen. Am Centre for Development and Environment (CDE) gestalten Sie und ein Team die entsprechenden Förderinstrumente mit. Was sind die Highlights und wo liegen die Schwierigkeiten?
Wir haben von der Universität Bern ein Mandat, die Dozierenden aller Disziplinen darin zu unterstützen, Nachhaltigkeit in ihre Lehre zu integrieren. Laut Leistungsauftrag sollten pro Studienprogramm mindestens zwei Stunden der Nachhaltigkeit gewidmet sein. Viele Fachvertretende erachten dies jedoch als unmöglich – vor allem wegen des tief verankerten disziplinären Denkens, aber auch aus strukturellen Gründen.

Diese Studierenden am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern haben sich vergangenen Winter mit der Rolle der Kunst im Anthropozän beschäftigt. Bild: Universität Bern, Vera Knöpfel
Diese Studierenden am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern haben sich vergangenen Winter mit der Rolle der Kunst im Anthropozän beschäftigt. Bild: Universität Bern, Vera Knöpfel

Was sprechen Sie damit an?
Es geht ums Geld: Alle sind gezwungen zu beweisen, dass ihr Fach sehr wichtig ist, um die angestrebten Ressourcen zu erhalten. Wenn etwas anderes wie die Nachhaltigkeit dazukommt, führt das verständlicherweise zu Widerstand. Ferner befürchten etliche Dozierende, dass ihre Freiheit in Lehre und Forschung eingeschränkt würde. Das ist zwar keineswegs der Fall – aber es ist an uns, ihnen das aufzuzeigen.

Und die Highlights?
Der Prozess und die Begegnungen mit Dozierenden und Forschenden sind äusserst spannend: Im Gespräch stellt sich oft heraus, dass sie Dinge untersuchen und lehren, die für die nachhaltige Entwicklung sehr relevant sein können. So ist es etwa in den Literaturwissenschaften möglich, verschiedene Narrative zu analysieren und aufzuzeigen, wie diese unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen. Für die Modellierung von Zukunftsszenarien wie beim Klima zeigt sich wiederum, dass wir eminent auf mathematische Innovationen angewiesen sind. Ich behaupte: Es ist in jedem Fach möglich, Bezüge zur Nachhaltigkeit herzustellen. Das gilt es in die Lehre zu integrieren. Ein weiteres Highlight ist, dass unsere Vorgehensweise international Beachtung findet und neue Netzwerke entstehen. Ich bin sehr dankbar, dass wir darin von Silvia Schroer, der Vizerektorin Qualität der Universität Bern, stark unterstützt werden.

Zum Higher Education Summit 2020

Nach der Online-Konferenz 2019 hätte der Higher Education Summit 2020 (#HES2020) an der Universität Bern als «face-to-face meeting» stattfinden sollen. Wegen der Pandemie findet er erneut online statt. Organisiert wird die Konferenz von der COPERNICUS Alliance, den Universitäten Bern und Lausanne, der Schweizerischen Akademischen Gesellschaft für Umweltforschung und Ökologie (saguf) sowie dem Network for Transdisciplinary Research der Akademien der Wissenschaften Schweiz (td-net). Der Anlass wird von der Universität Bern im Rahmen des Mandats zur Bildung für nachhaltige Entwicklung massgeblich getragen.

COPERNICUS Alliance

Die COPERNICUS Alliance ist ein europäisches Netzwerk von Hochschulen, die sich dem transformativen Lernen und dem Wandel für eine nachhaltige Entwicklung verschrieben haben. Ihr Ziel ist es, gemeinsam mit den Hochschulen und deren Partner Herausforderungen im Bereich der Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung zu identifizieren und diese aus der Perspektive der Institutionen anzupacken. Mitglieder der Allianz sind aktuell 21 Institutionen, wovon die meisten Universitäten sind, sowie fünf Einzelpersonen. Die COPERNICUS Alliance fördert den Austausch mit politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sowie mit Interessensgruppen aus Gesellschaft und Wirtschaft auf europäischer und globaler Ebene. Sie setzt sich nachdrücklich dafür ein, den ökologischen Fussabdruck ihrer Aktivitäten zu verringern.

zur Person

Dr. Anne Zimmermann leitet zusammen mit Dr. Karl Herweg das Education for Sustainable Development Cluster am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern und unterstützt das Vizerektorat Qualität bei der Integration von Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Lehrpläne aller Fakultäten. Sie doktorierte in Englischer Sprach- und Literaturwissenschaft und fokussierte sich in ihrer akademischen Laufbahn auf die Integration von nachhaltiger Entwicklung in Forschung und Lehre. Sie ist Präsidentin der COPERNICUS Alliance.

zur Autorin

Gaby Allheilig ist Kommunikationsverantwortliche beim Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern.

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