WTO: Ein Weg aus der Krise?

Die Welthandelsorganisation (WTO) befindet sich in einer fundamentalen Krise. Welche Rolle spielt die USA dabei? Anfang Februar organisiert das World Trade Institute (WTI) der Universität Bern in Genf bei der WTO eine Konferenz zum Thema.

Von Lisa Fankhauser 04. Februar 2019

Seit 1995 regelt das Recht der Welthandelsorganisation (WTO) den internationalen Handel von Gütern, Dienstleistungen und geistigem Eigentum zwischen ihren Mitgliedern. Die WTO bietet einen Rahmen für das Verhandeln von Handelsabkommen sowie einen Prozess zur Lösung von Streitigkeiten an. Die Streitschlichtung (Dispute Settlement) zwischen den WTO-Mitgliedern ist die zentrale Säule, auf der das multilaterale Handelssystem aufbaut – sie unterstützt die Stabilität der Weltwirtschaft. Das Berufungsgremium (Appellate Body) amtet als eine Art Handelsgericht und behandelt die Streitfälle. Die Streitschlichtung wird von sämtlichen 164 WTO-Mitgliedern als erfolgreich erachtet – ausser neuerdings von den USA: Dies hat die WTO in eine ernsthafte, existentielle Krise gestürzt.

Seit 1995 regelt das Recht der WTO den internationalen Handel von Gütern, Dienstleistungen und geistigem Eigentum zwischen ihren Mitgliedern. Bild: pixabay.com
Seit 1995 regelt das Recht der WTO den internationalen Handel von Gütern, Dienstleistungen und geistigem Eigentum zwischen ihren Mitgliedern. Bild: pixabay.com

Blockade von Berufungen

Die Kritik der derzeitigen US-Administration an der WTO ist kein ganz neues Phänomen: Schon unter früheren Präsidenten wurde die Streitschlichtung und insbesondere das Berufungsgremium kritisiert. Neuerdings blockieren die USA die Ernennung von Richterinnen und Richtern des Berufungsgremiums. Dies ist möglich, weil Berufungsverfahren von Richterinnen und Richtern von allen WTO-Mitgliedern einstimmig beschlossen werden müssen und jedes Mitglied damit über ein Vetorecht verfügt. Mittlerweile amten nur noch drei statt der vertraglich vorgesehenen sieben Mitglieder des Berufungsgremiums. «Indem die Stellen der ausscheidenden Mitglieder des Appellate Body nicht neu besetzt werden, wird das gesamte WTO-System in seinem Bestand gefährdet», sagt Michael Hahn, Direktor des Instituts für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht und Direktor am World Trade Institute (WTI) der Universität Bern.

Berufungsgremium bald nicht mehr funktionsfähig?

Die Lage spitzt sich zu: Ende 2019 wird das Berufungsgremium nur noch aus einer Richterin bestehen, da für die bis dahin ausscheidenden Mitglieder des Appellate Body wegen des Vetos der USA keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger ernannt werden können. «Damit wird das Berufungsgremium nicht mehr funktionieren, da alle Fälle von drei Richtern entschieden werden müssen. Wenn das tatsächlich so passiert, verliert das Streitschlichtungssystem seine befriedende Funktion – denn unterliegt ein Staat in der ersten Instanz, kann er Berufung in dem Wissen einlegen, dass die Berufungsinstanz derzeit nicht existiert. Durch die Berufungseinlegung wird jedoch verhindert, dass der Bericht der ersten Instanz Rechtskraft erlangt», erklärt Hahn weiter. 

Die Lage spitzt sich zu: Ende 2019 wird das Berufungsgremium der WTO nur noch aus einer Richterin bestehen, da für die bis dahin ausscheidenden Mitglieder des Berufungsgremiums wegen des Vetos der USA keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger ernannt werden können. © WTO
Die Lage spitzt sich zu: Ende 2019 wird das Berufungsgremium der WTO nur noch aus einer Richterin bestehen, da für die bis dahin ausscheidenden Mitglieder des Berufungsgremiums wegen des Vetos der USA keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger ernannt werden können. © WTO

Die Angst vor China

«Die WTO-Krise ist auch Ausdruck des aus der Sicht der USA und vieler anderer Staaten gescheiterten Versuchs, China in das regelbasierte System der Welthandelsorganisation zu integrieren», so Hahn. Für die USA stelle China eine ernstzunehmende Konkurrenz im Kampf um die ökonomische, geopolitische und militärische Vormachstellung dar. Viele chinesische Produkte werden vom Staat subventioniert und von Staatsbetrieben produziert. Ein Streitpunkt zwischen den USA und dem Berufungsgremium ist beispielsweise, dass letzteres den Begriff Staatsbetrieb enger versteht, als dies die USA tun. Die USA zählen sämtliche Betriebe, die im Eigentum des Staates stehen oder von diesem kontrolliert werden dazu, wohingegen das Berufungsgremium nur Betriebe, die staatliche Funktionen ausüben, unter diesen Begriff fassen. Aus diesem Grund sah der Appellate Body chinesische Stahlunternehmen nicht als Staatsbetriebe an, was in westlichen Staaten angesichts der Kontrolle von Partei und Staat über alle Lebensbereiche vielfach Überraschung auslöste.

Das Berufungsgremium der WTO sieht chinesische Stahlunternehmen nicht als Staatsbetriebe an, was in westlichen Staaten angesichts der Kontrolle von Partei und Staat über alle Lebensbereiche vielfach Überraschung auslöste – die USA verhängten auf chinesischen Stahl Strafzölle. Bild: pixabay.com
Das Berufungsgremium der WTO sieht chinesische Stahlunternehmen nicht als Staatsbetriebe an, was in westlichen Staaten angesichts der Kontrolle von Partei und Staat über alle Lebensbereiche vielfach Überraschung auslöste – die USA verhängten auf chinesischen Stahl Strafzölle. Bild: pixabay.com

Reformvorschläge der EU

Auch andere WTO-Mitglieder sehen Verbesserungspotential für das Streitschlichtungssystem: So unterbreitete die EU Ende 2018 zusammen mit WTO-Mitgliedern Reformvorschläge, um einerseits die von den USA geäusserten Bedenken anzugehen, andererseits aber das insgesamt höchst erfolgreiche System zu erhalten. «Mit diesen Vorschlägen hat die EU den Ball an die USA zurückgespielt – damit sich diese in den Verhandlungen einbringen und aktuelle Probleme gelöst werden können», sagt Hahn. Aber die USA wiesen die Vorschläge zurück, ohne indes zu erklären, wie ein Ausweg aus der Krise gefunden werden könnte. Die überwältigende Mehrheit der WTO-Mitglieder hält an der regelbasierten Streitschlichtung fest und sieht diese als Schlüsselelement des regelbasierten multilateralen Handelssystems an: Dieses System beruht auf definierten Regeln und nicht auf politischer Macht.

Diskussion neu ausrichten

Die aktuelle Debatte zur WTO ist von technischen Details geprägt und scheint verfahren. Deshalb organisiert das World Trade Institute (WTI) der Universität Bern eine Konferenz, um die Diskussion voran zu bringen. Anlässlich dieser Veranstaltung vom 4. Februar 2019 werden vier grundlegende Probleme thematisiert: 

•    Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter; 
•    die Balance von schneller und sachangemessener Entscheidungsfindung; 
•    die Sicherstellung des Beitrags der Streitschlichtung zur Sicherheit und Vorhersehbarkeit des multilateralen Handelssystems;
•    die Frage, ob die Streitschlichtung durch die WTO einen nützlichen Beitrag zu Rechtsgrundsatz und der Entwicklung von internationalem Recht geleistet hat.

Teilnehmen an der Konferenz werden die Delegationschefinnen und -chefs der WTO-Mitglieder, Rechtsexpertinnen und -experten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Schweiz und dem Ausland. «Wir hoffen, dass wir einen kleinen Beitrag zur Versachlichung der aktuellen Debatte und vielleicht sogar zur Lösungsfindung leisten können», erklärt Hahn. Deswegen habe man die Konferenz so schnell wie möglich organisiert. Sie wird der Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen sein, die sich mit der WTO-Thematik befasst. «Die WTO begrüsst diese Konferenz und das Engagement des WTI in dieser wichtigen Diskussion sehr. Wir sollten aber auch nicht übersehen, dass das Thema uns als kleines exportstarkes Land im Herzen Europas ganz besonders betrifft», schliesst Hahn.

World Trade Institute (WTI)

Das World Trade Institute der Universität Bern ist ein interdisziplinäres Zentrum, welches zu internationalen Handels- und Investitionsfragen sowie Nachhaltigkeit forscht. Darüber hinaus bietet es Lehre und Ausbildung zu Themen der wirtschaftlichen Globalisierung an.
Weitere Informationen: www.wti.org

Zur Person

Prof. Dr. Michael Hahn LL.M. ist seit 2015 Direktor des Instituts für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht und Direktor am World Trade Institute. Michael Hahn war zuvor Inhaber des Lehrstuhls für Europarecht und Direktor des LL.M.-Programms für Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Lausanne. Von 2005-2008 war er ordentlicher Professor an der University of Waikato School of Law in Hamilton (Neuseeland). Er ist weiterhin Assoziierter Professor (Honorary Professor) in Waikato sowie Adjunct Professor an der Murdoch University Law School, Perth (Australien) und ständiger Gastdozent am Europainstitut Saarbrücken.


Kontakt:

Prof. Dr. Michael Hahn
Universität Bern, Institut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht/World Trade Institute
E-Mail: michael.hahn@iew.unibe.ch

 

Zur Autorin

Lisa Fankhauser arbeitet als Redaktorin bei der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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