«Wir wollen die Grenzen zwischen Religion und Wissenschaft neu verhandeln»

Interdisziplinarität wird an der Uni Bern grossgeschrieben. Denn wichtige Fragen lassen sich heute nur beantworten, wenn die Disziplinen zusammenspannen. Im Falle des «CSH Science and Religion Forum» tun dies die Weltraumforschung, Theologie und Philosophie. An der internationalen Konferenz Anfang November beschäftigen sie sich gemeinsam mit den Grenzen zwischen Naturwissenschaften, Religion und Philosophie.

Von Brigit Bucher 28. Oktober 2019

Dieses Jahr findet zum ersten Mal das «CSH Science and Religion Forum» statt. Die 2-tägige internationale Konferenz bringt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen zusammen und beschäftigt sich dieses Jahr mit der Frage «Limits of Science – Opportunities for Religion?».

In Vorträgen von internationalen Fachleuten werden Fragen behandelt wie: Wann wird Wissenschaft zur Religion? Lässt die physikalische Kosmologie Raum für religiöse Erklärungsansätze? Wo treffen sich Sozialanthropologie und Religion?

Religion und Wissenschaft: Gegensätze oder Kooperationspartner?

Die interdisziplinäre Veranstaltung wird organisiert vom Center for Space und Habitability CSH in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie und dem Institut für Praktische Theologie der Universität Bern.

Dr. Jessica Lampe, Center for Space and Habitability (CSH) und Institut für Praktische Theologie
Dr. Jessica Lampe, Center for Space and Habitability (CSH) und Institut für Praktische Theologie. © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Bereits im Titel des diesjährigen Forums «Limits of Science – Opportunities for Religion?» klingt an, dass Wissenschaft und Religion oft als widersprüchlich empfunden werden. Jessica Lampe, Organisatorin des Forums und Forscherin sowohl am CSH als auch an der Theologischen Fakultät, sagt: «Ziel des Forums ist es, Themen von gemeinsamem Interesse zu identifizieren und die Grenzen zwischen Wissenschaft und Religion neu zu verhandeln.»

Wo also sind die Grenzen der Naturwissenschaften und inwieweit sind Philosophie oder Theologie in der Lage, Fragen zu beantworten, die jenseits des Beschäftigungsbereichs der Naturwissenschaften liegen? 

Prof. Dr. Isabelle Noth, Institut für Praktische Theologie
Prof. Dr. Isabelle Noth, Institut für Praktische Theologie © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Die Welt, ihr Werden und Entstehen erklären zu müssen, von diesem Anspruch habe sich die universitäre Theologie befreien können, sagt Isabelle Noth vom Institut für Praktische Theologie und Mitorganisatorin des Forums. «Theologie befasst sich mit der grundlegenden Frage, der sich niemand entziehen kann, nämlich, wie wir uns zur Welt verhalten wollen. Wie ich mich als Mensch verstehen und sinnvoll leben kann.» Simpel auf den Punkt gebracht, suchten die Naturwissenschaften nach Erklärungen für die Welt, und die Theologie beschäftige sich damit, was Glaube im Sinne einer konkreten Einstellung zum Leben bedeutet und welche Orientierungsleistung die verschiedenen Glaubensprägungen bieten, um in eben dieser Welt zu existieren. 

Prof. Dr. Kevin Heng, Center for Space and Habitability (CSH)
Prof. Dr. Kevin Heng, Center for Space and Habitability (CSH) © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Kevin Heng, Direktor des CSH, sagt: «Es gibt meiner Meinung nach ein grundsätzliches Missverständnis: nicht nur wird erwartet, dass die Naturwissenschaften sämtliche Fragen beantworten können, sondern auch, dass sie diese Fragen einmalig und abschliessend beantworten.» So funktioniere Wissenschaft jedoch nicht. «Wenn neue Daten zur Verfügung stehen, werden auch Antworten umgestossen, neu formuliert oder weiterentwickelt.» In diesem Sinn sei Wissenschaft immer ein iteratives Unterfangen, eines also, bei dem man sich nach und nach einer Lösung nähert, indem man bestehende Lösungsansätze immer wieder hinterfrage. «Heute gibt es in allen Disziplinen hochspezialisierte Fachleute», so Heng weiter. Die Disziplinen hätten sich in der Vergangenheit  aber so weit voneinander entfernt, dass er sich nicht mehr sicher sei, ob die Fachleute Fachsprachen aus anderen Disziplinen überhaupt noch verstehen. «Wir wollen Expertinnen und Experten im Forum zusammenbringen, um herauszufinden, in welchen Bereichen es sich lohnt, gemeinsam Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen.»

Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart, Institut für Philosophie
Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart, Institut für Philosophie © Universität Bern, Bild: Vera Knöpfel

Die zunehmende Spezialisierung der Wissenschaften, aber auch ihre Überwindung in interdisziplinärer Zusammenarbeit sind wichtige Themen der Wissenschaftsphilosophie, so Claus Beisbart vom Institut für Philosophie. «Überhaupt schaue ich mir als Wissenschaftsphilosoph die anderen Disziplinen an, um zu verstehen, was die wichtigen Methoden und Resultate sind», erklärt er.  Über die Zusammenarbeit von Weltraumforschung, Philosophie und Theologie sagt er: «Themen wie die Suche nach Leben im Universum werden auch in der Philosophie heiss diskutiert, weil es Unsicherheiten und methodologische Herausforderungen gibt. Ausserdem würde die Entdeckung von ausserirdischem Leben vermutlich unser Selbstverständnis verändern.  Dieses wird in Theologie und Philosophie thematisiert. Die Weltraumforschung muss hier sicherlich eine empirische Basis liefern, aber sie beschäftigt sich nicht mit Fragen von Selbstverständnis und Sinn, so wie dies die Theologie und die Philosophie tun.»

Voneinander lernen anstatt aneinander vorbei zu reden

Kevin Heng betont, dass wir in einer komplexen und oft gespaltenen Welt leben, in der die Menschen dazu tendieren, aneinander vorbei zu sprechen und nach kurzfristigen Antworten auf Fragen zu suchen, die auf die es eben keine einfachen und eindeutigen Antworten gäbe. «Natürlich gibt es Fragen, die ausserhalb des Bereichs der Naturwissenschaften liegen, wo sich eben Spekulationen und Meinungen einschleichen», so Heng weiter. Das langfristige Ziel des Forums sei, eben diese Grenze auszuloten und zu lernen, damit umzugehen. Jessica Lampe ergänzt: «Indem wir verschiedene Disziplinen in einen Dialog bringen, wollen wir erreichen, dass man voneinander lernt anstatt aneinander vorbeispricht».

Öffentlicher Vortrag von Prof. Dr. Eugen Drewermann im Rahmen des «CSH Science and Religion Forum»

Mittwoch, 6. November 2019, 19.30 Uhr Aula, Hauptgebäude Universität Bern, Hochschulstrasse 4, 3012 Bern Anmeldung nicht erforderlich, Eintritt frei

Im Rahmen der Veranstaltung «CSH Science and Religion Forum» zum Thema «Limits of Science – Opportunities for Religion?» findet ein öffentlicher Vortrag von Theologe und Schriftsteller Prof. Dr. Eugen Drewermann unter dem Titel «Religion und Wissenschaft» statt.

Drewermann ist einer der bekanntesten und profiliertesten Theologen und Schriftsteller im deutschen Sprachraum. Seine Werke umfassen ein breites Spektrum von Tiefenpsychologie, Bibelexegese, Märcheninterpretationen, Friedens- und Tierethik bis Naturwissenschaften, Technik und Literatur.

Begrüssung durch Prof. Dr. Isabelle Noth vom Institut für Praktische Theologie der Universität Bern.

Über das «CSH Science and Religion Forum»

Das «CSH Science und Religion Forum» bringt einmal im Jahr Expertinnen und Experten aus den Naturwissenschaften, der Philosophie und der Theologie zusammen, um konstruktive, interdisziplinäre Diskussionen zu einem breiten Themenspektrum zu führen. Die Veranstaltung ist eine Zusammenarbeit an der Universität Bern zwischen dem Center for Space and Habitability (CSH) und den Instituten für Philosophie und für Praktische Theologie. Die diesjährige Ausgabe des «CSH Science und Religion Forum» konzentriert sich auf die vier Bereiche Kosmologie, Werte, den Sinn des Lebens und persönliche Standpunkte sowie angewandte sozialwissenschaftliche Forschung, die sich mit Religion auseinandersetzt.

Weitere Informationen: https://www.csh.unibe.ch/forum

Zur Autorin

Brigit Bucher arbeitet als Leiterin Media Relations und ist Themenverantwortliche «Space» in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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