«Vielleicht ist Leben überall»

Ignas Snellen wurde mit dem höchstdotierten Preis der Universität Bern ausgezeichnet: Der Astrophysiker hat mit dem Hans-Sigrist-Preis 100'000 Franken mehr für seine Exoplanetenforschung zur Verfügung. «uniaktuell» konnte am traditionellen Interview der Hans-Sigrist-Stiftung teilnehmen.

Als Achtjähriger blickte Ignas Snellen durch sein erstes eigenes Teleskop in den Weltraum: «Ich habe es geliebt und wollte das mein ganzes Leben lang machen.» Inzwischen ist der niederländische Astronomieprofessor fast 50 und ein gefragter Experte in der Erkundung von Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems. Etwa sieben Jahre muss Snellen noch warten, bis ihm ein ungleich grösseres Fernrohr seine vielleicht hellsten Sternstunden bescheren kann. Dann soll in der chilenischen Atacama-Wüste ein neues Teleskop fertig gebaut sein: das weltweit grösste seiner Art. Es heisst ganz offiziell «Extremely Large Telescope». So abgespaced Weltraumforschung sein mag, der Humor gibt sich als recht irdisch zu erkennen. Snellen, der sowieso ganz gerne lacht, nennt das ELT «ein riesiges Biest».

Prof. Dr. Ignas Snellen bringt seinem Publikum am Hans-Sigrist-Symposium die Expolanetenforschung näher. © Universität Bern / Bild: Ramon Lehmann
Prof. Dr. Ignas Snellen bringt seinem Publikum am Hans-Sigrist-Symposium die Expolanetenforschung näher. © Universität Bern / Bild: Ramon Lehmann

Das aufregendste Thema der Astrophysik

Dabei wusste der Niederländer lange nicht, dass es ihn in die Exoplanetenforschung verschlagen würde. Mit einem PhD in der Tasche forschte er in Cambridge als Postdoc weiter über Galaxien, ging nach Edingburgh und dann – vielleicht lag es an den gigantischen Weiten der zwei Billionen Galaxien, die jeweils aus vielen Milliarden Sternen bestehen – geriet seine Forschungsarbeit «ein bisschen ins Stocken. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ob ich überhaupt mit der Forschung weitermachen wollte.» In dieser Art Schwebezustand befand sich der damals Dreissigjährige, als er per Zufall gefragt worden sei, einen Workshop zur Exoplanetenforschung zu organisieren. «Dadurch erfuhr ich von den fantastischen Dingen, mit denen sich diese Leute beschäftigen, und merkte, dass ich es mit dem aufregendsten Thema in der Astrophysik zu tun bekam. Ich dachte: Okay, das ist, was ich machen will.»

Aus dieser Erfahrung heraus rät Snellen jungen Menschen, die noch nicht wissen, was sie studieren wollen, «ihrem Herzen zu folgen». Solchen, die mit einem Studium der Weltraumwissenschaften liebäugeln, sagt er: «Mach, was dich am meisten interessiert, und lass dich dabei nicht von Leuten beeinflussen, die sich sorgen, was für einen Job du damit später mal bekommen könntest». Auch wenn sich am Ende keine akademische Karriere ergeben sollte: die zurzeit rund 100 Master-Studierenden der Astrophysik an der Universität Leiden bekämen «überall und auf Anhieb einen Job». Tatsächlich sei die Zahl der Bachelor- und Masterstudierenden in diesem Fach in den letzten Dekaden enorm gestiegen.

«Unser Hauptziel ist, andere Erden zu finden»

Zurück in die Atacama-Wüste in Chile: Mit dem «Extremely Large Telescope» wird es möglich sein, das von Snellen entwickelte Verfahren anzuwenden, für das er gerade mit dem Hans-Sigrist-Preis ausgezeichnet wurde. Darum gebeten, seine Forschung in möglichst einfachen Worten zu erklären, sagt der unprätentiöse Preisträger: «Unser Hauptziel ist, andere Erden zu finden und zu schauen, ob es auf ihnen Leben geben könnte.» Sein Verfahren erlaubt es, Moleküle in den Atmosphären der sehr, sehr weit entfernten Exoplaneten eindeutig zu identifizieren; das heisst auch solche Teilchen, mit denen in Zukunft ein wissenschaftlicher Nachweis von ausserirdischem Leben gelingen kann, zum Beispiel anhand von molekularem Sauerstoff.

Prof. Dr. Ignas Snellen wurde am Dies academicus am Samstag, 7. Dezember 2019 mit dem Hans-Sigrist-Preis ausgezeichnet. © Universität Bern / Bild: Manu Friederich

Snellens Technik funktioniert über das Licht, das die Moleküle absorbieren. Die Wellenlängen des absorbierten Lichts hängen von der Art der Moleküle ab – Sauerstoff weist andere Wellenlängen auf als beispielsweise Stickstoff – und können mit sehr hoher Genauigkeit gemessen werden. Das Messergebnis sei wie ein Fingerabdruck oder Barcode des Moleküls: unverwechselbar.

Snellen und sein Team arbeiten zurzeit daran, diese Messungen auf einer noch feineren Ebene durchführen zu können, nämlich auf Ebene der Isotope (dabei handelt es sich um eine Atomart, deren Atomkerne gleich viele Protonen, aber unterschiedlich viele Neutronen haben). Würde auf diese Weise in gar nicht so ferner Zukunft Sauerstoff in der Atmosphäre eines Exoplaneten nachgewiesen werden, wäre dies zwar noch kein Beweis für Leben auf diesem Himmelskörper, aber schon mal ein guter Grund, genauer hinzuschauen. «Dazu müssten wir noch weitere Gase messen und versuchen, die Geschichte des Planeten zu verstehen, um zu unterscheiden, ob der Sauerstoff auf Leben oder andere chemische Prozesse zurückgeführt werden kann. Deshalb ist unser Ziel zunächst einmal nur, Sauerstoff messen zu können.»

Wie selten ist Leben?

Glaubt Ignas Snellen persönlich an die Existenz ausserirdischen Lebens? Für ihn ist das vor allem eine philosophische Frage. Einerseits sei es wahrscheinlich, dass es erdähnliche Planeten in einer so grossen Zahl gebe, dass sie unser Vorstellungsvermögen sprenge. Von einem wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet wäre es also sehr seltsam anzunehmen, dass der Mensch das einzige Lebewesen im Universum sei. Die Frage sei vielmehr, wie selten Leben vorkomme und welche Bedingungen es genau zum Entstehen benötige – beispielsweise ein über viele Milliarden Jahre relativ konstantes Klima. «Diese und andere Fragen könnten wir heute noch nicht ausreichend beantworten. Vielleicht ist Leben überall und wir werden es auf dem uns nächsten Exoplaneten Proxima b entdecken» (wenn die Teleskope der neuen Generation in Betrieb sind). Leben könnte aber auch sehr selten sein und daher in hundert Jahren schwerlich entdeckt werden. Vielleicht gelinge es aber, innerhalb der nächsten Jahrzehnte nachzuweisen, dass es auf dem Mars in früheren Zeiten Leben gegeben habe. Vorstellbar sei ausserdem, dass es in den Ozeanen auf einem der Jupitermonde sehr simple Formen von Leben gebe. Wenn wir wüssten, dass es in unserem eigenen Sonnensystem ausserirdisches Leben gibt oder zumindest gab und dieses Leben einen anderen Ursprung als das Leben auf der Erde hat, «wüssten wir, dass es auch innerhalb der Milchstrasse extrem verbreitet sein muss.»

Neun Personen erhielten am Dies academicus 2019 einen akademischen Preis. Hinten v.l.n.r.: Dr. Oliver Felix Biner, Rektor Prof. Dr. Christian Leumann, Prof. Dr. Ignas Snellen, Dr. Clau Dermont, Prof. Dr. Thomas Frölicher. Vorne v.l.n.r.: Prof. Dr. Franck Forterre, Prof. Dr. Caroline Frey, Dr. Cristina Höhener, Dr. Nora Merete Gerhards, Simon Scheurer. © Universität Bern / Bild: Manu Friederich
Neun Personen erhielten am Dies academicus 2019 einen akademischen Preis. Hinten v.l.n.r.: Dr. Oliver Felix Biner, Rektor Prof. Dr. Christian Leumann, Prof. Dr. Ignas Snellen, Dr. Clau Dermont, Prof. Dr. Thomas Frölicher. Vorne v.l.n.r.: Prof. Dr. Franck Forterre, Prof. Dr. Caroline Frey, Dr. Cristina Höhener, Dr. Nora Merete Gerhards, Simon Scheurer. © Universität Bern / Bild: Manu Friederich

Über Ignas Snellen

Prof. Dr. Ignas Snellen

Geb. 1970 in Geldrop, Niederlande
1993: Undergraduate Degree in Astronomie, Leiden University, Niederlande
1997: Ph.D. in Astronomie, Leiden University, Niederlande
1997 – 2000: Postdoctoral Researcher, University of Cambridge, UK
2000 – 2004: University Lecturer, Astronomy, University of Edinburgh, UK
2004 – 2009: Assistant Professor für Astronomie, Leiden University, Niederlande
2009 – 2012: Associate Professor für Astronomie, Leiden University, Niederlande
Seit 2012: Professor für Astronomie, Leiden University, Niederlande

Zur Webseite von Ignas Snellen

DER HANS-SIGRIST-PREIS

Den Hans-Sigrist-Preis erhielt Prof. Dr. Ignas Snellen auf Initiative des Centers for Space and Habitability CSH. Der Hans-Sigrist-Stiftungsrat legt jedes Jahr aus verschiedenen Vorschlägen das Wissenschaftsgebiet fest, aus welchem eine international zusammengesetzte Expertenkommission Forschende aus dem In- und Ausland nominiert. Der Stiftungsrat entscheidet schliesslich über die Vergabe. Das Preisgeld kann die Gewinnerin oder der Gewinner im Rahmen des Forschungszieles nach freiem Ermessen verwenden.

ZUR AUTORIN

Nina Jacobshagen arbeitet als Redaktorin Corporate Publishing in der Abteilung Kommunikation & Marketing der Universität Bern.  

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