Das Milizsystem – Jenseits von Parteipolitik und grossen Würfen
Dass das Milizsystem auf Gemeindeebene nur wenig mit dem Milizparlament auf Bundesebene zu tun hat, wird an diesem Abend rasch klar. Die Gemeindepolitikerinnen und Gemeindepolitiker streben keine grossen Reformen an, sondern versuchen, die Welt im Kleinen zu verändern. So berichtet Priska Seiler Graf, Nationalrätin und Stadträtin von Kloten, wie sie sich zu Beginn ihrer Laufbahn für eine Kette eingesetzt hat, die den Fahrradweg von der Strasse trennen soll. Kein grosser Wurf, aber eine wirksame Massnahme, auf die sie bis heute stolz ist.
Auch die Zusammenarbeit in der Gemeinde verläuft anders als auf Bundesebene. Wahlkampftaktische Entscheide sind schon längst überwunden, Parteiideologien nur ungern gesehen. Diejenigen, die sich noch für ein Milizamt entscheiden, arbeiten lieber mit- als gegeneinander. Ihre Herangehensweise an Probleme ist pragmatisch und lösungsorientiert. Eine parteipolitische Färbung lässt sich in der Diskussion der Gemeindepolitikerinnen und Gemeindepolitiker kaum noch erkennen. Das liegt auch daran, dass ein Grossteil der Miliztätigen gar keiner Partei mehr angehört.
Die Milizpolitik als Auslaufmodell
73 Prozent weniger Miliztätige als 1997 – mit dieser bemerkenswerten Veränderung konfrontiert Markus Freitag das Publikum gleich zu Beginn des Anlasses. Die Bereitschaft, ein politisches Amt zu übernehmen, scheint in der Bevölkerung zunehmend zu schwinden. Gründe dafür untersucht das Autorenteam in seinem neuen Werk. An erster Stelle steht dabei die Zunahme an zeitlicher und inhaltlicher Belastung, doch auch die Unterstützung durch die Arbeitgeber und die finanzielle Entschädigung seien schlecht. Ausserdem erhalte man im Milizamt wenig Anerkennung durch die Gesellschaft. Das bestätigt auch Priska Seiler Graf, die von mehr und schärferen Angriffen durch die Öffentlichkeit und die Medien spricht.
Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat und Gemeindepräsident von Herbetswil, wirkt ebenfalls ernüchtert in der Beschreibung seiner Miliztätigkeit. Anfangs hätte er noch Ideen gehabt, wie er die Gemeinde verändern möchte. Die seien aber mit der Zeit versandet, im Gemeinderat gescheitert oder es hätte sich kein Geld zur Umsetzung gefunden. Trotz dieser desillusionierenden Erfahrung beschreibt er die Milizarbeit als sein schönstes politisches Amt.