Klimastreik bewegt die Uni Bern

An einem Mittagspodium unter dem Titel «Eine Generation nimmt sich die Strasse» analysierten Professorinnen und Professoren die Jugendbewegung und was die Universität in Sachen Nachhaltigkeit unternimmt.

Von Astrid Tomczak-Plewka 19. September 2019

«Hat der Druck auf die Uni zugenommen, vorbildlich zu sein?» Mit dieser Frage eröffnete Moderator Kaspar Meuli vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung am Mittwoch, 18. September das Podium zum Klimastreik. «Ja. Und ich bin froh darüber, das gibt mir Rückenwind», antwortete Silvia Schroer. Die Professorin für Altes Testament ist in ihrer Funktion als Vizerektorin der Universität Bern auch Nachhaltigkeitsverantwortliche. Sie betonte, dass die Universität das Thema Nachhaltigkeit schon lange vor der aktuellen Debatte zum Schwerpunkt erklärt hat. Aktuell seien Empfehlungen zur Vermeidung von Flugreisen erlassen worden.

Zudem werde ab Januar das Spesenreglement angepasst, um dem Klimaschutz besser Rechnung zu tragen. Sie gab allerdings auch zu bedenken, dass die Wissenschaft per se international sei. «Ich finde es penibel, beispielsweise jedem oder jeder Klimaforschenden unter die Nase zu reiben, wieviel er oder sie fliegt. Aber die Universität und alle Mitarbeitenen sind gefordert, hier zu redimensionieren.» Die Universität Bern wolle deshalb auch eine bessere Infrastruktur für Videokonferenzen schaffen.

Adrian Vatter, Olivia Romppainen-Martius, Vizerektorin Silvia Schroer, Moderator Kaspar Meuli und Martin Grosjean (v.l.n.r.). Alle Bilder: © Universität Bern, Bild: Julia Bucher
Adrian Vatter, Olivia Romppainen-Martius, Vizerektorin Silvia Schroer, Moderator Kaspar Meuli und Martin Grosjean (v.l.n.r.). Alle Bilder: © Universität Bern, Bild: Julia Bucher

Kinder erreichen, was Experten nicht geschafft haben

Während Expertinnen und Experten – gerade auch der Universität Bern – jahrzehntelang ohne grosses Echo vor den Folgen Klimawandels gewarnt hatten, finden Schülerinnen und Schüler nun plötzlich auch auf der politischen Bühne Gehör. «Ist das für Sie nicht frustrierend?», wollte Meuli von Martin Grosjean wissen, dem Direktor des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung. «Für uns ist es tatsächlich erstaunlich, dass eine Bewegung, die aus dem Nichts kam, eine staatstragende Partei wie die FDP zum Umdenken bewegen konnte», so Grosjean. «Das ist uns nicht gelungen, obwohl wir uns seit 1992 regelmässig mit den politischen Entscheidungsträgern treffen.»

Ist die «Klimajugend» also ein singuläres gesellschaftliches Phänomen? Adrian Vatter, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft, zog Parallelen zur 68er-Bewegung, insbesondere in Bezug auf die Kapitalismuskritik. «Aber die Klimastreikenden sind sehr viel jünger und die Dringlichkeit ist viel grösser», sagte er. Bei den 68ern sei der Zeitdruck nicht so gross gewesen: «Man hat sich ein, zwei Generationen Zeit gegeben.» Mit dem jetzigen Zeitdruck sei die Politik heillos überfordert, wie übereinstimmend alle Podiumsteilnehmenden feststellten. So dauert der Gesetzgebungsprozess in der Schweiz rund 10 bis 15 Jahre – und der Vollzug ist damit noch lange nicht garantiert. Allerdings dürfte sich das Thema unmittelbar bei den Wahlen niederschlagen. «Die Grünen werden sicher profitieren, die SVP vielleicht etwas verlieren», so Vatter. «Insgesamt wird das Thema aber nicht zu einem kompletten Umbau der politischen Landschaft in der Schweiz führen».  Olivia Romppainen-Martius, Leiterin der Gruppe für Klimafolgen am Geographischen Institut, hat immerhin festgestellt, «dass die Realität des Klimawandels nicht mehr ständig in Frage gestellt wird.» Vielmehr fragten die Leute, wie man den CO2-Ausstoss reduzieren könne. Diese Frage sei aber leider sehr komplex und nicht einfach zu beantworten. Ihr Appell: Alle Parteien müssten das Thema aufgreifen und auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Nicht-Handelns aufzeigen.

Dieser Ball wurde vom Publikum aufgegriffen. «Ich sehe keine Ökonomen auf dem Podium. Ist das bei unseren Wirtschaftswissenschaften überhaupt ein Thema?» wollte eine Zuhörerin wissen. Martin Grosjean wies in seiner Antwort darauf hin, dass die Universität Bern mit dem früheren, mittlerweile emeritierten Vizerektor Gunter Stephan einen der ersten Umweltökonomen überhaupt in ihren Reihen hatte. «Für uns ist sonnenklar, dass der Klimawandel längst kein rein naturwissenschaftliches Problem mehr ist», hielt Grosjean fest. Allerdings sei die Ökonomie an der Universität Bern wenig interdisziplinär aufgestellt. Immerhin seien – auch dank dem Oeschger-Zentrum – zwei Klimaökonomen in Bern tätig.

Das Publikum schaltete sich mit Fragen an die Expertinnen und Experten ein.

Wider die Wachstumsideologie

Dass sich Teile der Jugend einen eigentlichen Systemwechsel wünschen, zeigte sich in der Diskussion. «Für eine wirksame und gerechte Klimapolitik braucht es einen Wandel in der Machtstruktur der Gesellschaft», sagte ein junger Mann. Der grösste Teil der Gesellschaft – nämlich die profitorientierte Wirtschaft – sei eben nicht demokratisch, sondern privat geregelt. «Deshalb werden private Interessen immer Vorrang haben. Profite werden privatisiert, Schäden sozialisiert.» Einen nicht ganz so radikalen Weg wie die Verstaatlichung von Privateigentum forderte ein anderer Diskussionsteilnehmer: «Es wäre schon sinnvoll, in der Politik mehr Transparenz zu schaffen.» Diesem Vorschlag pflichtete auch Politologe Vatter bei: «Die fehlende Transparenz in der Parteienfinanzierung ist tatsächlich ein Schwachpunkt in unserer Demokratie. Da will die Transparenzinitiative Abhilfe schaffen».

Damit war die Diskussion bei grundlegenden Fragen angelangt. Nämlich, ob wir als Gesellschaft unser Konsumlevel und damit das Wachstum noch halten können. Auf dem Podium herrschte Konsens darüber, dass hier ein Umdenken stattfinden muss. «Alles ist auf Wachstum ausgerichtet», sagte Schroer: «Und keine Partei gewinnt Wahlen, wenn sie sagt: ,weniger ist mehr.‘» Allerdings sei ihr als Theologin dieses Denken eher fremd, gerade im Alten Testament fänden sich viele Aussagen zum nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Deshalb sei es ihr auch wichtiger, dass die Universität Bern Studierende dazu bringt, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, als dass sie den «Klimanotstand» ausrufe, wie ein Fragesteller implizit forderte. «Die Uni ist nicht erst seit kurzem auf diesem Weg. Unser Motto lautet: Bildung für nachhaltige Entwicklung», betonte die Vizerektorin –und gab ein Versprechen ab: «Wir werden in Richtung klimaneutrale Universität gehen und sind ambitioniert unterwegs.»

Zur Autorin

Astrid Tomczak-Plewka ist selbstständige (Wissenschafts-)Journalistin/Texterin.

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