«Wir haben erstmals Zugang zu einer wissenschaftlichen Goldmine»
Ein Archäologe und ein Paläoökologe der Universität Bern tun sich mit weiteren Forschenden aus anderen Fachbereichen zusammen, um herauszufinden, wie sich Klima, Umwelt und Landwirtschaft in den letzten 10'000 Jahren entwickelt und gegenseitig beeinflusst haben. Sie begeben sich dazu nach Griechenland und in den Südbalkan – zur Wiege der europäischen Landwirtschaft.
Interview: Nathalie Matter
Warum interessieren Sie sich für vergangene Ökosysteme?
Aus der Rekonstruktion der vergangenen Ökosysteme lassen sich einmalige Erkenntnisse ableiten, die wir heute dringend brauchen. Ohne Untersuchung der vergangenen Ökosysteme wäre es zum Beispiel unmöglich zu sagen, welche Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften in Europa natürlich sind. Auch geben vergangene Ökosysteme klare, einmalige Einsichten zur Reaktionsweise von Arten und Gemeinschaften auf starke Klimaänderungen – wie ein Temperaturanstieg von +3° C in 50 Jahren – die uns in naher Zukunft erwarten. Mit diesen Informationen können wir nicht nur Naturschutzbestrebungen unterstützen, wir können auch Massnahmen zur Erhaltung wichtiger Leistungen künftiger Ökosysteme verbessern, beispielsweise die Holzproduktion.
Albert Hafner, was fasziniert Sie an der Unterwasserarchäologie?
Ich forsche über frühe agrarische Gesellschaften, indem ich neolithische und bronzezeitliche Siedlungen untersuche, deren Ruinen heute in Seesedimenten unter Wasser liegen. Die Erhaltungsbedingungen für organisches Material sind unter Wasser ausserordentlich gut und sie liefern Informationen, die sich in Böden an Land nicht finden. Um an diese Siedlungsreste heranzukommen, muss man unter Wasser arbeiten. Es ist faszinierend, nicht nur Keramik und Artefakte bergen zu können, sondern auch 6’000 Jahre alte Bauteile aus Holz, die noch bis in die Zellstruktur intakt sind.
Was ist das Besondere an den Siedlungsstandorten der untersuchten Seen?
Dass wir noch nicht genau wissen, was uns wirklich erwartet. Eine Pilotstudie im Sommer 2018 hat gezeigt, dass wir mindestens so gute Verhältnisse antreffen werden wie in den Seeufersiedlungen des Alpenraums (und diese sind seit 2011 UNESCO-Welterbe). Im Alpenraum wird seit mehr als 150 Jahren in Seen und Mooren intensiv archäologisch geforscht. Mit dem EXPLO-Projekt stossen wir in den Seen im südlichen Balkan in völlig unbekannte Gebiete vor. Wir befinden uns in der Wiege der europäischen Landwirtschaft. Von hier aus verbreitete sich Ackerbau und Viehhaltung über den Donauraum und das westliche Mittelmeer nach Mittel- und Westeuropa.