Ideen für ein dynamisches Bern

Bern hat als «Hauptstadtregion Schweiz» beste Voraussetzungen, innovativer und dynamischer zu werden. Davon ist die Wirtschaftsgeographin Heike Mayer überzeugt. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins «UniPress» spricht sie über ihre Studie, in der sie Bern mit anderen Hauptstädten verglichen hat.

Interview: Timm Eugster 15. August 2018

Im Fussball hat Bern Erfolg. Wie geht es Bern sonst?
Heike Mayer: Bern geht es eigentlich gut – mit der Betonung auf «eigentlich». Zwar hat das übliche Lamento über das schwache Wirtschaftswachstum, das mittelmässige Bevölkerungswachstum und das gering ausgeprägte Unternehmertum durchaus ein Fünkchen Wahrheit. Aber ich würde sagen, dass es Bern als Bundesstadt, als Hauptstadtregion der Schweiz, gut geht. Wir haben in unserer Studie Bern mit Ottawa (Kanada), Washington DC (USA) und Den Haag (Niederlande) verglichen und festgestellt, dass Bern gut dasteht, wenn man die Hauptstadt-spezifische Wirtschaft anschaut.

Heike Mayer ist Professorin für Wirtschaftsgeographie am Geographischen Institut und Mitglied des Zentrums für Regionalentwicklung an der Universität Bern. © Universität Bern / Bild: Adrian Moser
Heike Mayer ist Professorin für Wirtschaftsgeographie am Geographischen Institut und Mitglied des Zentrums für Regionalentwicklung an der Universität Bern. © Universität Bern / Bild: Adrian Moser

Was ist das?
Die Hauptstadt-Ökonomie setzt sich zusammen aus der Bundesverwaltung, aus Organisationen, die Lobbying betreiben, und aus wissensorientierten Dienstleistungsfirmen – also Firmen, die für die Bundesverwaltung Studien erstellen, technische Lösungen entwickeln und Aufträge erledigen. Ausserdem gibt der Bund Geld aus für seine Beschaffungen. Daraus entsteht ein ganz spezifisches Wirtschaftssystem, das in Bern stark ist: So gibt es in Bern für jeden Hightech-Arbeitsplatz 3,6 Arbeitsplätze in den wissensorientierten Dienstleistungen, in Zürich sind es nur 3,3.

Hat die Hauptstadt-Ökonomie keine Schwächen?
Doch. Wir sind nicht so innovativ wie die Metropolitanregionen Basel, Zürich und Genf, und wir sind auch nicht so unternehmerisch. Wir sollten mehr Ideen entwickeln und wir brauchen mehr risikobereite Unternehmerinnen und Unternehmer, die neue Firmen gründen. Darüber hinaus braucht es ein lebendiges Start-up-Ökosystem.

Bern positioniert sich seit acht Jahren als «Hauptstadtregion Schweiz». Doch vom erhofften grossen Befreiungsschlag ist bis jetzt nicht viel zu spüren ...
Vielleicht sehen Sie das ein bisschen pessimistisch, wie andere Medien auch. Ich würde schon sagen, dass die Hauptstadtregion eine Erfolgsgeschichte ist für Bern, was die Politik angeht. Als 2008 das Raumkonzept der Schweiz entwickelt wurde, waren auf der Karte in roter Farbe die drei Metropolitanregionen eingezeichnet: Zürich, Basel, Genf. Alles andere war weiss. Das war der Auslöser, dass Bern gesagt hat: Halt mal, wir sind kein weisser Fleck – wir sind auch jemand, wir sind die Bundesstadt. Wir haben eine Funktion in der Schweiz, die anders ist als jene der Metropolitanräume. Wir lösen für die Schweiz gewisse Aufgaben, wir haben die öffentliche Verwaltung, die Politik. Ausdruck davon war die Gründung der Hauptstadtregion Schweiz. Das Raumkonzept Schweiz wurde überarbeitet und eine neue Karte gezeichnet, in Pastelltönen, mit der Hauptstadtregion im Zentrum.

Das ist vielleicht eine politische Erfolgsgeschichte – aber ist es auch eine wirtschaftliche?
Jein. Man hat sich seither mehr Gedanken darüber gemacht, wie die Wirtschaft in einer Hauptstadt funktioniert, man hat Projekte entwickelt – aber das hat sich noch nicht übersetzt in wirtschaftliche Dynamik, Wertschöpfung, Arbeitsplätze. Aber es wäre auch unfair, dies bereits nach acht Jahren zu erwarten, es braucht 15 bis 20 Jahre, bis so etwas greift.

Im Sammelband «The Political Economy of Capital Cities» präsentiert die Forschungsgruppe um Heike Mayer und Fritz Sager vom Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern die Ergebnisse ihres Vergleichs verschiedener Hauptstädte. © Universität Bern / Bild: Adrian Moser
Im Sammelband «The Political Economy of Capital Cities» präsentiert die Forschungsgruppe um Heike Mayer und Fritz Sager vom Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern die Ergebnisse ihres Vergleichs verschiedener Hauptstädte. © Universität Bern / Bild: Adrian Moser

Auch bei der politischen Erfolgsgeschichte sind Fragezeichen angebracht, wenn man sieht, dass die SRG das Radiostudio Bern schliessen will.
Ja, das stimmt, aber ohne das Bewusstsein, dass man Hauptstadtregion ist, hätte man jetzt wohl nicht so dezidiert protestiert. Man weiss, dass man solche Einrichtungen halten muss.

Bern war historisch nie ein wirtschaftliches Innovationszentrum. Nun ist es Bundesstadt. Vielleicht ist es ja gar nicht nötig, dass man so dynamisch ist wie die Metropolitanregionen?
Ich sehe das anders. Man kann sich nicht mehr auf den Standpunkt stellen, «Hauptstadt ist Beamtenstadt, da braucht es keinen Unternehmergeist und keine Innovation». Denn Hauptstädte haben sich extrem verändert in den letzten 30 Jahren. Die öffentliche Verwaltung macht sehr viel mehr Outsourcing, sie verlagert Aufgaben an Private. Wir haben das extrem gesehen in Washington DC, aber auch hier in Bern haben wir ein hohes Ausgabenvolumen der öffentlichen Verwaltung: Die Privatwirtschaft erfüllt Aufgaben für den Bund, und daraus entsteht Wertschöpfung – und auch Innovation. Die Privaten überlegen sich: Wie kann ich die Aufgabe lösen? Wie kann man es effizient machen, wie erneuern? Aus diesem Zusammenspiel entsteht etwas, das wir als regionales Innovationssystem einer Hauptstadtregion bezeichnen. Und genau darin besteht Berns Chance.

Sie haben gesagt, Bern gehe es «eigentlich» gut. Was braucht es, dass man das «eigentlich» in Zukunft streichen kann?
Es braucht ein bisschen mehr Mut, mehr Risikofreudigkeit, Unternehmertum – das sind die Dynamiken, die Bern voranbringen können. Gerade die Initiativen von jungen Leuten sollte man stärker zelebrieren und unterstützen: Hier läuft was! Wir brauchen mehr Raum-Pioniere.

Buchhinweis: The Political Economy of Capital Cities

Wie können Hauptstädte, die nicht gleichzeitig auch wirtschaftlichen Zentren sind, erfolgreich sein? Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Heike Mayer vom Zentrum für Regionalentwicklung und dem Geographischen Institut und Prof. Dr. Fritz Sager vom Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern ist diesen Fragen nachgegangen. Die Ergebnisse präsentieren sie im Sammelband «The Political Economy of Capital Cities».

Heike Mayer, Fritz Sager, David Kaufmann und Martin Warland: The Political Economy of Capital Cities, London, Routledge 2018

 

Zur Person

Prof. Dr. Heike Mayer (1973) ist Professorin für Wirtschaftsgeographie am Geographischen Institut und Mitglied des Zentrums für Regionalentwicklung an der Universität Bern. Sie hat Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz (Deutschland) und Urban Studies an der Portland State University (USA) studiert. Nach einer Anstellung als Ausserordentliche Professorin an der Virginia Tech University (USA) wechselte sie 2009 an die Universität Bern. In SNF-Projekten befasste sie sich mit der wirtschaftlichen Rolle und Funktion sowie den Innovations- und Unternehmensdynamiken von Hauptstädten, Klein- und Mittelstädten und peripheren Räumen.

Kontakt

Prof. Dr. Heike Mayer
Universität Bern
Geographisches Institut und Center for Regional Economic Development (CRED)
Tel.: +41 31 631 88 86
E-Mail: heike.mayer@giub.unibe.ch

Zum Autor

Timm Eugster arbeitet als Redaktor bei Corporate Communication an der Universität Bern.

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