«Beim Merkur erwarten uns 400 Grad Celsius»

Die Raumsonde BepiColombo soll am 20. Oktober 2018 vom Weltraumbahnhof Kourou ihre Reise zum Merkur antreten. Nicolas Thomas, Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern, hat mit seinem Team das wichtigste und heikelste Instrument an Bord konzipiert und gebaut. Im Interview mit «uniaktuell» erzählt er von den Herausforderungen.

Interview: Brigit Bucher 08. Oktober 2018

Nicolas Thomas, Sie sind Co-Projektleiter des Laseraltimeters BELA an Bord von BepiColombo. Was untersucht dieses Instrument? Und warum ist es so wichtig für die Mission?
Ein Laser-Altimeter ist ein Instrument, das die Entfernung von einer Raumsonde zur Oberfläche eines Planeten misst, in diesem Fall Merkur. Weil wir ja genau wissen, wo sich die Raumsonde befindet, ergibt diese Messung dann die Topographie der Oberfläche des Merkur. Im Wesentlichen können wir mit BELA also ein 3D-Bild des gesamten Planeten erstellen. Für diese Daten gibt es viele Anwendungen. Wir können sie zum einen benutzen, um in Kombination mit der Kamera an Bord von BepiColombo die Oberflächengeologie von Merkur zu untersuchen. Andererseits werden wir sie in Kombination mit der Doppler-Verschiebung des Funksignals aus der Raumsonde verwendet, um die innere Struktur des Planeten zu analysieren. Eines unserer Ziele ist es zum Beispiel, eine Theorie aus dem Jahr 1988 von einem unserer Kollegen in Bern, Willy Benz, herauszufordern, die erklären wollte, warum der Merkur eine so hohe Dichte hat.

BELA am Physikalischen Institut der Universität Bern. © Universität Bern
BELA am Physikalischen Institut der Universität Bern. © Universität Bern
Das BepiColombo Laser Altimeter (BELA). © Universität Bern, Bild: Ramon Lehmann
Das BepiColombo Laser Altimeter (BELA). © Universität Bern, Bild: Ramon Lehmann

Welches war die grösste Herausforderung bei der Konzeption und der Konstruktion von BELA?
Es gab vier grosse Herausforderungen. Erstens war ein Laser-Altimeter für die planetare Fernerkundung noch nie zuvor gebaut worden. Die Technologie gab es in Europa nicht und wir mussten eine europäische Lösung entwickeln. Zweitens durfte das Instrument nicht mehr wiegen als 12 kg. Es gab zwar Laser-Altimeter für die Anwendung auf der Erde, aber sie waren mehr als 10-mal so schwer wie BELA. Drittens mussten wir einen Weg finden, mit der Hitze fertig zu werden. Die Sonne kann beim Merkur 10-mal stärker sein als auf der Erde. Wir mussten also eine neuartige Lösung entwickeln, um das Instrument vor dieser Hitze zu schützen, zum Beispiel durch die Verwendung von reflektierenden Blenden. Auch muss BELA Temperaturunterschiede von  50 °C innerhalb der Raumsonde aushalten können und immer noch richtig funktionieren. Schliesslich gab es spät in der Entwicklung ein Problem, als wir merkten, dass der Hochleistungslaser im System Geräusche erzeugte. Wir hatten den Effekt der Geräusche auf die Erkennung des Rückstrahlimpulses des Planeten unterschätzt. Zum Glück konnten wir das Problem rechtzeitig lösen.

Wird mit der Mission nach Leben auf dem Merkur gesucht?
Nein. Wir können kaum erwarten, dass es Leben auf einem Planeten gibt, wo die Temperatur von 400 °C am Tag bis zu -200 °C nachts schwankt und wo es fast kein Wasser gibt.

Künstlerische Impression von BepiColombo beim Merkur. © ESA
Künstlerische Impression von BepiColombo beim Merkur. © ESA

Die ersten Daten werden in rund sieben Jahren geliefert werden, wenn Sie pensioniert sein werden. Wie ist das für Sie?
Das ist ziemlich schwer zu akzeptieren. Es war nicht so geplant, aber die Verzögerungen im Programm hatten diese Konsequenz. Glücklicherweise gibt es einige junge Leute in unserem Team, die bereits  jetzt darauf brennen, mit den Daten die Fragen zu beantworten, die wir ursprünglich formuliert haben.

Ihr Vorgänger an der Universität Bern war Hans Balsiger. Wie sind Sie nach Bern gekommen?
Ich wollte meine damalige Stelle verlassen. Oft beschweren sich Leute über ihre Positionen in einer Universität oder an einem Institut. Ich habe mir aber gesagt: Wenn man seine Arbeit nicht mag, gibt es nichts, was einen daran hindert, den Job zu wechseln.  Als die Stelle von Hans Balsiger frei wurde, dachte ich, ich sollte mich bewerben, weil ich Bern bereits sehr gut kannte von Kontakten mit ihm, Johannes Geiss, Kathrin Altwegg und Peter Wurz. Dies sind alles Leute, die sich bewusst sind, wie wichtig Flugexperimente sind, um Modelle zu überprüfen und einzuschränken. Ich wünschte nur, dass einige andere Forschende sich daran erinnern könnten!

Lesen Sie auch das Interview mit Peter Wurz, Professor für Experimentelle Weltraum- und Planetenphysik an der Universität Bern und Projektleiter des Massenspektormeters STROFIO an Bord von BepiColombo

Zur Person

Nicolas Thomas ist seit 2003 Professor am Physikalischen Institut der Universität Bern und leitet gemeinsam mit Peter Wurz und Willy Benz die Abteilung für Weltraumforschung und Planetologie (WP). Er promovierte 1986 an der University of York in Grossbritannien und arbeitete anschliessend am Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau mit Aufenthalten am European Space Research and Technology Centre der ESA in Noordwijk und der Universität Arizona in den USA. Er arbeitet an Fernerkundungsinstrumenten für das Studium des Mars, von Kometen und dem Jupiter-System. Er hilft gerade dabei, eine Mission zu Jupiters vulkanischen Mond Io zu planen.

Kontakt

Prof. Dr. Nicolas Thomas
Physikalisches Institut, Weltraumforschung und Planetologie (WP)
Gesellschaftsstrasse 6
3012 Bern
Telefon direkt: +41 31 631 44 06
E-mail: nicolas.thomas@space.unibe.ch

Die BepiColombo-Mission

Die BepiColombo-Mission besteht aus zwei Raumfahrzeugen, dem von der europäischen Weltraumorganisation ESA konstruierten und gebauten Mercury Planetary Orbiter (MPO) und dem von der japanischen Weltraumorganisation JAXA konstruierten und gebauten Mercury Magnetospheric Orbiter (MMO).

Die beiden Raumfahrzeuge werden in einem gekoppelten System gemeinsam zum Merkur fliegen, bis sie die Merkurumlaufbahn erreichen. Der MMO wird dann in eine Umlaufbahn von 400 km x 19’200 km gebracht, um die magnetosphärische Wechselwirkung zwischen dem Planeten und dem Sonnenwind detailliert zu untersuchen. Der MPO wird auf eine Umlaufbahn von 400 km x 1’500 km absinken, die optimal für die Fernerkundung der Planetenoberfläche ist.

Mehr Informationen zur Mission auf der ESA-Webseite

Mit an Bord von BepiColombo sind Instrumente, die am Physikalischen Institut der Universität Bern konzipiert und gebaut wurden: Das Laser Altimeter BELA und das neuartige Massenspektrometer STROFIO.

Das Altimeter BELA ist eines der wichtigsten Experimente an Bord des MPO. Zielsetzung ist die Vermessung der Form, der Topographie, und der Morphologie der Oberfläche von Merkur. BELA wird die absolute Höhe und Position der Topographie in einem Merkur-zentrierten Koordinatensystem liefern.

Mehr Informationen zu BELA

Das Massenspektrometer STROFIO ist Teil von SERENA an Bord des MPO. Zielsetzung von SERENA ist die vollständige Charakterisierung der Teilchenpopulationen, der Ionen und Neutralteilchen, im Umfeld von Merkur unter dem Einfluss der Sonneneinstrahlung und des Sonnenwindes.

Mehr Informationen zu SERENA und STROFIO

Berner Weltraumforschung: Seit 50 Jahren an der Weltspitze mit dabei

Die Berner Weltraumforschung in Zahlen ergibt eine stattliche Bilanz: 25mal flogen Instrumente mit Raketen in die obere Atmosphäre und Ionosphäre (1967-1993), 9mal auf Ballonflügen in die Stratosphäre (1991-2008), 33 Instrumente flogen auf Raumsonden mit, und ein Satellit wurde gebaut (CHEOPS, Start 1. Hälfte 2019).

Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

Zur Autorin

Brigit Bucher arbeitet als Leiterin Media Relations in der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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