Kirchenumnutzungen – Zweiter Schweizer Kirchenbautag

Wer sollte in den Dialog einbezogen werden, wenn es um die Umnutzung von Kirchen geht? Diese und ähnliche Fragen standen am Zweiten Schweizer Kirchenbautag im Zentrum. Gut 150 Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Kirche, Denkmalpflege und Öffentlichkeit waren am 25. August an der Universität Bern zusammengekommen, um über Probleme und Perspektiven im Umgang mit Kirchenumnutzungen nachzudenken. Der Initiant Johannes Stückelberger, Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern, fasst für «uniaktuell» die zentralen Erkenntnisse der Tagung zusammen.

Von Johannes Stückelberger 01. September 2017

Der Schweizer Kirchenbautag wurde 2015 ins Leben gerufen als Forum für den Austausch zu Fragen, die den Kirchenbau betreffen. Verantwortet wird er vom Kompetenzzentrum Liturgik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Wie vor zwei Jahren ging es auch diesmal um das Thema Kirchenumnutzungen.

Johannes Stückelberger, Tagungsorganisator. Foto: Sarah Clénin
Johannes Stückelberger, Tagungsorganisator. Foto: Sarah Clénin

In der Schweiz werden inzwischen viele Kirchen und Klöster nicht mehr ausschliesslich kirchlich genutzt, sondern dienen zusätzlich oder alternativ kulturellen, sozialen, bildungsorientierten, gewerblichen und privaten Nutzungen. Abrisse sind die Ausnahme, in der Regel werden die Kirchen vermietet oder verkauft. Eine als Vorbereitung auf die Tagung erstellte und online verfügbare Datenbank von Kirchen, Kapellen und Klöstern, die in den letzten 25 Jahren in der Schweiz umgenutzt wurden bzw. deren Umnutzung projektiert ist, vermittelt ein differenziertes Bild der unterschiedlichen Lösungen.

Öffnen

Ziel der Tagung war es, anhand konkreter Beispiele die relevanten Fragen zu diskutieren, die sich im Zusammenhang mit der Thematik stellen. Der Luzerner Theologe Hansruedi Kleiber stellte zwei Luzerner Kirchen vor, die weiterhin kirchlich genutzt werden, gleichzeitig aber auch nichtkirchlichen Nutzungen zur Verfügung stehen. Er diskutierte sie vor dem Hintergrund neuer Kirchen- und Gemeindeentwicklungskonzepte, die eine Öffnung hin zur Stadt, zu einem auch nichtkirchlichen Publikum vorsehen.

Johannes Stückelberger mit Hansruedi Kleiber, Luzern. Foto: Sarah Clénin
Johannes Stückelberger mit Hansruedi Kleiber, Luzern. Foto: Sarah Clénin

Reto Bieli, Bauberater bei der Kantonalen Denkmalpflege Basel-Stadt, stellte die Methoden vor, mit denen die Denkmalpflege die Schutz- und Nutzungsinteressen eines Baus abklärt. Die Aussage, dass die Denkmalpflege sich als Anwältin sowohl vergangener als auch zukünftiger Generationen verstehe, rückte für etliche Zuhörer diese Institution in ein neues Licht.

Reto Bieli, Basel. Foto: Sarah Clénin
Reto Bieli, Basel. Foto: Sarah Clénin

Zusammenspannen

Dass Kirchenumnutzungen für die betroffenen Kirchgemeinden eine riesige Herausforderung darstellen, war das Thema eines Podiums, in dem zwei reformierte Kirchgemeinden in der Stadt Bern im Fokus standen. Beiden stellten sich Fragen wie: Sollen wir die Kirche oder das Kirchgemeindehaus aufgeben? Sollen wir abreissen, verkaufen, vermieten? Wollen wir in Menschen investieren oder in Mauern? 

Podium «Kirchenumnutzungen als Herausforderung für die Kirchgemeinden». Foto: Sarah Clénin
Podium «Kirchenumnutzungen als Herausforderung für die Kirchgemeinden». Foto: Sarah Clénin

Wie die Frage der künftigen Nutzungen von Kirchen in der Stadt Zürich im Dialog zwischen Kirche und Stadt angegangen wird, präsentierten eindrücklich Martina Jenzer, Denkmalpflegerin der Stadt Zürich, und Matthias Hubacher vom Stadtverband der Reformierten Kirche Zürich in einem gemeinsamen Referat. Ihr Fazit: «Zusammennutzungen» sind eine grosse Chance sowohl für die Kirchen als auch für die Stadt.

Nicht verkaufen

«Wie um Himmels willen kam die Centrums-Gemeinde der Stadt St. Gallen auf die Idee, 2005 die Leonhardskirche zu verkaufen», fragte Christoph Sigrist, Pfarrer am Zürcher Grossmünster, den damaligen Präsidenten der Kirchenvorsteherschaft. «Und wie kamen Sie dazu, die Kirche zu kaufen», wollte er vom Käufer wissen. «Und warum ist seither mit der Kirche nichts passiert, ist sie einfach geschlossen?» Das Podium machte deutlich, wie schwierig es für eine Privatperson sein kann, eine Kirche, die immer ein Stück weit ein öffentlicher Ort bleibt, einer neuen Nutzung zuzuführen. Die Folgerung daraus: Besser nicht verkaufen, und wenn, dann nur nach Vorliegen eines realisierbaren Umnutzungskonzepts. Als Überraschungsgast trat der Slam-Poet Andreas Kessler auf. In einem fulminanten Slam liess er einen fiktiven Kirchenrat über die Vor- und Nachteile dieser oder jener Umnutzung debattieren, bis hin zum Abriss: «Furt isch furt».

Welche Chancen es birgt, in einem Kloster zu wohnen, in einem ehemaligen Kloster einen Kulturbetrieb aufzubauen oder eine Landkirche als Eventlokal zu betreiben, und welche Probleme sich dabei stellen, war das Thema des folgenden Podiums. Im letzten Referat präsentierte Markus Willy, Bereichsleiter Immobilien im Stadtverband der Reformierten Kirche Zürich, eindrückliche Berechnungen, aus denen hervorgeht, dass die Kosten für Betrieb und Unterhalt pro m2 bei Kirchen zehnmal höher sind als bei anderen Immobilien. Sein Fazit: Die grossen landeskirchlichen Kirchen sind für normale Nutzer im Unterhalt zu teuer. Es ist deshalb sinnvoll, sie verstärkt kirchlich zu nutzen, allenfalls zusammen mit einem Partner der öffentlichen Hand.

Markus Willy, Zürich. Foto: Sarah Clénin
Markus Willy, Zürich. Foto: Sarah Clénin

Im Dialog

Stefan Krämer, stv. Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung in Ludwigsburg, empfahl als Tagungsbeobachter, das Thema Kirchenumnutzung nicht nur aus der Perspektive der Kirche anzugehen, sondern ebenso aus der Perspektive der Zivilgesellschaft. Diese habe einen berechtigten Anspruch auf die Räume, sie müsse ihr Interesse an diesen aber auch aktiv einbringen. 

Stefan Krämer, Tagungsbeobachter. Foto: Sarah Clénin
Stefan Krämer, Tagungsbeobachter. Foto: Sarah Clénin

Eine Haupterkenntnis aus der Tagung, die auch in der Schlussdiskussion wiederholt formuliert wurde, lautet, dass Kirchenumnutzungen nur dann gelingen, wenn sie im Dialog angegangen werden: im Dialog innerhalb der Kirche, im Dialog zwischen Kirche und Denkmalpflege, im Dialog zwischen Kirche und Öffentlichkeit.

Weitere Informationen zum Kirchenbautag

KOMPETENZZENTRUM LITURGIK

Das Kompetenzzentrum Liturgik ist an der Theologischen Fakultät der Universität Bern angesiedelt. Es fördert und koordiniert Forschung, Lehre und Dienstleistungen in den Bereichen Liturgik, Homiletik, Hymnologie und Kirchenästhetik. Zentraler Gegenstand ist der Gottesdienst in Geschichte und Gegenwart, unter besonderer Berücksichtigung der reformierten und der christkatholischen Liturgie, aber auch im weiteren ökumenischen Rahmen sowie in interreligiösen und interkulturellen Bezügen. Der Gottesdienst wird als mehrdimensionales Handeln verstanden. Dazu gehören das gesprochene Wort, das liturgische Handeln, die gottesdienstliche Musik sowie der gottesdienstliche Raum und seine künstlerische Gestaltung.

ZUR PERSON

PD Dr. Johannes Stückelberger, Kunsthistoriker, ist seit 2010 Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Nach dem Studium in Basel und München war er Assistent in Basel und lehrte danach an den Universitäten Genf, Freiburg/Schweiz und Taipei. In einem vom SNF geförderten Forschungsprojekt analysierte er jüngst die Sakraltopographien von acht Schweizer Städten in ihrer Transformation von 1850 bis heute. Er ist der Initiant des Schweizer Kirchenbautags.

Kontakt:

PD Dr. Johannes Stückelberger
Universität Bern
Institut für Praktische Theologie
Telefon direkt: +41 31 631 33 83
Telefon Institution: +41 31 631 80 61
Email: johannes.stueckelberger@theol.unibe.ch

Oben