Leben und Sterben – 100 Jahre später

Bern, 18. November 1916: Christian Moser, Rektor der Universität Bern, spricht an der Stiftungsfeier in seiner Rede über das «Leben und Sterben in der schweizerischen Bevölkerung» und äussert den Wunsch, dass in exakt 100 Jahren wieder über dieses Thema gesprochen wird. Tatsächlich: Am 18. November 2016 wurde zu Ehren von Christian Moser ein Kolloquium abgehalten.

Von Riccardo Gatto 12. Dezember 2016

«Möglicherweise wird später einmal, ebenfalls an einer Stiftungsfeier unserer Universität – möge es vielleicht in 100 Jahren sein – von dieser Stelle aus wieder über Leben und Sterben in der schweizerischen Bevölkerung gesprochen werden.» So zitierte der amtierende Rektor Christian Leumann bei der Begrüssung den damaligen Rektor. Rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Schweizer Universitäten und der Schweizerischen Aktuarvereinigung (SAV), die damals mit Unterstützung von Christian Moser gegründet wurde, nahmen am Kolloquium im Hotel Bellevue Palace teil. Verschiedene Referierende thematisierten neben dem Leben und Sterben in der schweizerischen Bevölkerung auch das Leben und Werk von Christian Moser (1861-1935).

Begrüssungsrede von Rektor Prof. Dr. Christian Leumann. Alle Bilder: zvg.
Begrüssungsrede von Rektor Prof. Dr. Christian Leumann. Alle Bilder: zvg.

Ein beliebter Professor ...

Im ersten Referat zählte der Berner Versicherungsmathematiker Claude Chuard wichtige Eckpfeiler aus dem Leben des ehemaligen Rektors der Universität Bern auf. Christian Moser, der 1887 an der Universität Bern in Mathematik und Physik promovierte, gründete 1901 das mathematisch-versicherungswissenschaftliche Seminar. Zu seinem 70. Geburtstag wurde ihm von der Universität Lausanne das Ehrendoktorat in Versicherungsmathematik verliehen. Aber auch ausserhalb der akademischen Kreise war Moser sehr aktiv. So war er beispielsweise Mitgründer der Studentenverbindung Halleriana Bernensis und Initiant der heutigen Pensionskasse der Burgergemeinde Bern, wie sein Enkel Fred Moser dem Publikum erläuterte. Zudem sei Christian Moser bei seinen Studierenden sehr beliebt gewesen, sagte Riccardo Gatto, assoziierter Professor am Institut für mathematische Statistik und Versicherungslehre (IMSV). Eine Zeichnung von Christian Mosers damaligen Studierenden belegt diese Aussage.

Prof. Dr. Christian Moser
Prof. Dr. Christian Moser
Zeichnung der Studierenden von Christian Moser
Zeichnung der Studierenden von Christian Moser

... und erfolgreicher Wissenschaftler

Riccardo Gatto präsentierte anschliessend die wichtigsten wissenschaftlichen Errungenschaften von Christian Moser. Das sogenannte «Erneuerungsproblem», in den letzten 100 Jahre ein zentrales Thema in der Versicherungsthematik, wurde durch einen wegweisenden Artikel von Christian Moser eingeführt. Es beschäftigt sich mit einer Gesamtheit, zum Beispiel einer Sterbekasse (Lebensversicherung), deren Mitglieder nach einer bestimmten Zeit ausscheiden und durch neue, vergleichbare Individuen ersetzt werden. Mittels sogenannter Volterra Integralgleichungen ist es Christian Moser gelungen, die ganze zeitliche Entwicklung sowie unter anderem die Erneuerungsfunktion dieser Gesamtheit zu errechnen. Das Mosersche Erneuerungsproblem wurde nach der Einführung von renommierten Mathematikerinnen und Mathematikern für stochastische Vorgänge erweitert und spielt in der mathematischen Biologie und der Physik nach wie vor eine zentrale Rolle.

Grafik zum «Erneuerungsproblem» von Christian Moser (1926)
Grafik zum «Erneuerungsproblem» von Christian Moser (1926)

Leben ...

Dem 100 Jahre alten Wunsch von Christian Moser nachkommend, widmete sich Stéphane Cotter, Leiter der Sektion Demografie und Migration des Bundesamts für Statistik dann dem Leben in der Schweiz. Seit Mosers Geburt habe sich die hiesige Bevölkerung von 2,6 Millionen zu 8,3 Millionen mehr als verdreifacht. Als Hauptfaktoren dieses demografischen Aufschwungs seien sinkende Sterblichkeit, zeitweise hohe Geburtenzahlen und Migration zu nennen. Cotter warnte aber auch davor, dass sich der Trend bei der Migration umkehren könne, da die Schweizer Bevölkerung selbst auch mobil sei. Laut Prognosen werde die Landesbevölkerung im Jahr 2065 je nach Szenario zwischen 9.1 und 11.8 Millionen betragen.

... und Sterben in der Schweiz

Der Sterblichkeit, oder vielmehr deren Verhinderung, wandte sich der berühmte Gerontologe und Bioinformatiker Aubrey de Grey zu. Gemäss seinen Ausführungen kann das Altern auf kumulative Schäden der Zellen zurückgeführt werden und durch spezifische Behandlungen in Zukunft verlangsamt oder sogar gestoppt werden. Durch regelmässige «Wartung» könne der menschliche Körper – wie ein Auto – bei guter Gesundheit gehalten werden. Allerdings seien solche Verjüngungsmassnahmen nie perfekt und verlängerten in der ersten Generation das Leben nur um rund 30 Jahre. Diese Behandlungen würden auch kritische Fragen aufwerfen: Wären wir bei guter Gesundheit bereit, solchen «Wartungstherapien» zu folgen?

Gemälde von Christian Moser
Gemälde von Christian Moser

Seit der durch Christian Moser unterstützten Gründung der SAV im Jahr 1905 steht diese in engem Kontakt mit der Universität Bern. Wie zum Ende des Kolloquiums festgehalten wurde, soll diese Zusammenarbeit auch in Zukunft aufrechterhalten werden. Abschliessend wurde Christian Mosers Wunsch erneuert, man möge in 100 Jahren wieder zusammenkommen und an dieser Stelle über das Leben und Sterben in der schweizerischen Bevölkerung sprechen. Tragen Sie sich den 18. November 2116 schon mal in den Kalender ein.

Kolloquiumswebsite

Rede von Prof. Dr. Christian Moser an der Stiftungsfeier 1916 (PDF, 3.7 MB)

Das Institut für mathematische Statistik und Versicherungslehre

Am 26. April 1902 fand die erste Veranstaltung des Versicherungsseminars der Universität Bern statt. Danach wurde von Prof. Christian Moser eine wissenschaftliche Ausbildung in Versicherungswesen an der Universität Bern eingeführt. Mit der Entwicklung der Statistik erfolgte um 1960 die Umbenennung des Versicherungsseminars in Institut für Versicherungslehre und mathematische Statistik (IMSV) und um 1970 in Institut für mathematische Statistik und Versicherungslehre. Das Institut gehört zum Department Mathematik und Statistik und ist aktiv in Forschung und Lehre in Statistik, Wahrscheinlichkeit und Versicherungsmathematik. Insbesondere bildet das IMSV Kandidaten für das Diplom Aktuar SAV aus.

Zum Autor

Riccardo Gatto ist assoziierter Professor am Institut für mathematische Statistik und Versicherungsehre (IMSV) der Universität Bern. Seine Forschungsgebiete sind die mathematische Statistik, Approximationsmethoden der Statistik und der Wahrscheinlichkeitstheorie sowie stochastische Modelle der Versicherung. Riccardo Gatto ist Koordinator des Aktuar-Studiums der SAV an der Universität Bern.

Kontakt:

Prof. Dr. Riccardo Gatto
Universität Bern
Institut für Mathematische Statistik und Versicherungslehre (IMSV)
Telefon: +41 31 631 88 07
E-Mail: riccardo.gatto@stat.unibe.ch

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