Von der kosmischen Murmel zum Multiversum

Alan Guth hat mit seiner Forschung unser Verständnis des Universums revolutioniert. An den Einstein Lectures der Universität Bern sprach der renommierte Professor vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) über kosmische Murmeln, die inflationäre Ausdehnung des frühen Weltalls und unerreichbare Nachbaruniversen.

Von Martin Zimmermann 10. November 2015

13,8 Milliarden, 10-28, 10500 – es sind Zahlen sehr weit jenseits dessen, was ein Mensch sich normalerweise vorstellen kann. Alan Guth hantiert hingegen ganz selbstverständlich mit ihnen. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Kosmologe vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei Boston, USA, hat unser Verständnis des Universums auf eine neue Basis gestellt. Seine Inflationstheorie erklärt, warum dieses nach dem Urknall nicht gleich wieder in sich zusammenstürzte, sondern 13,8 Milliarden Jahre alt und gigantisch gross werden konnte.

Am Anfang von Guths Arbeit steht die konventionelle Urknall-Theorie: Das Universum dehnte sich demnach von einem schier unendlich kleinen, extrem dichten Punkt zu seiner heutigen Grösse aus. «Tatsächlich sagt diese Theorie aber nichts darüber, was da genau knallte, wieso es knallte und was passierte, bevor es knallte», erklärt der 68-Jährige augenzwinkernd dem Publikum an den aktuellen Einstein Lectures. Eigentlich müsse man von einer «bang-less theory» sprechen, einer Knall-losen Theorie also. 

Alan Guth kurz vor seiner ersten Einstein Lecture auf dem Dach des Gebäudes für Exakte Wissenschaften (ExWi) der Universität Bern. © UniBE, Annette Boutellier

Das Modell des inflationären Universums, das Alan Guth 1979 aufstellte, reicht weiter zurück als alle anderen Erklärungsansätze über den Beginn des Universums; nämlich in die erste Sekunde nach dem Urknall: Gemäss der inzwischen breit anerkannten Inflationstheorie hat das Universum seine Grösse unmittelbar nach dem Urknall im Bruchteil einer Sekunde 100 Mal verdoppelt. Es wuchs von einem rund 10-28 Zentimeter kleinen Punkt – das sind 0.00000000000000000000000000001 Zentimeter – auf die Grösse einer Murmel an. Eine Murmel tönt im ersten Augenblick wenig beeindruckend, tatsächlich befand sich in diesem kleinen Raum aber schon das gesamte heute beobachtbare Universum, wie Guth sagt.

Ein perfekt ausbalancierter Bleistift

Doch was trieb diese unvorstellbar rasche Inflation voran? Laut Guth muss dafür eine Art dunkle Energie oder Vakuumenergie verantwortlich gewesen sein – eine Energie, die abstossend und damit der Graviation entgegen wirkte. Diese hypothetische dunkle Energie zerfiel rasch, wodurch die Inflation des Universums zur heute beobachtbaren, vergleichsweise langsamen Expansion abgebremst wurde. Aus dem Zerfall entstand schliesslich die uns bekannte Materie.

Mit klaren Worten und Gesten erklärt Alan Guth, warum die Inflationstheorie zur Annahme eines «Multiversums» führt. © UniBE, Annette Boutellier

Dabei hatten wir grosses Glück: Hätte die Inflation langsamer oder schneller stattgefunden, wäre das Universum entweder wieder in sich kollabiert oder aber es wäre so rasch expandiert, dass sich niemals Galaxien, Sterne und Planeten hätten bilden können, wie Guth sagt – das Leben hätte nie existiert. Der Kosmologe zieht zur Verdeutlichung eine Analogie heran: «Unser Universum ist wie ein Bleistift, der nahezu perfekt ausbalanciert auf seiner Spitze steht.»

Existieren noch andere Universen?

Zu den faszinierendsten und bizarrsten Aspekten der Inflationstheorie gehört, dass sie die Möglichkeit eines sogenannten Multiversums in Betracht zieht. Unser Universum wäre demnach bloss eines von vielen – extrem vielen: Laut Alan Guth könnten bis zu 10500 verschiedene Universen existieren! Und ständig entstehen neue, denn während der Inflation wird nicht sämtliche Dunkle Energie vernichtet. Ein kleiner Teil bleibt übrig, der ein «Taschenuniversum» zur Inflation bringen könnte, in welchem wiederum etwas Dunkle Energie übrig bleibt, welche ein neues Universum erzeugt und so weiter. Allerdings wäre nur ein kleiner Teil dieser Universen stabil genug, um Galaxien hervorzubringen, welche Leben beherbergen könnten.

Komplexes Thema – grosser Andrang: Der erste Vortrag Alan Guths in der Aula der Uni Bern war äusserst gut besucht. © UniBE, Annette Boutellier

Alan Guth ist indes skeptisch, ob es uns je gelingen wird, allfällige Paralleluniversen tatsächlich zu beobachten. Entsprechend kontrovers wird ihre Existenz in der Fachwelt diskutiert. Die Inflationstheorie als solche wird hingegen in zunehmendem Masse durch Messergebnisse bestätigt, etwa von Temperaturschwankungen der kosmischen Hintergrundstrahlung. Dabei handelt es sich quasi um das Hintergrundrauschen des Urknalls. «Die Inflation des Universums ist keine philosophische Spekulation», bekräftigt Guth zum Schluss seines Vortrags in der prallvollen Aula der Uni Bern. «Sie erklärt die Entstehung unseres Universums nicht nur am besten, es gibt auch handfeste Daten, die diese Theorie stützen.»

Einstein Lectures 2015

Im Andenken an das Werk von Albert Einstein widmen sich die jährlich stattfindenden Einstein Lectures der Universität Bern und der Albert-Einstein-Gesellschaft abwechselnd Themen aus der Physik und Astronomie, der Mathematik und der Philosophie. Für die aktuelle Vorlesungsreihe wurde der US-Kosmologe Alan Guth eingeladen.

Weitere Vorträge:

Eternal Inflation and Its Implications

Dienstag, 10. November 2015, 17.15 Uhr 

Cosmology and the Arrow of Time

Mittwoch, 11. November 2015, 19.30 Uhr

Hauptgebäude der Universität Bern, Aula, Hochschulstrasse 4, Bern. Die Vorträge sind öffentlich und kostenlos. Vortragssprache ist Englisch.

Weiterführende Links:

Zur Person

Alan Guth wurde 1947 in New Jersey, USA, geboren. Er promovierte 1971 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Physik. Danach folgten Postdoc-Aufenthalte unter anderem an der Princeton und der Columbia University. Nachdem er seine Theorie über das inflationäre Universum entwickelt hatte, kehrte Guth 1980 ans MIT zurück, wo er heute als Victor F. Weisskopf Professor of Physics und als Margaret MacVicar Faculty Fellow tätig ist. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kavli Prize in Astrophysik.  

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