«Wir wollen das Recht, über unsere Unabhängigkeit abstimmen zu können»

Im Rahmen einer internationalen Konferenz des Geographischen Instituts zu Selbstbestimmungs- und Minderheitenfragen diskutierten an der Universität Bern vom 9.-11. Oktober Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Diplomatie über Schottland, Katalonien, die Ukraine und andere politische Brennpunkte in Europa.

Von Béla Filep 16. Oktober 2014

«Wie haben Sie am 18. September abgestimmt?» Mit dieser Einstiegsfrage versuchte «Bund»-Journalist und Moderator Rudolf Burger der schottischen Politologin Eve Hepburn ihre Position zum Unabhängigkeitsreferendum in Schottland zu entlocken.

Vergeblich, die Wissenschaftlerin hielt sich bedeckt, und auch nach eineinhalbstündiger Podiumsdiskussion im Rahmen der Konferenzeröffnung in der UniS wurde nicht klar, für welches Schottland ihr Herz schlägt – für ein unabhängiges oder für eines, das Teil Grossbritanniens sein soll. Immerhin gab sie ihre Einschätzung preis, dass im kommenden Jahrzehnt in Schottland eine erneute Abstimmung in der Frage sehr wahrscheinlich sei.

Eve Hepburn
Eve Hepburn wollte nicht sagen, ob sie für oder gegen die Unabhängigkeit von Schottland stimmte. Fotos: Christoph Leuenberger

Bei einem ihrer Diskussionspartner, dem Sekretär für internationale Angelegenheiten der katalanischen Regierung, Roger Albinyana, war hingegen vom ersten Augenblick an klar, wie und wo er Katalonien in Zukunft sehen möchte: als unabhängigen Staat innerhalb der Europäischen Union. Diplomatisch, aber nicht minder hart kritisierte er die Zentralregierung in Madrid für ihre «antidemokratische Haltung», wenn es um den «Willen des katalanischen Volkes» geht.

Mit Verweis auf Schottland meinte er: «Wir wollen nur, was andere bereits haben; das Recht, über die Unabhängigkeit abstimmen zu können». Der dritte Gesprächsgast, Richard Jones, EU-Botschafter in Bern, hatte den Worten Albinyanas wenig entgegenzusetzen. Er konnte nur darauf hinweisen, dass sich die EU in der Frage auf «unbekanntem» Terrain bewege und sie daher keine offizielle Position habe(n könne).

Keine universellen Rezepte

Eine der brennenden Fragen, welche die Teilnehmenden der Konferenz beschäftigte, war denn auch, wie die EU mit den Unabhängigkeits- oder Autonomiebestrebungen auf ihrem Gebiet umgehen könnte. Was für mögliche Mechanismen gäbe es, um auf Forderungen von Minderheiten einzugehen?

Diskutiert wurden Lösungen wie Föderalismus, asymmetrische territoriale Autonomie oder Konsoziationalismus bis zu subtileren Formen der Machtteilung und Repräsentation, um die Interessen von Minderheiten zu berücksichtigen. In seinem Keynote-Vortrag hielt Michael Keating, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Aberdeen indes fest, dass es letztlich keine universellen Rezepte, sondern nur kontextspezifische Lösungen geben könne.

Leute an der Konferenz
Béla Filep (links), Geographisches Institut der Universität Bern, organisierte die dreitägige Konferenz.

Die Vielfalt von Ansätzen offenbarte sich auch in den 25 Vorträgen von Geographinnen und Geographen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern oder Experten für Internationale Beziehungen aus 12 europäischen Ländern. Ob in Katalonien, Belgien, Rumänien, Bosnien-Herzegowina, Moldawien oder Polen, jeder Fall hat seine eigene Geschichte und ist in einen spezifischen geopolitischen Kontext eingebettet.

Gleichzeitig behelfen sich aber Autonomiebewegungen der Modelle in anderen Ländern, um ihre eigenen Forderungen zu legitimieren. Eine neue Erscheinung ist zudem, dass sich neben politischen Parteien auch transnational aktive, zivilgesellschaftliche Organisationen für mehr politische Selbstbestimmung von nationalen Minderheiten engagieren; ein Aspekt, mit dem sich ein Habilitationsprojekt am Geographischen Institut der Universität Bern befasst.

Der «Vater» der rumänischen «Revolution» zu Gast

Einer der prominenten Gäste der Konferenz war László Tőkés, seit 2007 Mitglied des Europäischen Parlaments, erst für Rumänien, heute für Ungarn. Tőkés, einst ein regimekritischer Pfarrer im kommunistischen Rumänien, erlangte weltweite Bekanntheit als «Vater» der rumänischen «Revolution».

1989 waren in Timişoara nach seiner aus politischen Gründen angedrohten Versetzung Proteste entbrannt, die in einem Aufstand mündeten. Dieser führte letztlich zum Sturz des rumänischen Diktators Ceauşescu. Seither hat sich Tőkés in erster Linie als Aushängeschild der Autonomiebestrebungen der Ungarn in Rumänien einen Namen gemacht.

Und auch im Rahmen der zweiten öffentlichen Podiumsdiskussion sprach er sich vehement für mehr Autonomie für die Ungarn in Rumänien aus, insbesondere für territoriale Autonomie im Szeklerland. «Wir können nicht mehr länger warten, denn die ungarische Bevölkerung in Rumänien ist in den letzten zwanzig Jahren zahlenmässig massiv zurückgegangen».

László Tőkés
László Tőkés (links) möchte mehr Autonomie für die Ungarn in Rumänien. Foto: zvg

Ob er denn, nach schottischem Vorbild, eine Abspaltung von Rumänien als Lösung betrachte, fragte ihn Moderator Burger – Tőkés verneinte. Sein Diskussionspartner Peter Burkhard, Schweizer Diplomat und Leiter der OSZE-Mission in Serbien machte die Zuhörenden darauf aufmerksam, dass es auch das Instrument der kulturellen Autonomie gebe, das eine Minderheitenselbstverwaltung ermögliche.

In Serbien gibt es seit 2010 sogenannte «Nationalräte» der nationalen Minderheiten, die in den Bereichen Kultur, Bildung und Sprache auf nationaler Ebene ein Mitspracherecht haben. Doris Wastl-Walter, Geographieprofessorin an der Universität Bern und Vizerektorin Qualität, plädierte in diesem Zusammenhang dafür, dass man auch Minderheiten, die nicht anerkannt sind oder die über keine offizielle Vertretung verfügen, Beachtung schenken müsse. Isabelle Schulte-Tenckhoff, Professorin für Anthropologie am Graduate Institute in Genf wiederum problematisierte die Kategorisierungen, denen sich Minderheiten unterordnen müssen, um sich in internationalen Organisation Gehör zu verschaffen.

Doris Wastl-Walter, Vizerektorin Qualität der Universität Bern, eröffnete die Konferenz und nahm an Diskussionen teil.

Die Schweiz als Vorbild

Immer wieder wurde auch die Schweiz als Vorbild genannt. Mehr dazu erfuhren die Teilnehmenden der Konferenz bei einem Besuch im Bundeshaus, wo sie von Nationalrätin Alin Trede empfangen wurden. Mit seinem Vortrag zur Jura-Abstimmung vom November 2013 erinnerte Sean Müller vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern aber daran, dass auch in der Schweiz nicht alles in Stein gemeisselt ist und politische Selbstbestimmung oder das Zusammenleben in mehrsprachigen Ländern stets von neuem ausgehandelt werden muss. Die neu entbrannte Debatte um den Fremdsprachenunterricht an Schweizer Schulen ist ein weiterer Beweis dafür.

Die Konferenz wurde unterstützt vom Fürstenhaus Liechtenstein, der Burgergemeinde Bern und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA.

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